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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca von Rimini.
Kostbar ist jeder Augenblick,
Den man in Freud und Lust genossen,
Kein heißes Sehnen bringt zurück
Den Tag, der freudelos verflossen.
schert euch um kein gcbrochnes Herz,
Denn eigne Lust lacht fremdem Schmerz,
Soll, statt sich des Genossnen freuen,
Was gethan man hat, bereuen?
Zu spät, nach langer Seelenqual,
Siehst nngekröut du all dein Streben,
Laß ab von deinem Ideal,
Gemeinheit nur beherrscht das Leben.
Die Dirn ans Herz, das Glas zum Mund!
Das macht vergessen Stund um Stund.
Warum, statt glücklich sich zu wähnen,
Nach Vergeblichem sich sehnen?
Was war der Mensch von Anbeginn,
Seit Gott der Herr aus Staub ihn machte?
Nach niederen richtet er den Sinn,
Sein Thun ist wert, daß mans verachte.
Zwiefach nur ist der Menschheit Ziel:
Hallunkenstreich und Narrenspiel.
Man möchte fluchen oder gähnen:
Die Handlung spielt im Thal der Thränen.
9.

Oswald, welcher in Bologna die Kopie eines Bildes der Elisabeth Sirani,
jener unglücklichen Geliebten des Guido Rein, begonnen, aber noch nicht voll¬
endet hatte, begab sich zunächst wieder nach dieser Stadt und machte sich sodann
nach wenigen Tagen Aufenthalt nach Rimini auf. Zwischen Cesena und Sa-
vigncmo überschritt er den Rubico, und es war natürlich, daß dieser Umstand
aufs neue seine Gedanken anregte. Das ist der Zauber, den auch ohne die
Schätze von Natur und Kunst Italien auf jedes Gemüt ausübt, daß sich mit
jedem Ort nicht nur die Erinnerungen der Geschichte, sondern auch die Erinne¬
rungen von Kindheit und Jugend verknüpfen, auf deren phantasiereichen Sinn
jene Ereignisse den unvergänglichen Eindruck machen. Wie oft hatte Oswald
als Schüler den Rubico mit Cäsar überschritten und in seinen Gedanken vor
dem Flusse Cäsar Halt machen und seine siegreichen Legionen in feuriger Rede
zum Kampf gegen den undankbaren Senat anfeuern gesehen. Wie hatte er bei
den Worten: ^ela esto alea! gezittert, an die Greuel des Bürgerkrieges und
den Verlust römischer Freiheit gedacht. Jene kindlichen Erinnerungen wurden
in ihm wach, als die Bahn über das ausgetrocknete Bett jenes kleinen Flüßchens
hinwegsetzte, dessen Überschreitung dereinst das Geschick der Welt zu ändern be¬
stimmt war. Dachte er auch heute anders von Cäsar und den Zuständen des


Arc-nzboten IV. 1888. 47
Francesca von Rimini.
Kostbar ist jeder Augenblick,
Den man in Freud und Lust genossen,
Kein heißes Sehnen bringt zurück
Den Tag, der freudelos verflossen.
schert euch um kein gcbrochnes Herz,
Denn eigne Lust lacht fremdem Schmerz,
Soll, statt sich des Genossnen freuen,
Was gethan man hat, bereuen?
Zu spät, nach langer Seelenqual,
Siehst nngekröut du all dein Streben,
Laß ab von deinem Ideal,
Gemeinheit nur beherrscht das Leben.
Die Dirn ans Herz, das Glas zum Mund!
Das macht vergessen Stund um Stund.
Warum, statt glücklich sich zu wähnen,
Nach Vergeblichem sich sehnen?
Was war der Mensch von Anbeginn,
Seit Gott der Herr aus Staub ihn machte?
Nach niederen richtet er den Sinn,
Sein Thun ist wert, daß mans verachte.
Zwiefach nur ist der Menschheit Ziel:
Hallunkenstreich und Narrenspiel.
Man möchte fluchen oder gähnen:
Die Handlung spielt im Thal der Thränen.
9.

