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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Moriz Larriere und seine Gedichte.

ringcrer als der Apostel Paulus. Wer Luther widerlegen will, muß zuvor
Paulum widerlegt haben." Wir überschätzen diese Jubelfeier deS Jahres drei-
nndnchtzig nicht, wir wissen, es ist viel künstliche Begeisterung dabei, aber wir
unterschätzen sie auch nicht. Es giebt noch evangelisches Volk. Sobald man
ernstlich seinen Besitz bedrohen wollte, würde es sich erheben wie ein Mann,
mit dem Rufe:

Das Wort sie sollen lassen star.




Moriz Carriere und seine Gedichte.

eit etwa vierzig Jahren ist der Name Moriz Carriere mit der
Entwicklung der deutschen Ästhetik und Philosophie eng verbunden.
Es ist insbesondre sein großes Haupt- und Lebenswerk in fünf
Bänden: "Die Kunst im Zusammenhange der Kulturentwicklung
und die Ideale der Menschheit," dessen wiederholte Auflagen den
Namen und die Gedanken Carrieres in die weitesten Kreise getragen haben.
Nicht bloß die reiche Ideenfülle, nicht bloß die staunenswerte Beherrschung des
unendlichen Stoffes, auch nicht bloß der überall sich bekundende feine Takt und
maßgebende Geschmack haben den Ruhm des Verfassers begründet, sondern auch
die wahrhaft schöne Diktion, der Glanz der Sprache und die Wärme der Dar¬
stellung. Die reiche Bildersprache, der hinreißende Schwung und die harmonische
Abrundung in allen Werken Carrieres lassen auf einen Mann schließen, dem
das Künstlerische in Fleisch und Blut übergegangen ist, der sich mit der Kunst
theoretisch beschäftigt, weil er felbst etwas vom Künstler an sich hat. Und wer
die verschiedenen Werke Carrieres aufmerksam verfolgte, wußte wohl, daß er
an manchen Stellen derselben formvollendete Gedichte eingestreut hatte, wo der
begeisternde Gegenstand zu dichterischer Begeisterung hinreißen mußte. "Es giebt
Grenzgebiete der Poesie und Prosa," sagt Carriere selbst in seinem Werke "Das
Wesen und die Formen der Poesie";*) "jeder Denker, dem zum erstenmale eine
große Wahrheit in der Seele aufblitzt, wird von ihr begeistert; und wie sich
Hin jetzt das ganze Dasein in reinerem, hellerem Lichte zeigt, wie er den Ein-



Dieses schöne Werk ist soeben in zweiter, umgcarbcitcr Auflage erschienen unter dem
^'tel: "Die Poesie. Ihr Wesen und ihre Formen mit Grundzttgen der vergleichenden
Uteraturgeschichte." (Leipzig, Brockhaus. 1884.) Ausführlich sind daselbst die "Epische Ge-
bankcndichtung" und die "Gcdankenlyrik" behandelt (S. 347--367 und S. 405--407.)
Grmzvoten IV. 1883. 45
Moriz Larriere und seine Gedichte.

ringcrer als der Apostel Paulus. Wer Luther widerlegen will, muß zuvor
Paulum widerlegt haben." Wir überschätzen diese Jubelfeier deS Jahres drei-
nndnchtzig nicht, wir wissen, es ist viel künstliche Begeisterung dabei, aber wir
unterschätzen sie auch nicht. Es giebt noch evangelisches Volk. Sobald man
ernstlich seinen Besitz bedrohen wollte, würde es sich erheben wie ein Mann,
mit dem Rufe:

Das Wort sie sollen lassen star.




Moriz Carriere und seine Gedichte.

