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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Da5 neue Aktiengesetz.

in unserm Rcichsstrafgcsetzbuch einen so komplizirten Begriff des Betruges, daß
daneben der gemeine Schwindel noch recht gut und ungenirt bestehen kann. Diese
Begriffsbestimmung führt dahin, daß in der Gründerzeit die schreiendsten Rechts¬
verletzungen straflos begangen wurden und Leute, für welche die Zuchthauszelle
der würdige Aufenthalt gewesen wäre, Paläste bezogen, die sie aus erschwindeltem
Geld erbaut haben. Nicht ungestraft darf man der Moral des Volkes ins
Gesicht schlagen, und wenn hentzutage oft niedrige Leidenschaften gegen die
Villenbesitzer aufgestachelt werden, so ist das leider nur der niedrige Gegenchoe
zu dem Choc der erstgeschilderten Art.

Die Motive bemerken: "Die Begriffsbestimmung des Betruges genügt für
die gewöhnlichen Lebensverhältnisse (!), ihre Anwendung versagt dagegen auf dem
Gebiete des Aktienwesens, namentlich wenn in Zeiten hochgehender geschäftlicher
Unternehmungen sich die Zahl der Gründungen in das Ungemessene steigert und
die Aktien den Geldmarkt beherrschen. Verkäufe und Käufe vollziehen sich dabei
einerseits meist ohne schriftliche Fixirung der Rechte und Verbindlichkeiten der
Kontrahenten, andrerseits treten dabei soviele Personen handelnd auf, daß es
fast unmöglich ist, einer bestimmten Person eine Verantwortlichkeit für einzelne
Akte nachzuweisen. Je leichter sich aber der Einzelne der Verantwortlichkeit für
seine Mitwirkung bei derartigen Geschäften entziehen kann, desto verlockender
wird die Überschreitung der Grenzen des Erlaubten durch falsche Versicherungen,
unwahre Anpreisungen und Verschweigung von Thatsachen, welche für die
Beurteilung des Wertes eines Aktienunternehmens von wesentlichem Einflüsse
sind."

Der Entwurf straft mit Gefängnis bis zu einem Jahre und Geldstrafe bis
zu 10 000 Mark diejenigen, welche in öffentlichen Bekanntmachungen falsche
Thatsachen vorspiegeln oder wahre entstellen, um zur Beteiligung an einem
Aktienunternehmen zu bestimmen. Damit werden hoffentlich die marktschreierischen
Prospekte verschwinden und die Herren Zeitungsschreiber weniger rosig die neuen
Gründungen schildern, denn anch sie werden von derselben Strafe getroffen.
Gleiche Strafe ist auf die sogenannten Tartarennachrichten gesetzt, deren schon
in Hauffs "Memoiren des Satans" Erwähnung geschieht, und die sich an allen
Börsen der Welt das Bürgerrecht verschafft haben: betrügerische Depeschen,
fingirte Aufträge, Scheinmanipulationen für die Unvorsichtigen. Der Entwurf
bedroht den, der in betrügerischer Absicht auf Täuschung berechnete Mittel an¬
wendet, um auf deu Kurs der Aktien einzuwirken. Die Findigkeit mag sich
also in Zukunft andre Gebiete aufsuchen. Wünschenswert wäre es nur gewesen,
daß der Entwurf auch solche Leute wirklich als das bezeichnet, was sie sind,
nämlich als Betrüger. Noch höhere Strafen (bis fünf Jahre Gefängnis und bis
20 000 Mark Geld) ist für Betrügereien bei Anmeldung des Gesellschaftsver-
trages zum Handelsregister, bei Darstellungen in der Generalversammlung u. s. w.,
sowie für Untreue gegen die Gesellschaften angedroht. Namentlich die letztge-


Da5 neue Aktiengesetz.

in unserm Rcichsstrafgcsetzbuch einen so komplizirten Begriff des Betruges, daß
daneben der gemeine Schwindel noch recht gut und ungenirt bestehen kann. Diese
Begriffsbestimmung führt dahin, daß in der Gründerzeit die schreiendsten Rechts¬
verletzungen straflos begangen wurden und Leute, für welche die Zuchthauszelle
der würdige Aufenthalt gewesen wäre, Paläste bezogen, die sie aus erschwindeltem
Geld erbaut haben. Nicht ungestraft darf man der Moral des Volkes ins
Gesicht schlagen, und wenn hentzutage oft niedrige Leidenschaften gegen die
Villenbesitzer aufgestachelt werden, so ist das leider nur der niedrige Gegenchoe
zu dem Choc der erstgeschilderten Art.

Die Motive bemerken: „Die Begriffsbestimmung des Betruges genügt für
die gewöhnlichen Lebensverhältnisse (!), ihre Anwendung versagt dagegen auf dem
Gebiete des Aktienwesens, namentlich wenn in Zeiten hochgehender geschäftlicher
Unternehmungen sich die Zahl der Gründungen in das Ungemessene steigert und
die Aktien den Geldmarkt beherrschen. Verkäufe und Käufe vollziehen sich dabei
einerseits meist ohne schriftliche Fixirung der Rechte und Verbindlichkeiten der
Kontrahenten, andrerseits treten dabei soviele Personen handelnd auf, daß es
fast unmöglich ist, einer bestimmten Person eine Verantwortlichkeit für einzelne
Akte nachzuweisen. Je leichter sich aber der Einzelne der Verantwortlichkeit für
seine Mitwirkung bei derartigen Geschäften entziehen kann, desto verlockender
wird die Überschreitung der Grenzen des Erlaubten durch falsche Versicherungen,
unwahre Anpreisungen und Verschweigung von Thatsachen, welche für die
Beurteilung des Wertes eines Aktienunternehmens von wesentlichem Einflüsse
sind."

Der Entwurf straft mit Gefängnis bis zu einem Jahre und Geldstrafe bis
zu 10 000 Mark diejenigen, welche in öffentlichen Bekanntmachungen falsche
Thatsachen vorspiegeln oder wahre entstellen, um zur Beteiligung an einem
Aktienunternehmen zu bestimmen. Damit werden hoffentlich die marktschreierischen
Prospekte verschwinden und die Herren Zeitungsschreiber weniger rosig die neuen
Gründungen schildern, denn anch sie werden von derselben Strafe getroffen.
Gleiche Strafe ist auf die sogenannten Tartarennachrichten gesetzt, deren schon
in Hauffs „Memoiren des Satans" Erwähnung geschieht, und die sich an allen
Börsen der Welt das Bürgerrecht verschafft haben: betrügerische Depeschen,
fingirte Aufträge, Scheinmanipulationen für die Unvorsichtigen. Der Entwurf
bedroht den, der in betrügerischer Absicht auf Täuschung berechnete Mittel an¬
wendet, um auf deu Kurs der Aktien einzuwirken. Die Findigkeit mag sich
also in Zukunft andre Gebiete aufsuchen. Wünschenswert wäre es nur gewesen,
daß der Entwurf auch solche Leute wirklich als das bezeichnet, was sie sind,
nämlich als Betrüger. Noch höhere Strafen (bis fünf Jahre Gefängnis und bis
20 000 Mark Geld) ist für Betrügereien bei Anmeldung des Gesellschaftsver-
trages zum Handelsregister, bei Darstellungen in der Generalversammlung u. s. w.,
sowie für Untreue gegen die Gesellschaften angedroht. Namentlich die letztge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/354>, abgerufen am 01.09.2024.