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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Lrcmcesca von Rimim.

Natur und Kunst in ihm hervorriefen, regten den Sturm seiner Seele nur noch
mehr auf. Wenn er auch auf der weitern Reise mit vielem Eifer seinen Stu¬
dien oblag und seine Mappe mit einer Reihe guter Skizzen bereicherte, so füllte
er doch nicht damit die Leere seines Gemütes aus. Gar mancher junge Künstler
ist an der Sinnlichkeit Italiens zu Grunde gegangen und hat gerade in dem
Studium der großen Meisterwerke einen Anreiz zu neuen Begierden gefunden.
Auch die Madonna war für Oswald nur ein Weib, und seine Augen suchten
auf den Straßen die Abkömmlinge jener Frauen, welche für Paolo Veronese
und Tizian das Muster gebildet hatten.

Auf dieser Reise unserm jungen Freunde Schritt für Schritt zu folgen,
würde eine schwere Aufgabe sein. Es wird genügen, den Passionsweg, den er
auf dem Kalvarienberge des Lebens wandelte, aus den Briefen zu erkennen,
die er von Zeit zu Zeil an seinen Freund Harold Stolberg sandte -- Briefen,
welche nur in Poesien bestanden und denen er kein Wort weiter hinzufügte.

Aus Venedig.
Angelina.
Auf San Marcos schönem Platze
Unter rauschenden Gewändern,
Arm in Arm mit meinem Schatze
Fröhlich auf und nieder schlendern,
Bei dem Spiel der Violinen,
Bei dem Klang der Mandolinen,
Bei der Tauben trauten Girren,
Bei der Fledermäuse Schwirren,
Liebesworte heimlich flüstern,
Blicke wechseln, feurig, lüstern --
Sieh! das Paradies ist nah!
Angelina! Seh' ich wirklich die Madonne
Von Bellini sich beleben?
Von der Glorie Strcchlcnsonne
Ist ihr Haupt zwar nicht umgeben.
Doch in Venus heil'gen Kranze
Strahles in wunderbarem Glänze,
seelenvoll das Auge blicket,
Herz und Seele froh entzücket,
Die Madonna zu begrüßen,
Eile ich zu ihren Füßen.
Sieh! das Paradies ist nah!
Angelina! "Kann ich wegen meiner Sünden
-- Ach, ich sünd'ge alle Tage --
Bei dir, Herrin, Sühne finden,
Daß der Sünden Last ich trage?"

Lrcmcesca von Rimim.

Natur und Kunst in ihm hervorriefen, regten den Sturm seiner Seele nur noch
mehr auf. Wenn er auch auf der weitern Reise mit vielem Eifer seinen Stu¬
dien oblag und seine Mappe mit einer Reihe guter Skizzen bereicherte, so füllte
er doch nicht damit die Leere seines Gemütes aus. Gar mancher junge Künstler
ist an der Sinnlichkeit Italiens zu Grunde gegangen und hat gerade in dem
Studium der großen Meisterwerke einen Anreiz zu neuen Begierden gefunden.
Auch die Madonna war für Oswald nur ein Weib, und seine Augen suchten
auf den Straßen die Abkömmlinge jener Frauen, welche für Paolo Veronese
und Tizian das Muster gebildet hatten.

Auf dieser Reise unserm jungen Freunde Schritt für Schritt zu folgen,
würde eine schwere Aufgabe sein. Es wird genügen, den Passionsweg, den er
auf dem Kalvarienberge des Lebens wandelte, aus den Briefen zu erkennen,
die er von Zeit zu Zeil an seinen Freund Harold Stolberg sandte — Briefen,
welche nur in Poesien bestanden und denen er kein Wort weiter hinzufügte.

Aus Venedig.
Angelina.
Auf San Marcos schönem Platze
Unter rauschenden Gewändern,
Arm in Arm mit meinem Schatze
Fröhlich auf und nieder schlendern,
Bei dem Spiel der Violinen,
Bei dem Klang der Mandolinen,
Bei der Tauben trauten Girren,
Bei der Fledermäuse Schwirren,
Liebesworte heimlich flüstern,
Blicke wechseln, feurig, lüstern —
Sieh! das Paradies ist nah!
Angelina! Seh' ich wirklich die Madonne
Von Bellini sich beleben?
Von der Glorie Strcchlcnsonne
Ist ihr Haupt zwar nicht umgeben.
Doch in Venus heil'gen Kranze
Strahles in wunderbarem Glänze,
seelenvoll das Auge blicket,
Herz und Seele froh entzücket,
Die Madonna zu begrüßen,
Eile ich zu ihren Füßen.
Sieh! das Paradies ist nah!
Angelina! „Kann ich wegen meiner Sünden
— Ach, ich sünd'ge alle Tage —
Bei dir, Herrin, Sühne finden,
Daß der Sünden Last ich trage?"

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[0328] Lrcmcesca von Rimim. Natur und Kunst in ihm hervorriefen, regten den Sturm seiner Seele nur noch mehr auf. Wenn er auch auf der weitern Reise mit vielem Eifer seinen Stu¬ dien oblag und seine Mappe mit einer Reihe guter Skizzen bereicherte, so füllte er doch nicht damit die Leere seines Gemütes aus. Gar mancher junge Künstler ist an der Sinnlichkeit Italiens zu Grunde gegangen und hat gerade in dem Studium der großen Meisterwerke einen Anreiz zu neuen Begierden gefunden. Auch die Madonna war für Oswald nur ein Weib, und seine Augen suchten auf den Straßen die Abkömmlinge jener Frauen, welche für Paolo Veronese und Tizian das Muster gebildet hatten. Auf dieser Reise unserm jungen Freunde Schritt für Schritt zu folgen, würde eine schwere Aufgabe sein. Es wird genügen, den Passionsweg, den er auf dem Kalvarienberge des Lebens wandelte, aus den Briefen zu erkennen, die er von Zeit zu Zeil an seinen Freund Harold Stolberg sandte — Briefen, welche nur in Poesien bestanden und denen er kein Wort weiter hinzufügte. Aus Venedig. Angelina. Auf San Marcos schönem Platze Unter rauschenden Gewändern, Arm in Arm mit meinem Schatze Fröhlich auf und nieder schlendern, Bei dem Spiel der Violinen, Bei dem Klang der Mandolinen, Bei der Tauben trauten Girren, Bei der Fledermäuse Schwirren, Liebesworte heimlich flüstern, Blicke wechseln, feurig, lüstern — Sieh! das Paradies ist nah! Angelina! Seh' ich wirklich die Madonne Von Bellini sich beleben? Von der Glorie Strcchlcnsonne Ist ihr Haupt zwar nicht umgeben. Doch in Venus heil'gen Kranze Strahles in wunderbarem Glänze, seelenvoll das Auge blicket, Herz und Seele froh entzücket, Die Madonna zu begrüßen, Eile ich zu ihren Füßen. Sieh! das Paradies ist nah! Angelina! „Kann ich wegen meiner Sünden — Ach, ich sünd'ge alle Tage — Bei dir, Herrin, Sühne finden, Daß der Sünden Last ich trage?"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/328>, abgerufen am 28.07.2024.