eit etwa vierzig Jahren ist der Name Moriz Carriere mit der
Entwicklung der deutschen Ästhetik und Philosophie eng verbunden.
Es ist insbesondre sein großes Haupt- und Lebenswerk in fünf
Bänden: „Die Kunst im Zusammenhange der Kulturentwicklung
und die Ideale der Menschheit," dessen wiederholte Auflagen den
Namen und die Gedanken Carrieres in die weitesten Kreise getragen haben.
Nicht bloß die reiche Ideenfülle, nicht bloß die staunenswerte Beherrschung des
unendlichen Stoffes, auch nicht bloß der überall sich bekundende feine Takt und
maßgebende Geschmack haben den Ruhm des Verfassers begründet, sondern auch
die wahrhaft schöne Diktion, der Glanz der Sprache und die Wärme der Dar¬
stellung. Die reiche Bildersprache, der hinreißende Schwung und die harmonische
Abrundung in allen Werken Carrieres lassen auf einen Mann schließen, dem
das Künstlerische in Fleisch und Blut übergegangen ist, der sich mit der Kunst
theoretisch beschäftigt, weil er felbst etwas vom Künstler an sich hat. Und wer
die verschiedenen Werke Carrieres aufmerksam verfolgte, wußte wohl, daß er
an manchen Stellen derselben formvollendete Gedichte eingestreut hatte, wo der
begeisternde Gegenstand zu dichterischer Begeisterung hinreißen mußte. „Es giebt
Grenzgebiete der Poesie und Prosa," sagt Carriere selbst in seinem Werke „Das
Wesen und die Formen der Poesie";*) „jeder Denker, dem zum erstenmale eine
große Wahrheit in der Seele aufblitzt, wird von ihr begeistert; und wie sich
Hin jetzt das ganze Dasein in reinerem, hellerem Lichte zeigt, wie er den Ein-



Dieses schöne Werk ist soeben in zweiter, umgcarbcitcr Auflage erschienen unter dem
^'tel: „Die Poesie. Ihr Wesen und ihre Formen mit Grundzttgen der vergleichenden
Uteraturgeschichte." (Leipzig, Brockhaus. 1884.) Ausführlich sind daselbst die „Epische Ge-
bankcndichtung" und die „Gcdankenlyrik" behandelt (S. 347—367 und S. 405—407.)
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[0363] Moriz Larriere und seine Gedichte. ringcrer als der Apostel Paulus. Wer Luther widerlegen will, muß zuvor Paulum widerlegt haben." Wir überschätzen diese Jubelfeier deS Jahres drei- nndnchtzig nicht, wir wissen, es ist viel künstliche Begeisterung dabei, aber wir unterschätzen sie auch nicht. Es giebt noch evangelisches Volk. Sobald man ernstlich seinen Besitz bedrohen wollte, würde es sich erheben wie ein Mann, mit dem Rufe: Das Wort sie sollen lassen star. Moriz Carriere und seine Gedichte. eit etwa vierzig Jahren ist der Name Moriz Carriere mit der Entwicklung der deutschen Ästhetik und Philosophie eng verbunden. Es ist insbesondre sein großes Haupt- und Lebenswerk in fünf Bänden: „Die Kunst im Zusammenhange der Kulturentwicklung und die Ideale der Menschheit," dessen wiederholte Auflagen den Namen und die Gedanken Carrieres in die weitesten Kreise getragen haben. Nicht bloß die reiche Ideenfülle, nicht bloß die staunenswerte Beherrschung des unendlichen Stoffes, auch nicht bloß der überall sich bekundende feine Takt und maßgebende Geschmack haben den Ruhm des Verfassers begründet, sondern auch die wahrhaft schöne Diktion, der Glanz der Sprache und die Wärme der Dar¬ stellung. Die reiche Bildersprache, der hinreißende Schwung und die harmonische Abrundung in allen Werken Carrieres lassen auf einen Mann schließen, dem das Künstlerische in Fleisch und Blut übergegangen ist, der sich mit der Kunst theoretisch beschäftigt, weil er felbst etwas vom Künstler an sich hat. Und wer die verschiedenen Werke Carrieres aufmerksam verfolgte, wußte wohl, daß er an manchen Stellen derselben formvollendete Gedichte eingestreut hatte, wo der begeisternde Gegenstand zu dichterischer Begeisterung hinreißen mußte. „Es giebt Grenzgebiete der Poesie und Prosa," sagt Carriere selbst in seinem Werke „Das Wesen und die Formen der Poesie";*) „jeder Denker, dem zum erstenmale eine große Wahrheit in der Seele aufblitzt, wird von ihr begeistert; und wie sich Hin jetzt das ganze Dasein in reinerem, hellerem Lichte zeigt, wie er den Ein- Dieses schöne Werk ist soeben in zweiter, umgcarbcitcr Auflage erschienen unter dem ^'tel: „Die Poesie. Ihr Wesen und ihre Formen mit Grundzttgen der vergleichenden Uteraturgeschichte." (Leipzig, Brockhaus. 1884.) Ausführlich sind daselbst die „Epische Ge- bankcndichtung" und die „Gcdankenlyrik" behandelt (S. 347—367 und S. 405—407.) Grmzvoten IV. 1883. 45

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/363>, abgerufen am 13.11.2024.