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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Der verfasirmgsbruch der Fortschrittspartei.

drücklich, "daß die Entziehung der Diäten für die Abgeordneten des nord¬
deutschen Parlaments auf eine Berkehrung des allgemeinen gleichen direkten
Wahlrechtes hinausläuft. Dies ist doppelt der Fall, weil man nicht nur die
Nichtzahlung der Diäten aus Staatsmitteln verlangt, sondern weil man auch
ein Verbot hinzufügt, daß dergleichen aus Privatmitteln den Ab¬
geordneten gewährt werden dürfe." Es stand damals noch sehr in Frage,
ob die Abstimmung zu Gunsten der Regierung ausfallen würde, und Herr
von Bennigsen, ein Anhänger der Diäten, der da bemüht war, die Streitpunkte
zu mildern, erklärte (a. a. O., S. 709), daß nach seiner Meinung das Zahlen
einer Entschädigung an einen Abgeordneten aus Privatmitteln nicht ausgeschlossen
werden sollte. "Ich würde es allerdings -- fügte er hinzu -- für wünschens¬
wert halten, wenn von feiten des Herrn Vorsitzenden der Buudeskommissarien
in dieser Hinsicht eine Erläuterung erfolgte. Diese ist auch erfolgt, aber freilich
nicht in dem von Bennigsen erhofften Sinne. Denn in der folgenden Sitzung
erwiederte der damalige Ministerpräsident Graf von Bismarck (a. a. O., S. 727):
"Ich habe in den Verfassungsentwurf nichts hinein zu interpretiren, was
nicht drin steht, und meines Trachtens steht das drin und liegt in der ge¬
samten Lage unsrer Gesetzgebungen, daß die Regierungen ohne eine strafgesetz¬
liche Unterlage nur denen etwas verbieten können, denen sie überhaupt zu be-^
fehlen haben." Durch diese Worte wird zunächst Herr von Bennigsen bedeutet,
daß er nichts Hineininterpretiren solle, was nicht in der Verfassung stehe, dann
aber bemerkt der Kanzler, daß bei dem Mangel allgemeiner strafrechtlicher Be¬
stimmungen jedenfalls den Beamten gegenüber im Disziplinarwegc würde ein¬
geschritten werden. Das nur ist der Sinn seiner markigen Worte.

Aber sei dem, wie ihm wolle. Auch wenn man das Gesetz ablöst von
seiner Entstehungsgeschichte, so wie es lautet, ist sein Sinn unzweifelhaft: Von
keiner Seite darf ein Abgeordneter für seine Thätigkeit eine Entschädigung oder
Besoldung erhalten. Das Gesetz mag manchem nicht passen, aber Aura Isx,
8ö<1 lsx. Wo sind nun die Phrasen von der Majestät des Gesetzes, ihr Herren
vom Fortschritt, mit denen ihr so reichlich um euch werfet? Wo ist das Ge¬
borner gegen Verfassuugsbruch, mit dem ihr so oft die Wände der Volksver¬
sammlungen und Parlamente erdröhnen ließet? Soll das Sprichwort umgekehrt
gelten: (juoä neu liest ^ovi, liest bovi? Die Heuchelei geht weit, die Vossische
Zeitung z. B. sagt, die Sache sei bedenklich, aber doch der Regierung bekannt
gewesen, die dagegen nicht eingeschritten sei. Hoffentlich werden die Freunde
der Bohnischen Zeitung im demnächstigen Parlament dem Reichskanzler die Mittel
gewähren, gegen Abgeordnete, welche in dieser Weise offen die Verfassung brechen,
einzuschreiten; denn da jetzt für Geld soviel zu haben ist, könnte es allmählich
dahin kommen, daß die Mehrheit der Volksvertreter von Privaten besoldet würde.

