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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Nochmals Rietschels Lutherkopf.

Bereiche seiner Kunst so festen, ja strengen großen Meister zur Seite stehen --
sollten wirklich "fremde Vorstellungen" (wie der Verfasser des Artikels in Ur. 81
der "Wissenschaftlicher Beilage der Leipziger Zeitung" annimmt, ohne über deren
Urheber und Inhalt des näheren Rechenschaft zu geben), stark genug gewesen
sein, Rietschel aus dein Besitze einer fertigen künstlerischen That zu vertreiben,
ihn zu bestimmen, sein Werk, nach fortgesetzter Abwehr so vieler unberufenen
Ratgeber, noch im letzten Augenblicke dem Einflüsse mitredender Freunde preis¬
zugeben?

Ich erhebe nicht den Anspruch, zur Entscheidung dieser und ähnlicher Fragen
mehr als einen Veitrag liefern zu können; aber ich darf hoffen, daß meinem
Beitrage insofern einiger Wert zuerkannt werden wird, als es Worte Rietschcls
sind, auf welche die Aufmerksamkeit hinzulenken vornehmlich seine Absicht ist.
In Bruno Meyers "Studien und Kritiken" (Stuttgart 1877, S. 129 ff.) wird
auf einen längeren, Luthers Monument in Worms betitelten Aufsatz
Rietschels Bezug genommen, der sich in einem seiner Notizbücher erhalten hat.
Meyer entnimmt diesem Aufsatze teils in wörtlicher Anführung, teils in skizzi-
render Wiedergabe seines Gedankenganges u, a. folgende Sätze: ""Daher ist auch
für Luther die Erscheinung und Kleidung zu wählen, welche sein ganzes späteres
Leben hindurch maßgebend war, in der seine Gestalt Eigentum der Volks-
anschauung geworden." . .. MönckMcid, Tonsur und Magerkeit würden Luther
kaum erkennen lassen. Es ist aber die erste Bedingung eines Nationalmouu-
mcntes, daß der Beschauer unmittelbar beim ersten Blicke dasselbe versteht,
ohne Abstraktion und Reflexion. Der im Volksbewnsztsein lebende Cranachsche
Luthertypus, künstlerisch günstiger aufgefaßt, muß an die Stelle der dem Pro¬
testantismus entgegengesetzten Mönchstypns treten."

Ich glaube, daß diese Bemerkungen Rietschels die Ursache erraten lassen,
weshalb er sich entschloß, seinem Gehilfen Änderungen an dem von ihm selbst
geschaffenen Lntherkopse aufzutragen, und bringe mit ihnen eine Stelle der von
mir in Ur. 201 des "Dresdner Anzeigers" veröffentlichten Auszüge aus Julius
Schmorrs Tagebuche in Zusammenhang.

Schmorr hatte am 3. Februar bei Gelegenheit eines Krankenbesuches, den
er Rietschel abstattete, aus seinem Munde erfahren, daß "Donndorf auf des
Meisters Auftrag an dem Kopf der Lutherstatue mehrere Änderungen vorge¬
nommen habe." Schmorrs Tagebuchaufzeichnungen geben leider nicht die Worte
wieder, mit denen Rietschel in dem Gespräche mit seinem Freunde Zweck und
Charakter der von ihm beschlossenen und von Donndorf zur Ausführung ge¬
brachten mehrfachen Veränderungen genauer bezeichnete. Dennoch lassen sich
Rietschels Intentionen aus dem erkennen, was Schmorr als sein Urteil über
die von Donndorf herrührenden Änderungen am folgenden Tage, den 4. Februar,
niederschreibe: "Ich glaube, daß die Änderungen DvnndorfS im wesentlichen
glücklich sind, und die Individualität des Reformators kräftiger und charal-


Nochmals Rietschels Lutherkopf.

Bereiche seiner Kunst so festen, ja strengen großen Meister zur Seite stehen —
sollten wirklich „fremde Vorstellungen" (wie der Verfasser des Artikels in Ur. 81
der „Wissenschaftlicher Beilage der Leipziger Zeitung" annimmt, ohne über deren
Urheber und Inhalt des näheren Rechenschaft zu geben), stark genug gewesen
sein, Rietschel aus dein Besitze einer fertigen künstlerischen That zu vertreiben,
ihn zu bestimmen, sein Werk, nach fortgesetzter Abwehr so vieler unberufenen
Ratgeber, noch im letzten Augenblicke dem Einflüsse mitredender Freunde preis¬
zugeben?

Ich erhebe nicht den Anspruch, zur Entscheidung dieser und ähnlicher Fragen
mehr als einen Veitrag liefern zu können; aber ich darf hoffen, daß meinem
Beitrage insofern einiger Wert zuerkannt werden wird, als es Worte Rietschcls
sind, auf welche die Aufmerksamkeit hinzulenken vornehmlich seine Absicht ist.
In Bruno Meyers „Studien und Kritiken" (Stuttgart 1877, S. 129 ff.) wird
auf einen längeren, Luthers Monument in Worms betitelten Aufsatz
Rietschels Bezug genommen, der sich in einem seiner Notizbücher erhalten hat.
Meyer entnimmt diesem Aufsatze teils in wörtlicher Anführung, teils in skizzi-
render Wiedergabe seines Gedankenganges u, a. folgende Sätze: „»Daher ist auch
für Luther die Erscheinung und Kleidung zu wählen, welche sein ganzes späteres
Leben hindurch maßgebend war, in der seine Gestalt Eigentum der Volks-
anschauung geworden.« . .. MönckMcid, Tonsur und Magerkeit würden Luther
kaum erkennen lassen. Es ist aber die erste Bedingung eines Nationalmouu-
mcntes, daß der Beschauer unmittelbar beim ersten Blicke dasselbe versteht,
ohne Abstraktion und Reflexion. Der im Volksbewnsztsein lebende Cranachsche
Luthertypus, künstlerisch günstiger aufgefaßt, muß an die Stelle der dem Pro¬
testantismus entgegengesetzten Mönchstypns treten."

