Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Francesca vo" Rimini.

werk göttlicher Schöpfung so heilig und rein gewesen war, redete sich selbst in
Menschenverachtung, in Verspottung alles Ehrwürdigen, in ein Herabwürdigen
des ewig Sittlichen hinein. Aber eben weil ihm diese Überzeugung nicht aus
seiner innersten Natur hervorging, sondern weil er sie, wie er sich einbildete,
durch die Nichtswürdigkeit der Menschen gezwungen, als einen Glaubenssatz in
sich hineintrug, war jeder Schritt auf dieser Bahn ein neues Martyrium für
ihn, und wenn es nicht Profanation sein würde, so könnte man diesen Cyklus
von Gedichten mit den ihnen zu Grunde liegenden Ereignissen in dem Leben
des Künstlers als den Passionsweg bezeichnen, auf welchem er von Station zu
Station zu neuen Martern emporstieg. So war ihm jeder Genuß, den er auf¬
suchte, immer wieder die Quelle bitterer Leiden geworden, und es ergriff ihn
zuletzt ein Ekel vor dem ganzen Dasein, der auch seine physische Gesundheit
schwer zu schädigen drohte. Die Arbeit mit ihrer sittlichenden Kraft fehlte ihm,
denn die Studien und Skizzen, die er machte, ließen ihn bei der Fülle dessen,
was er sah und aufnahm, zu keiner innern Ruhe kommen. Seine Mappen
füllten sich in ungeahnter Weise, er häufte Schätze auf Schätze, und seine glühende
Phantasie schwelgte bereits in den Ideen zu neuen Bildern, welche er als
Frucht seiner italienischen Studien auszuführen gedachte. Er sah es selbst ein,
daß wenn er in der bisherigen Weise seine Pilgerfahrt fortsetzen, zuletzt in
Rom, an dem Urquell der Kunst, und in Neapel, an dem unversieglichen Brunnen
der Natur, mit der gleichen Maßlosigkeit sehen und genießen, zeichnen und stu-
diren würde, er bei der Fülle dieser Gaben zu Grunde gehen müßte. Überdies
war es Juni geworden, die Hitze fing an unerträglich zu werden, und selbst
ein Aufenthalt in Valombrosa und Camaldoli vermochte nicht, seine aufgeregten
Nerven zu beruhigen. Ein junger englischer Arzt, mit welchem er in der Pension
am Lungarno freundschaftlich verkehrte, riet unserm Freund aufs dringendste,
ein Seebad in Italien aufzusuchen und dort mindestens bis zum Herbst zu ver¬
weilen. Oswald zeigte diesen Entschluß seinem Freunde Harold an, indem er
ihm gleichzeitig als die Summe seiner Erfahrungen nachstehendes Gedicht zum
Geburtstag übersandte.

Am Besitze sich nicht freuen,
Was gethan man hat, bereuen,
Nach Vergeblichem sich sehnen:
Die Handlung spielt im Thal der Thränen.
Ja, eitel ist der Lauf der Welt,
Es ist die Zeit der Surrogate,
Und höchstes Surrogat ist Geld.
Auf, Kameraden! Jubilate,
Genießt die Jugend, liebt und trinkt,
Bis trunken ihr zu Boden sinkt,
Wer will -- und niemand soll sich scheuen --
Am Besitze sich nicht freuen?

Francesca vo» Rimini.

