Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite


jrancesca von Rimini.
Adam von Festenborg. Novelle von(Fortsetzung.)

as letzte Gedicht, welches so sehr von den übrigen sich abhebt,
war einer besonder" Veranlassung entsprungen. Oswald war
eines Morgens aus den Uffizien zum Frühstück auf der Piazza
della Signoria bei Gnu und Letta eingekehrt, deren Restaurant
den Sammelpunkt der Deutschen in Florenz bildet und wohin
deutsche Zeitungen die Nachrichten ans der Heimat bringen. Oswald war in
dem Niobidensaal gewesen und stand noch unter dem Eindrucke des furchtbaren
Geschickes, welches göttliche Strafe menschlichem Übermut bereitet hat. Mechanisch
sielen seine Blicke auf eine Berliner Zeitung und zufällig auf die Stelle, in
welcher berichtet wurde, daß Martin Genöve, der einzige Sohn von Max und
Bertha, mit einem zweirädrigen Gigg, auf welchem er seine junge, ihm seit
acht Tagen verlobte Braut zum Nennen nach Hoppegarten fuhr, verunglückt
sei. Das junge Paar wurde von den durchgehenden Pferden mit solcher Heftig¬
keit herabgeschleudert, daß dasselbe nicht mehr zum Bewußtsein gelangte, sondern
nach wenigen Stunden stummen Leidens starb. Oswald wurde durch diese
Nachricht tief erschüttert; sein Geist war so sehr in der antiken Weltanschauung
befangen, daß er nicht in christlicher Liebe teilnahmsvoll das Unglück beklagte,
sondern es unter dem Eindruck des Niobideufrevels als eine schwere Fügung
des gerechten und unerbittlichen Fatums betrachtete.

Würde es eine Anatomie der innern Gefühle des Herzens geben, so würde
ein Psychologe aus den poetischen Ergüssen Oswalds erkannt haben, wie
schwer der Ärmste in diesen Zeiten eines aufregenden Genußlebens litt. Es
ist wahr, was der italienische Dichter singt, daß das Herz nicht bloß ein kleiner
Muskel sei. Der Cynismus und die Frivolität waren nur der Deckmantel, unter
welchem man den Schmerz eines Schwerverwundeten Herzens nicht suchen sollte.
Der Idealist, der Künstler, dem die Frauenschöne als das herrlichste Meister-




jrancesca von Rimini.
Adam von Festenborg. Novelle von(Fortsetzung.)

as letzte Gedicht, welches so sehr von den übrigen sich abhebt,
war einer besonder» Veranlassung entsprungen. Oswald war
eines Morgens aus den Uffizien zum Frühstück auf der Piazza
della Signoria bei Gnu und Letta eingekehrt, deren Restaurant
den Sammelpunkt der Deutschen in Florenz bildet und wohin
deutsche Zeitungen die Nachrichten ans der Heimat bringen. Oswald war in
dem Niobidensaal gewesen und stand noch unter dem Eindrucke des furchtbaren
Geschickes, welches göttliche Strafe menschlichem Übermut bereitet hat. Mechanisch
sielen seine Blicke auf eine Berliner Zeitung und zufällig auf die Stelle, in
welcher berichtet wurde, daß Martin Genöve, der einzige Sohn von Max und
Bertha, mit einem zweirädrigen Gigg, auf welchem er seine junge, ihm seit
acht Tagen verlobte Braut zum Nennen nach Hoppegarten fuhr, verunglückt
sei. Das junge Paar wurde von den durchgehenden Pferden mit solcher Heftig¬
keit herabgeschleudert, daß dasselbe nicht mehr zum Bewußtsein gelangte, sondern
nach wenigen Stunden stummen Leidens starb. Oswald wurde durch diese
Nachricht tief erschüttert; sein Geist war so sehr in der antiken Weltanschauung
befangen, daß er nicht in christlicher Liebe teilnahmsvoll das Unglück beklagte,
sondern es unter dem Eindruck des Niobideufrevels als eine schwere Fügung
des gerechten und unerbittlichen Fatums betrachtete.