Ich glaube, daß diese Bemerkungen Rietschels die Ursache erraten lassen,
weshalb er sich entschloß, seinem Gehilfen Änderungen an dem von ihm selbst
geschaffenen Lntherkopse aufzutragen, und bringe mit ihnen eine Stelle der von
mir in Ur. 201 des „Dresdner Anzeigers" veröffentlichten Auszüge aus Julius
Schmorrs Tagebuche in Zusammenhang.

Schmorr hatte am 3. Februar bei Gelegenheit eines Krankenbesuches, den
er Rietschel abstattete, aus seinem Munde erfahren, daß „Donndorf auf des
Meisters Auftrag an dem Kopf der Lutherstatue mehrere Änderungen vorge¬
nommen habe." Schmorrs Tagebuchaufzeichnungen geben leider nicht die Worte
wieder, mit denen Rietschel in dem Gespräche mit seinem Freunde Zweck und
Charakter der von ihm beschlossenen und von Donndorf zur Ausführung ge¬
brachten mehrfachen Veränderungen genauer bezeichnete. Dennoch lassen sich
Rietschels Intentionen aus dem erkennen, was Schmorr als sein Urteil über
die von Donndorf herrührenden Änderungen am folgenden Tage, den 4. Februar,
niederschreibe: „Ich glaube, daß die Änderungen DvnndorfS im wesentlichen
glücklich sind, und die Individualität des Reformators kräftiger und charal-


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[0320] Nochmals Rietschels Lutherkopf. Bereiche seiner Kunst so festen, ja strengen großen Meister zur Seite stehen — sollten wirklich „fremde Vorstellungen" (wie der Verfasser des Artikels in Ur. 81 der „Wissenschaftlicher Beilage der Leipziger Zeitung" annimmt, ohne über deren Urheber und Inhalt des näheren Rechenschaft zu geben), stark genug gewesen sein, Rietschel aus dein Besitze einer fertigen künstlerischen That zu vertreiben, ihn zu bestimmen, sein Werk, nach fortgesetzter Abwehr so vieler unberufenen Ratgeber, noch im letzten Augenblicke dem Einflüsse mitredender Freunde preis¬ zugeben? Ich erhebe nicht den Anspruch, zur Entscheidung dieser und ähnlicher Fragen mehr als einen Veitrag liefern zu können; aber ich darf hoffen, daß meinem Beitrage insofern einiger Wert zuerkannt werden wird, als es Worte Rietschcls sind, auf welche die Aufmerksamkeit hinzulenken vornehmlich seine Absicht ist. In Bruno Meyers „Studien und Kritiken" (Stuttgart 1877, S. 129 ff.) wird auf einen längeren, Luthers Monument in Worms betitelten Aufsatz Rietschels Bezug genommen, der sich in einem seiner Notizbücher erhalten hat. Meyer entnimmt diesem Aufsatze teils in wörtlicher Anführung, teils in skizzi- render Wiedergabe seines Gedankenganges u, a. folgende Sätze: „»Daher ist auch für Luther die Erscheinung und Kleidung zu wählen, welche sein ganzes späteres Leben hindurch maßgebend war, in der seine Gestalt Eigentum der Volks- anschauung geworden.« . .. MönckMcid, Tonsur und Magerkeit würden Luther kaum erkennen lassen. Es ist aber die erste Bedingung eines Nationalmouu- mcntes, daß der Beschauer unmittelbar beim ersten Blicke dasselbe versteht, ohne Abstraktion und Reflexion. Der im Volksbewnsztsein lebende Cranachsche Luthertypus, künstlerisch günstiger aufgefaßt, muß an die Stelle der dem Pro¬ testantismus entgegengesetzten Mönchstypns treten." Ich glaube, daß diese Bemerkungen Rietschels die Ursache erraten lassen, weshalb er sich entschloß, seinem Gehilfen Änderungen an dem von ihm selbst geschaffenen Lntherkopse aufzutragen, und bringe mit ihnen eine Stelle der von mir in Ur. 201 des „Dresdner Anzeigers" veröffentlichten Auszüge aus Julius Schmorrs Tagebuche in Zusammenhang. Schmorr hatte am 3. Februar bei Gelegenheit eines Krankenbesuches, den er Rietschel abstattete, aus seinem Munde erfahren, daß „Donndorf auf des Meisters Auftrag an dem Kopf der Lutherstatue mehrere Änderungen vorge¬ nommen habe." Schmorrs Tagebuchaufzeichnungen geben leider nicht die Worte wieder, mit denen Rietschel in dem Gespräche mit seinem Freunde Zweck und Charakter der von ihm beschlossenen und von Donndorf zur Ausführung ge¬ brachten mehrfachen Veränderungen genauer bezeichnete. Dennoch lassen sich Rietschels Intentionen aus dem erkennen, was Schmorr als sein Urteil über die von Donndorf herrührenden Änderungen am folgenden Tage, den 4. Februar, niederschreibe: „Ich glaube, daß die Änderungen DvnndorfS im wesentlichen glücklich sind, und die Individualität des Reformators kräftiger und charal-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/320>, abgerufen am 27.07.2024.