werk göttlicher Schöpfung so heilig und rein gewesen war, redete sich selbst in
Menschenverachtung, in Verspottung alles Ehrwürdigen, in ein Herabwürdigen
des ewig Sittlichen hinein. Aber eben weil ihm diese Überzeugung nicht aus
seiner innersten Natur hervorging, sondern weil er sie, wie er sich einbildete,
durch die Nichtswürdigkeit der Menschen gezwungen, als einen Glaubenssatz in
sich hineintrug, war jeder Schritt auf dieser Bahn ein neues Martyrium für
ihn, und wenn es nicht Profanation sein würde, so könnte man diesen Cyklus
von Gedichten mit den ihnen zu Grunde liegenden Ereignissen in dem Leben
des Künstlers als den Passionsweg bezeichnen, auf welchem er von Station zu
Station zu neuen Martern emporstieg. So war ihm jeder Genuß, den er auf¬
suchte, immer wieder die Quelle bitterer Leiden geworden, und es ergriff ihn
zuletzt ein Ekel vor dem ganzen Dasein, der auch seine physische Gesundheit
schwer zu schädigen drohte. Die Arbeit mit ihrer sittlichenden Kraft fehlte ihm,
denn die Studien und Skizzen, die er machte, ließen ihn bei der Fülle dessen,
was er sah und aufnahm, zu keiner innern Ruhe kommen. Seine Mappen
füllten sich in ungeahnter Weise, er häufte Schätze auf Schätze, und seine glühende
Phantasie schwelgte bereits in den Ideen zu neuen Bildern, welche er als
Frucht seiner italienischen Studien auszuführen gedachte. Er sah es selbst ein,
daß wenn er in der bisherigen Weise seine Pilgerfahrt fortsetzen, zuletzt in
Rom, an dem Urquell der Kunst, und in Neapel, an dem unversieglichen Brunnen
der Natur, mit der gleichen Maßlosigkeit sehen und genießen, zeichnen und stu-
diren würde, er bei der Fülle dieser Gaben zu Grunde gehen müßte. Überdies
war es Juni geworden, die Hitze fing an unerträglich zu werden, und selbst
ein Aufenthalt in Valombrosa und Camaldoli vermochte nicht, seine aufgeregten
Nerven zu beruhigen. Ein junger englischer Arzt, mit welchem er in der Pension
am Lungarno freundschaftlich verkehrte, riet unserm Freund aufs dringendste,
ein Seebad in Italien aufzusuchen und dort mindestens bis zum Herbst zu ver¬
weilen. Oswald zeigte diesen Entschluß seinem Freunde Harold an, indem er
ihm gleichzeitig als die Summe seiner Erfahrungen nachstehendes Gedicht zum
Geburtstag übersandte.

