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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Moriz iLcirriere und seine Gedichte.

Ströme" sind wirklich diese sechzehn Gedichte, welche mit gewaltiger Beredtsamkeit
den Kampf für Wahrheit, für Freiheit und den endlichen Sieg schildern. Dieser
Cyklus zeugt von hoher poetischer Kraft und ist in seiner Anknüpfung -- als
ein Kommentar zur <ü-moU-Symphvme -- äußerst originell. So empfindet
ein frommes, edles Herz, wenn jene mächtigen Tonströme Beethovens an das
Ohr des Hörers schlagen. Ist auch dieser Liedercyklus durch die damaligen
Zeitverhältnisse hervorgerufen worden, so ist sein bleibend menschlicher Kern doch
von so hoher dichterischer Schönheit, daß diese "lyrischen Phantasien" als klassisch
zu bezeichnen sind. Inhaltlich freilich bieten sie eine Stufe des Pantheismus
dar, auf welcher Carriere nicht stehen geblieben ist; er hat sich später zum
Theismus bekannt. Aber sie sind trotzdem ein interessantes Zeugnis von der
Lebensperiode, von welcher Carriere in seiner autobiographischen Skizze sagt:
"Während der Sturm- und Drangtagc des Fuchsjahres kam ein poetischer Pan¬
theismus zum Durchbruch.....Ästhetik galt als Gipfel der Wissenschaft und
ihre Versöhnung mit der Religion."

Vollgereifte Männlichkeit tritt uns entgegen aus dem "Svnettenkrcmz" zur
Säkularfeier der Universität Göttingen (1337); Carriere hat ihn gemeinschaftlich
mit Th. Creizenach verfaßt. Da werden die großen Gelehrten, Schriftsteller
und Dichter, die in Göttingens Mauern gelebt und gewirkt hatten, in tiefge-
dachien und volltönenden Sonetten verherrlicht: Haller, Lichtenberg, Bürger,
die Gebrüder Grimm, Gewinns u. a. Charakteristisch ist die Absage an Heine,
der sich "ohne Ernst dem Schlummer ergeben hat"; charakteristisch für den
jungen Hegelianer ist aber auch, daß Herbarts Name fehlt. Dafür erscheinen
die Gebrüder Humboldt. "Wir widmeten die poetische Festgabe Alexander von
Humboldt als dem höchsten Gaste der Feier; er gab sie Varnhagen, und dieser
führte durch eine Besprechung derselben mich in die Literatur ein und ist mir
von da an ein fördernder Freund gewesen. Ich setzte meine Studien in Berlin
fort" -- so erzählt Carriere in der schon erwähnten Skizze. Aus dieser an¬
regenden Berliner Zeit stammen die Gedichte: "Rahel" und "An Frau Bettina
von Arnim." stimmungsvoll ist besonders das erstere an Rahel, die "licht¬
getränkte Sonnenblume." Bon Berlin ging es nach Rom. Aus dieser Zeit
(1840) stammen die Gedichte "Auf der Wanderschaft." Neben den Gedichten
"Neapel," "Auf Monte Pcllegrino" ist es besonders eine "Taormina" über¬
schrieben? Hymne, welche wiederum als eine hochpoetische Leistung zu bezeichnen
ist. Angesichts des Ätna dichtet der junge Philosoph "vom Feuer ein Lied,"
das in vollen Akkorden die ewige Schönheit und vorbildliche Kraft des Alter¬
tums feiert, und das in gedrängter Kürze ein erhabenes Welt- und Geschichts¬
bild enthüllt.

Eine neue Lebensperiode! Es beginnt der Kampf ums Dasein, um die
wissenschaftliche Stellung. Nach mancherlei widerwärtigen Erfahrungen in Berlin
und Heidelberg fand der junge Gelehrte in Gießen eine Stätte, wo er das


Moriz iLcirriere und seine Gedichte.

Ströme" sind wirklich diese sechzehn Gedichte, welche mit gewaltiger Beredtsamkeit
den Kampf für Wahrheit, für Freiheit und den endlichen Sieg schildern. Dieser
Cyklus zeugt von hoher poetischer Kraft und ist in seiner Anknüpfung — als
ein Kommentar zur <ü-moU-Symphvme — äußerst originell. So empfindet
ein frommes, edles Herz, wenn jene mächtigen Tonströme Beethovens an das
Ohr des Hörers schlagen. Ist auch dieser Liedercyklus durch die damaligen
Zeitverhältnisse hervorgerufen worden, so ist sein bleibend menschlicher Kern doch
von so hoher dichterischer Schönheit, daß diese „lyrischen Phantasien" als klassisch
zu bezeichnen sind. Inhaltlich freilich bieten sie eine Stufe des Pantheismus
dar, auf welcher Carriere nicht stehen geblieben ist; er hat sich später zum
Theismus bekannt. Aber sie sind trotzdem ein interessantes Zeugnis von der
Lebensperiode, von welcher Carriere in seiner autobiographischen Skizze sagt:
„Während der Sturm- und Drangtagc des Fuchsjahres kam ein poetischer Pan¬
theismus zum Durchbruch.....Ästhetik galt als Gipfel der Wissenschaft und
ihre Versöhnung mit der Religion."

Vollgereifte Männlichkeit tritt uns entgegen aus dem „Svnettenkrcmz" zur
Säkularfeier der Universität Göttingen (1337); Carriere hat ihn gemeinschaftlich
mit Th. Creizenach verfaßt. Da werden die großen Gelehrten, Schriftsteller
und Dichter, die in Göttingens Mauern gelebt und gewirkt hatten, in tiefge-
dachien und volltönenden Sonetten verherrlicht: Haller, Lichtenberg, Bürger,
die Gebrüder Grimm, Gewinns u. a. Charakteristisch ist die Absage an Heine,
der sich „ohne Ernst dem Schlummer ergeben hat"; charakteristisch für den
jungen Hegelianer ist aber auch, daß Herbarts Name fehlt. Dafür erscheinen
die Gebrüder Humboldt. „Wir widmeten die poetische Festgabe Alexander von
Humboldt als dem höchsten Gaste der Feier; er gab sie Varnhagen, und dieser
führte durch eine Besprechung derselben mich in die Literatur ein und ist mir
von da an ein fördernder Freund gewesen. Ich setzte meine Studien in Berlin
fort" — so erzählt Carriere in der schon erwähnten Skizze. Aus dieser an¬
regenden Berliner Zeit stammen die Gedichte: „Rahel" und „An Frau Bettina
von Arnim." stimmungsvoll ist besonders das erstere an Rahel, die „licht¬
getränkte Sonnenblume." Bon Berlin ging es nach Rom. Aus dieser Zeit
(1840) stammen die Gedichte „Auf der Wanderschaft." Neben den Gedichten
„Neapel," „Auf Monte Pcllegrino" ist es besonders eine „Taormina" über¬
schrieben? Hymne, welche wiederum als eine hochpoetische Leistung zu bezeichnen
ist. Angesichts des Ätna dichtet der junge Philosoph „vom Feuer ein Lied,"
das in vollen Akkorden die ewige Schönheit und vorbildliche Kraft des Alter¬
tums feiert, und das in gedrängter Kürze ein erhabenes Welt- und Geschichts¬
bild enthüllt.

Eine neue Lebensperiode! Es beginnt der Kampf ums Dasein, um die
wissenschaftliche Stellung. Nach mancherlei widerwärtigen Erfahrungen in Berlin
und Heidelberg fand der junge Gelehrte in Gießen eine Stätte, wo er das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/366>, abgerufen am 28.07.2024.