Oswald, welcher in Bologna die Kopie eines Bildes der Elisabeth Sirani,
jener unglücklichen Geliebten des Guido Rein, begonnen, aber noch nicht voll¬
endet hatte, begab sich zunächst wieder nach dieser Stadt und machte sich sodann
nach wenigen Tagen Aufenthalt nach Rimini auf. Zwischen Cesena und Sa-
vigncmo überschritt er den Rubico, und es war natürlich, daß dieser Umstand
aufs neue seine Gedanken anregte. Das ist der Zauber, den auch ohne die
Schätze von Natur und Kunst Italien auf jedes Gemüt ausübt, daß sich mit
jedem Ort nicht nur die Erinnerungen der Geschichte, sondern auch die Erinne¬
rungen von Kindheit und Jugend verknüpfen, auf deren phantasiereichen Sinn
jene Ereignisse den unvergänglichen Eindruck machen. Wie oft hatte Oswald
als Schüler den Rubico mit Cäsar überschritten und in seinen Gedanken vor
dem Flusse Cäsar Halt machen und seine siegreichen Legionen in feuriger Rede
zum Kampf gegen den undankbaren Senat anfeuern gesehen. Wie hatte er bei
den Worten: ^ela esto alea! gezittert, an die Greuel des Bürgerkrieges und
den Verlust römischer Freiheit gedacht. Jene kindlichen Erinnerungen wurden
in ihm wach, als die Bahn über das ausgetrocknete Bett jenes kleinen Flüßchens
hinwegsetzte, dessen Überschreitung dereinst das Geschick der Welt zu ändern be¬
stimmt war. Dachte er auch heute anders von Cäsar und den Zuständen des


Arc-nzboten IV. 1888. 47
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[0379] Francesca von Rimini. Kostbar ist jeder Augenblick, Den man in Freud und Lust genossen, Kein heißes Sehnen bringt zurück Den Tag, der freudelos verflossen. schert euch um kein gcbrochnes Herz, Denn eigne Lust lacht fremdem Schmerz, Soll, statt sich des Genossnen freuen, Was gethan man hat, bereuen? Zu spät, nach langer Seelenqual, Siehst nngekröut du all dein Streben, Laß ab von deinem Ideal, Gemeinheit nur beherrscht das Leben. Die Dirn ans Herz, das Glas zum Mund! Das macht vergessen Stund um Stund. Warum, statt glücklich sich zu wähnen, Nach Vergeblichem sich sehnen? Was war der Mensch von Anbeginn, Seit Gott der Herr aus Staub ihn machte? Nach niederen richtet er den Sinn, Sein Thun ist wert, daß mans verachte. Zwiefach nur ist der Menschheit Ziel: Hallunkenstreich und Narrenspiel. Man möchte fluchen oder gähnen: Die Handlung spielt im Thal der Thränen. 9. Oswald, welcher in Bologna die Kopie eines Bildes der Elisabeth Sirani, jener unglücklichen Geliebten des Guido Rein, begonnen, aber noch nicht voll¬ endet hatte, begab sich zunächst wieder nach dieser Stadt und machte sich sodann nach wenigen Tagen Aufenthalt nach Rimini auf. Zwischen Cesena und Sa- vigncmo überschritt er den Rubico, und es war natürlich, daß dieser Umstand aufs neue seine Gedanken anregte. Das ist der Zauber, den auch ohne die Schätze von Natur und Kunst Italien auf jedes Gemüt ausübt, daß sich mit jedem Ort nicht nur die Erinnerungen der Geschichte, sondern auch die Erinne¬ rungen von Kindheit und Jugend verknüpfen, auf deren phantasiereichen Sinn jene Ereignisse den unvergänglichen Eindruck machen. Wie oft hatte Oswald als Schüler den Rubico mit Cäsar überschritten und in seinen Gedanken vor dem Flusse Cäsar Halt machen und seine siegreichen Legionen in feuriger Rede zum Kampf gegen den undankbaren Senat anfeuern gesehen. Wie hatte er bei den Worten: ^ela esto alea! gezittert, an die Greuel des Bürgerkrieges und den Verlust römischer Freiheit gedacht. Jene kindlichen Erinnerungen wurden in ihm wach, als die Bahn über das ausgetrocknete Bett jenes kleinen Flüßchens hinwegsetzte, dessen Überschreitung dereinst das Geschick der Welt zu ändern be¬ stimmt war. Dachte er auch heute anders von Cäsar und den Zuständen des Arc-nzboten IV. 1888. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/379>, abgerufen am 13.11.2024.