Am Besitze sich nicht freuen,
Was gethan man hat, bereuen,
Nach Vergeblichem sich sehnen:
Die Handlung spielt im Thal der Thränen.
Ja, eitel ist der Lauf der Welt,
Es ist die Zeit der Surrogate,
Und höchstes Surrogat ist Geld.
Auf, Kameraden! Jubilate,
Genießt die Jugend, liebt und trinkt,
Bis trunken ihr zu Boden sinkt,
Wer will — und niemand soll sich scheuen —
Am Besitze sich nicht freuen?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0378" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154543"/>
          <fw type="header" place="top"> Francesca vo» Rimini.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1126" prev="#ID_1125"> werk göttlicher Schöpfung so heilig und rein gewesen war, redete sich selbst in<lb/>
Menschenverachtung, in Verspottung alles Ehrwürdigen, in ein Herabwürdigen<lb/>
des ewig Sittlichen hinein. Aber eben weil ihm diese Überzeugung nicht aus<lb/>
seiner innersten Natur hervorging, sondern weil er sie, wie er sich einbildete,<lb/>
durch die Nichtswürdigkeit der Menschen gezwungen, als einen Glaubenssatz in<lb/>
sich hineintrug, war jeder Schritt auf dieser Bahn ein neues Martyrium für<lb/>
ihn, und wenn es nicht Profanation sein würde, so könnte man diesen Cyklus<lb/>
von Gedichten mit den ihnen zu Grunde liegenden Ereignissen in dem Leben<lb/>
des Künstlers als den Passionsweg bezeichnen, auf welchem er von Station zu<lb/>
Station zu neuen Martern emporstieg. So war ihm jeder Genuß, den er auf¬<lb/>
suchte, immer wieder die Quelle bitterer Leiden geworden, und es ergriff ihn<lb/>
zuletzt ein Ekel vor dem ganzen Dasein, der auch seine physische Gesundheit<lb/>
schwer zu schädigen drohte. Die Arbeit mit ihrer sittlichenden Kraft fehlte ihm,<lb/>
denn die Studien und Skizzen, die er machte, ließen ihn bei der Fülle dessen,<lb/>
was er sah und aufnahm, zu keiner innern Ruhe kommen. Seine Mappen<lb/>
füllten sich in ungeahnter Weise, er häufte Schätze auf Schätze, und seine glühende<lb/>
Phantasie schwelgte bereits in den Ideen zu neuen Bildern, welche er als<lb/>
Frucht seiner italienischen Studien auszuführen gedachte. Er sah es selbst ein,<lb/>
daß wenn er in der bisherigen Weise seine Pilgerfahrt fortsetzen, zuletzt in<lb/>
Rom, an dem Urquell der Kunst, und in Neapel, an dem unversieglichen Brunnen<lb/>
der Natur, mit der gleichen Maßlosigkeit sehen und genießen, zeichnen und stu-<lb/>
diren würde, er bei der Fülle dieser Gaben zu Grunde gehen müßte. Überdies<lb/>
war es Juni geworden, die Hitze fing an unerträglich zu werden, und selbst<lb/>
ein Aufenthalt in Valombrosa und Camaldoli vermochte nicht, seine aufgeregten<lb/>
Nerven zu beruhigen. Ein junger englischer Arzt, mit welchem er in der Pension<lb/>
am Lungarno freundschaftlich verkehrte, riet unserm Freund aufs dringendste,<lb/>
ein Seebad in Italien aufzusuchen und dort mindestens bis zum Herbst zu ver¬<lb/>
weilen. Oswald zeigte diesen Entschluß seinem Freunde Harold an, indem er<lb/>
ihm gleichzeitig als die Summe seiner Erfahrungen nachstehendes Gedicht zum<lb/>
Geburtstag übersandte.</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_41" type="poem">
            <l> Am Besitze sich nicht freuen,<lb/>
Was gethan man hat, bereuen,<lb/>
Nach Vergeblichem sich sehnen:<lb/>
Die Handlung spielt im Thal der Thränen.</l>
            <l> Ja, eitel ist der Lauf der Welt,<lb/>
Es ist die Zeit der Surrogate,<lb/>
Und höchstes Surrogat ist Geld.<lb/>
Auf, Kameraden! Jubilate,<lb/>
Genießt die Jugend, liebt und trinkt,<lb/>
Bis trunken ihr zu Boden sinkt,<lb/>
Wer will &#x2014; und niemand soll sich scheuen &#x2014;<lb/>
Am Besitze sich nicht freuen?</l>
          </lg><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0378] Francesca vo» Rimini. werk göttlicher Schöpfung so heilig und rein gewesen war, redete sich selbst in Menschenverachtung, in Verspottung alles Ehrwürdigen, in ein Herabwürdigen des ewig Sittlichen hinein. Aber eben weil ihm diese Überzeugung nicht aus seiner innersten Natur hervorging, sondern weil er sie, wie er sich einbildete, durch die Nichtswürdigkeit der Menschen gezwungen, als einen Glaubenssatz in sich hineintrug, war jeder Schritt auf dieser Bahn ein neues Martyrium für ihn, und wenn es nicht Profanation sein würde, so könnte man diesen Cyklus von Gedichten mit den ihnen zu Grunde liegenden Ereignissen in dem Leben des Künstlers als den Passionsweg bezeichnen, auf welchem er von Station zu Station zu neuen Martern emporstieg. So war ihm jeder Genuß, den er auf¬ suchte, immer wieder die Quelle bitterer Leiden geworden, und es ergriff ihn zuletzt ein Ekel vor dem ganzen Dasein, der auch seine physische Gesundheit schwer zu schädigen drohte. Die Arbeit mit ihrer sittlichenden Kraft fehlte ihm, denn die Studien und Skizzen, die er machte, ließen ihn bei der Fülle dessen, was er sah und aufnahm, zu keiner innern Ruhe kommen. Seine Mappen füllten sich in ungeahnter Weise, er häufte Schätze auf Schätze, und seine glühende Phantasie schwelgte bereits in den Ideen zu neuen Bildern, welche er als Frucht seiner italienischen Studien auszuführen gedachte. Er sah es selbst ein, daß wenn er in der bisherigen Weise seine Pilgerfahrt fortsetzen, zuletzt in Rom, an dem Urquell der Kunst, und in Neapel, an dem unversieglichen Brunnen der Natur, mit der gleichen Maßlosigkeit sehen und genießen, zeichnen und stu- diren würde, er bei der Fülle dieser Gaben zu Grunde gehen müßte. Überdies war es Juni geworden, die Hitze fing an unerträglich zu werden, und selbst ein Aufenthalt in Valombrosa und Camaldoli vermochte nicht, seine aufgeregten Nerven zu beruhigen. Ein junger englischer Arzt, mit welchem er in der Pension am Lungarno freundschaftlich verkehrte, riet unserm Freund aufs dringendste, ein Seebad in Italien aufzusuchen und dort mindestens bis zum Herbst zu ver¬ weilen. Oswald zeigte diesen Entschluß seinem Freunde Harold an, indem er ihm gleichzeitig als die Summe seiner Erfahrungen nachstehendes Gedicht zum Geburtstag übersandte. Am Besitze sich nicht freuen, Was gethan man hat, bereuen, Nach Vergeblichem sich sehnen: Die Handlung spielt im Thal der Thränen. Ja, eitel ist der Lauf der Welt, Es ist die Zeit der Surrogate, Und höchstes Surrogat ist Geld. Auf, Kameraden! Jubilate, Genießt die Jugend, liebt und trinkt, Bis trunken ihr zu Boden sinkt, Wer will — und niemand soll sich scheuen — Am Besitze sich nicht freuen?

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/378
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/378>, abgerufen am 01.09.2024.