Würde es eine Anatomie der innern Gefühle des Herzens geben, so würde
ein Psychologe aus den poetischen Ergüssen Oswalds erkannt haben, wie
schwer der Ärmste in diesen Zeiten eines aufregenden Genußlebens litt. Es
ist wahr, was der italienische Dichter singt, daß das Herz nicht bloß ein kleiner
Muskel sei. Der Cynismus und die Frivolität waren nur der Deckmantel, unter
welchem man den Schmerz eines Schwerverwundeten Herzens nicht suchen sollte.
Der Idealist, der Künstler, dem die Frauenschöne als das herrlichste Meister-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0377" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154542"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341837_154164/figures/grenzboten_341837_154164_154542_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> jrancesca von Rimini.<lb/><note type="byline"> Adam von Festenborg.</note> Novelle von(Fortsetzung.)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1124"> as letzte Gedicht, welches so sehr von den übrigen sich abhebt,<lb/>
war einer besonder» Veranlassung entsprungen. Oswald war<lb/>
eines Morgens aus den Uffizien zum Frühstück auf der Piazza<lb/>
della Signoria bei Gnu und Letta eingekehrt, deren Restaurant<lb/>
den Sammelpunkt der Deutschen in Florenz bildet und wohin<lb/>
deutsche Zeitungen die Nachrichten ans der Heimat bringen. Oswald war in<lb/>
dem Niobidensaal gewesen und stand noch unter dem Eindrucke des furchtbaren<lb/>
Geschickes, welches göttliche Strafe menschlichem Übermut bereitet hat. Mechanisch<lb/>
sielen seine Blicke auf eine Berliner Zeitung und zufällig auf die Stelle, in<lb/>
welcher berichtet wurde, daß Martin Genöve, der einzige Sohn von Max und<lb/>
Bertha, mit einem zweirädrigen Gigg, auf welchem er seine junge, ihm seit<lb/>
acht Tagen verlobte Braut zum Nennen nach Hoppegarten fuhr, verunglückt<lb/>
sei. Das junge Paar wurde von den durchgehenden Pferden mit solcher Heftig¬<lb/>
keit herabgeschleudert, daß dasselbe nicht mehr zum Bewußtsein gelangte, sondern<lb/>
nach wenigen Stunden stummen Leidens starb. Oswald wurde durch diese<lb/>
Nachricht tief erschüttert; sein Geist war so sehr in der antiken Weltanschauung<lb/>
befangen, daß er nicht in christlicher Liebe teilnahmsvoll das Unglück beklagte,<lb/>
sondern es unter dem Eindruck des Niobideufrevels als eine schwere Fügung<lb/>
des gerechten und unerbittlichen Fatums betrachtete.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1125" next="#ID_1126"> Würde es eine Anatomie der innern Gefühle des Herzens geben, so würde<lb/>
ein Psychologe aus den poetischen Ergüssen Oswalds erkannt haben, wie<lb/>
schwer der Ärmste in diesen Zeiten eines aufregenden Genußlebens litt. Es<lb/>
ist wahr, was der italienische Dichter singt, daß das Herz nicht bloß ein kleiner<lb/>
Muskel sei. Der Cynismus und die Frivolität waren nur der Deckmantel, unter<lb/>
welchem man den Schmerz eines Schwerverwundeten Herzens nicht suchen sollte.<lb/>
Der Idealist, der Künstler, dem die Frauenschöne als das herrlichste Meister-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0377] [Abbildung] jrancesca von Rimini. Adam von Festenborg. Novelle von(Fortsetzung.) as letzte Gedicht, welches so sehr von den übrigen sich abhebt, war einer besonder» Veranlassung entsprungen. Oswald war eines Morgens aus den Uffizien zum Frühstück auf der Piazza della Signoria bei Gnu und Letta eingekehrt, deren Restaurant den Sammelpunkt der Deutschen in Florenz bildet und wohin deutsche Zeitungen die Nachrichten ans der Heimat bringen. Oswald war in dem Niobidensaal gewesen und stand noch unter dem Eindrucke des furchtbaren Geschickes, welches göttliche Strafe menschlichem Übermut bereitet hat. Mechanisch sielen seine Blicke auf eine Berliner Zeitung und zufällig auf die Stelle, in welcher berichtet wurde, daß Martin Genöve, der einzige Sohn von Max und Bertha, mit einem zweirädrigen Gigg, auf welchem er seine junge, ihm seit acht Tagen verlobte Braut zum Nennen nach Hoppegarten fuhr, verunglückt sei. Das junge Paar wurde von den durchgehenden Pferden mit solcher Heftig¬ keit herabgeschleudert, daß dasselbe nicht mehr zum Bewußtsein gelangte, sondern nach wenigen Stunden stummen Leidens starb. Oswald wurde durch diese Nachricht tief erschüttert; sein Geist war so sehr in der antiken Weltanschauung befangen, daß er nicht in christlicher Liebe teilnahmsvoll das Unglück beklagte, sondern es unter dem Eindruck des Niobideufrevels als eine schwere Fügung des gerechten und unerbittlichen Fatums betrachtete. Würde es eine Anatomie der innern Gefühle des Herzens geben, so würde ein Psychologe aus den poetischen Ergüssen Oswalds erkannt haben, wie schwer der Ärmste in diesen Zeiten eines aufregenden Genußlebens litt. Es ist wahr, was der italienische Dichter singt, daß das Herz nicht bloß ein kleiner Muskel sei. Der Cynismus und die Frivolität waren nur der Deckmantel, unter welchem man den Schmerz eines Schwerverwundeten Herzens nicht suchen sollte. Der Idealist, der Künstler, dem die Frauenschöne als das herrlichste Meister-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/377
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/377>, abgerufen am 27.07.2024.