Soll der Parlamentarismus nicht durch sich selbst begraben werden und
an seiner eignen UnWürdigkeit zu Grunde gehen, dann ist es Zeit, mit diesen


Der verfasirmgsbruch der Fortschrittspartei.

drücklich, „daß die Entziehung der Diäten für die Abgeordneten des nord¬
deutschen Parlaments auf eine Berkehrung des allgemeinen gleichen direkten
Wahlrechtes hinausläuft. Dies ist doppelt der Fall, weil man nicht nur die
Nichtzahlung der Diäten aus Staatsmitteln verlangt, sondern weil man auch
ein Verbot hinzufügt, daß dergleichen aus Privatmitteln den Ab¬
geordneten gewährt werden dürfe." Es stand damals noch sehr in Frage,
ob die Abstimmung zu Gunsten der Regierung ausfallen würde, und Herr
von Bennigsen, ein Anhänger der Diäten, der da bemüht war, die Streitpunkte
zu mildern, erklärte (a. a. O., S. 709), daß nach seiner Meinung das Zahlen
einer Entschädigung an einen Abgeordneten aus Privatmitteln nicht ausgeschlossen
werden sollte. „Ich würde es allerdings — fügte er hinzu — für wünschens¬
wert halten, wenn von feiten des Herrn Vorsitzenden der Buudeskommissarien
in dieser Hinsicht eine Erläuterung erfolgte. Diese ist auch erfolgt, aber freilich
nicht in dem von Bennigsen erhofften Sinne. Denn in der folgenden Sitzung
erwiederte der damalige Ministerpräsident Graf von Bismarck (a. a. O., S. 727):
„Ich habe in den Verfassungsentwurf nichts hinein zu interpretiren, was
nicht drin steht, und meines Trachtens steht das drin und liegt in der ge¬
samten Lage unsrer Gesetzgebungen, daß die Regierungen ohne eine strafgesetz¬
liche Unterlage nur denen etwas verbieten können, denen sie überhaupt zu be-^
fehlen haben." Durch diese Worte wird zunächst Herr von Bennigsen bedeutet,
daß er nichts Hineininterpretiren solle, was nicht in der Verfassung stehe, dann
aber bemerkt der Kanzler, daß bei dem Mangel allgemeiner strafrechtlicher Be¬
stimmungen jedenfalls den Beamten gegenüber im Disziplinarwegc würde ein¬
geschritten werden. Das nur ist der Sinn seiner markigen Worte.

Aber sei dem, wie ihm wolle. Auch wenn man das Gesetz ablöst von
seiner Entstehungsgeschichte, so wie es lautet, ist sein Sinn unzweifelhaft: Von
keiner Seite darf ein Abgeordneter für seine Thätigkeit eine Entschädigung oder
Besoldung erhalten. Das Gesetz mag manchem nicht passen, aber Aura Isx,
8ö<1 lsx. Wo sind nun die Phrasen von der Majestät des Gesetzes, ihr Herren
vom Fortschritt, mit denen ihr so reichlich um euch werfet? Wo ist das Ge¬
borner gegen Verfassuugsbruch, mit dem ihr so oft die Wände der Volksver¬
sammlungen und Parlamente erdröhnen ließet? Soll das Sprichwort umgekehrt
gelten: (juoä neu liest ^ovi, liest bovi? Die Heuchelei geht weit, die Vossische
Zeitung z. B. sagt, die Sache sei bedenklich, aber doch der Regierung bekannt
gewesen, die dagegen nicht eingeschritten sei. Hoffentlich werden die Freunde
der Bohnischen Zeitung im demnächstigen Parlament dem Reichskanzler die Mittel
gewähren, gegen Abgeordnete, welche in dieser Weise offen die Verfassung brechen,
einzuschreiten; denn da jetzt für Geld soviel zu haben ist, könnte es allmählich
dahin kommen, daß die Mehrheit der Volksvertreter von Privaten besoldet würde.

