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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Zum Tutherfeste.

der übrigens noch zu mancher Parallele mit Luther Anlaß gebe" könnte -
vor: "Ich habe immer bar und richtig gelebt." Er meint, daß er sich seinem
Werke nicht schuldig geblieben sei. Luther hat sich, seine Person und sein Leben
zehnmal daran gegeben, nicht im Affekt oder aus einer gewissen Lüsternheit
"ach der Märtyrerkrone, sondern in kühler Überlegung, weil es die Sache wollte.
Er hat wie kaum ein andrer "bar und richtig" gelebt. Sein Guthaben sind
seine Werke, die er schrieb, und sein Werk, das er schuf, die Reformation.

Es gewährt ein wirkliches Vergnügen, zu lesen, wie Luther die Dinge be¬
herrschte, wie er um Haupteslänge über alle andern emporragte. Die ge¬
wappneten Helden, welche die katholische Wissenschaft gegen ihn aussandte, lagen
im Sande, ehe sie noch recht die Lanze eingesetzt hatten. Als nach der Sitzung
im Reichstage zu Worms Constans sich seine Sporen an Luther verdienen
wollte, ward er so schnell und so gründlich abgefertigt, daß er zum allgemeinen
Gelächter wurde. Als in Wittenberg Karlstadt mit seinen Rabulisten Unfug
anrichtete -- auch Luthers Freunde, auch Melanchthon, hatten das Konzept ver¬
loren und wußten keinen Rat --, hielt es Luther für unnötig, um solcher kleinen
verächtlichen Dinge willen ernstlich einzugreifen. Dennoch kehrte er zurück, damit
sein Werk nicht in den Augen des katholischen Volkes kompromittirt werde.
Sobald aber seine helle Stimme erklang, sobald er die Fäden am richtigen
Ende anfaßte, fiel die ganze Verwirrung auseinander, und es zeigte sich, daß
es wirklich kleine verächtliche Dinge -- Luther meint Adiaphora -- gewesen
waren, die den Sturm veranlaßt hatten. Und so hat er immer die Situation
beherrscht, die vorliegende Frage beim Kopf erfaßt und das rechte Wort ge¬
troffen. Dürer hat recht, wenn er gerade dies hervorhebt, daß Luther klarer
geschrieben habe als irgend einer vor ihm. Das ist in der That Luthers ganz
besondrer Charakter, daß er sich bei Nebendinge" nicht aufhält, mit Redeblumen
und Umkleidungcn nicht zerstreut, daß er theatralisches Pathos nicht kennt,
sonder" immer aufs Ganze geht, daß er immer rund und klar ausspricht, was
er will. Man hat nie den Eindruck, daß er mit seinem Stoffe ringe, er besitzt
ihn als zweifelloses Eigentum und weiß ih" mit so gewaltigen, treffenden Worten
und Gründen darzulegen, daß er seines Erfolges sicher sein konnte.

Es war nicht leicht, in damaliger Zeit sich zu solcher Sachlichkeit und
Klarheit durchzuringen. Luther hat auch deu Bildungsgang jener Zeit durch¬
machen, die Hölle und das Fegefeuer jener Schulen, wo einer unter Zittern,
Angst und Jammer zwanzig oder dreißig Jahre über dem Donat und Alexander
lernen mußte, genießen, er hat die tollen Mönchs- und Sophistenbücher, deu-
ganzen scholastischen Unrat, den Wust unzähliger Definitionen, Disjunktionen
und Deklarationen durcharbeiten, er hat sich seine Welt neu schaffen müsse".
Das ist eine Aufgabe, die eines großen Mannes würdig war. Auch der Huma¬
nismus'hatte die entartete Scholastik weggeworfen, jedoch nur um sich wieder
mit fremdem Rocke, der antiken Rede- und Denkweise, zu bekleiden. Bei Luther


Zum Tutherfeste.

der übrigens noch zu mancher Parallele mit Luther Anlaß gebe» könnte -
vor: „Ich habe immer bar und richtig gelebt." Er meint, daß er sich seinem
Werke nicht schuldig geblieben sei. Luther hat sich, seine Person und sein Leben
zehnmal daran gegeben, nicht im Affekt oder aus einer gewissen Lüsternheit
»ach der Märtyrerkrone, sondern in kühler Überlegung, weil es die Sache wollte.
Er hat wie kaum ein andrer „bar und richtig" gelebt. Sein Guthaben sind
seine Werke, die er schrieb, und sein Werk, das er schuf, die Reformation.

Es gewährt ein wirkliches Vergnügen, zu lesen, wie Luther die Dinge be¬
herrschte, wie er um Haupteslänge über alle andern emporragte. Die ge¬
wappneten Helden, welche die katholische Wissenschaft gegen ihn aussandte, lagen
im Sande, ehe sie noch recht die Lanze eingesetzt hatten. Als nach der Sitzung
im Reichstage zu Worms Constans sich seine Sporen an Luther verdienen
wollte, ward er so schnell und so gründlich abgefertigt, daß er zum allgemeinen
Gelächter wurde. Als in Wittenberg Karlstadt mit seinen Rabulisten Unfug
anrichtete — auch Luthers Freunde, auch Melanchthon, hatten das Konzept ver¬
loren und wußten keinen Rat —, hielt es Luther für unnötig, um solcher kleinen
verächtlichen Dinge willen ernstlich einzugreifen. Dennoch kehrte er zurück, damit
sein Werk nicht in den Augen des katholischen Volkes kompromittirt werde.
Sobald aber seine helle Stimme erklang, sobald er die Fäden am richtigen
Ende anfaßte, fiel die ganze Verwirrung auseinander, und es zeigte sich, daß
es wirklich kleine verächtliche Dinge — Luther meint Adiaphora — gewesen
waren, die den Sturm veranlaßt hatten. Und so hat er immer die Situation
beherrscht, die vorliegende Frage beim Kopf erfaßt und das rechte Wort ge¬
troffen. Dürer hat recht, wenn er gerade dies hervorhebt, daß Luther klarer
geschrieben habe als irgend einer vor ihm. Das ist in der That Luthers ganz
besondrer Charakter, daß er sich bei Nebendinge» nicht aufhält, mit Redeblumen
und Umkleidungcn nicht zerstreut, daß er theatralisches Pathos nicht kennt,
sonder» immer aufs Ganze geht, daß er immer rund und klar ausspricht, was
er will. Man hat nie den Eindruck, daß er mit seinem Stoffe ringe, er besitzt
ihn als zweifelloses Eigentum und weiß ih» mit so gewaltigen, treffenden Worten
und Gründen darzulegen, daß er seines Erfolges sicher sein konnte.

Es war nicht leicht, in damaliger Zeit sich zu solcher Sachlichkeit und
Klarheit durchzuringen. Luther hat auch deu Bildungsgang jener Zeit durch¬
machen, die Hölle und das Fegefeuer jener Schulen, wo einer unter Zittern,
Angst und Jammer zwanzig oder dreißig Jahre über dem Donat und Alexander
lernen mußte, genießen, er hat die tollen Mönchs- und Sophistenbücher, deu-
ganzen scholastischen Unrat, den Wust unzähliger Definitionen, Disjunktionen
und Deklarationen durcharbeiten, er hat sich seine Welt neu schaffen müsse».
Das ist eine Aufgabe, die eines großen Mannes würdig war. Auch der Huma¬
nismus'hatte die entartete Scholastik weggeworfen, jedoch nur um sich wieder
mit fremdem Rocke, der antiken Rede- und Denkweise, zu bekleiden. Bei Luther


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/360>, abgerufen am 28.07.2024.