Soll der Parlamentarismus nicht durch sich selbst begraben werden und
an seiner eignen UnWürdigkeit zu Grunde gehen, dann ist es Zeit, mit diesen


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[0342] Der verfasirmgsbruch der Fortschrittspartei. drücklich, „daß die Entziehung der Diäten für die Abgeordneten des nord¬ deutschen Parlaments auf eine Berkehrung des allgemeinen gleichen direkten Wahlrechtes hinausläuft. Dies ist doppelt der Fall, weil man nicht nur die Nichtzahlung der Diäten aus Staatsmitteln verlangt, sondern weil man auch ein Verbot hinzufügt, daß dergleichen aus Privatmitteln den Ab¬ geordneten gewährt werden dürfe." Es stand damals noch sehr in Frage, ob die Abstimmung zu Gunsten der Regierung ausfallen würde, und Herr von Bennigsen, ein Anhänger der Diäten, der da bemüht war, die Streitpunkte zu mildern, erklärte (a. a. O., S. 709), daß nach seiner Meinung das Zahlen einer Entschädigung an einen Abgeordneten aus Privatmitteln nicht ausgeschlossen werden sollte. „Ich würde es allerdings — fügte er hinzu — für wünschens¬ wert halten, wenn von feiten des Herrn Vorsitzenden der Buudeskommissarien in dieser Hinsicht eine Erläuterung erfolgte. Diese ist auch erfolgt, aber freilich nicht in dem von Bennigsen erhofften Sinne. Denn in der folgenden Sitzung erwiederte der damalige Ministerpräsident Graf von Bismarck (a. a. O., S. 727): „Ich habe in den Verfassungsentwurf nichts hinein zu interpretiren, was nicht drin steht, und meines Trachtens steht das drin und liegt in der ge¬ samten Lage unsrer Gesetzgebungen, daß die Regierungen ohne eine strafgesetz¬ liche Unterlage nur denen etwas verbieten können, denen sie überhaupt zu be-^ fehlen haben." Durch diese Worte wird zunächst Herr von Bennigsen bedeutet, daß er nichts Hineininterpretiren solle, was nicht in der Verfassung stehe, dann aber bemerkt der Kanzler, daß bei dem Mangel allgemeiner strafrechtlicher Be¬ stimmungen jedenfalls den Beamten gegenüber im Disziplinarwegc würde ein¬ geschritten werden. Das nur ist der Sinn seiner markigen Worte. Aber sei dem, wie ihm wolle. Auch wenn man das Gesetz ablöst von seiner Entstehungsgeschichte, so wie es lautet, ist sein Sinn unzweifelhaft: Von keiner Seite darf ein Abgeordneter für seine Thätigkeit eine Entschädigung oder Besoldung erhalten. Das Gesetz mag manchem nicht passen, aber Aura Isx, 8ö<1 lsx. Wo sind nun die Phrasen von der Majestät des Gesetzes, ihr Herren vom Fortschritt, mit denen ihr so reichlich um euch werfet? Wo ist das Ge¬ borner gegen Verfassuugsbruch, mit dem ihr so oft die Wände der Volksver¬ sammlungen und Parlamente erdröhnen ließet? Soll das Sprichwort umgekehrt gelten: (juoä neu liest ^ovi, liest bovi? Die Heuchelei geht weit, die Vossische Zeitung z. B. sagt, die Sache sei bedenklich, aber doch der Regierung bekannt gewesen, die dagegen nicht eingeschritten sei. Hoffentlich werden die Freunde der Bohnischen Zeitung im demnächstigen Parlament dem Reichskanzler die Mittel gewähren, gegen Abgeordnete, welche in dieser Weise offen die Verfassung brechen, einzuschreiten; denn da jetzt für Geld soviel zu haben ist, könnte es allmählich dahin kommen, daß die Mehrheit der Volksvertreter von Privaten besoldet würde. Soll der Parlamentarismus nicht durch sich selbst begraben werden und an seiner eignen UnWürdigkeit zu Grunde gehen, dann ist es Zeit, mit diesen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/342>, abgerufen am 28.07.2024.