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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Gedanken über Goethe.

sind jn Fremde, ältere Personen; umgekehrt duzt der Pfarrer bisweilen Hermann,
denn er ist sein Zögling und jüngerer Freund. So sagt auch Egmont zu seinem
Sekretär Dn, dieser zu jenem Ihr. Zwischen Hermann und Dorothea schwankt
die Anrede: er duzt sie in der idealen Sprache der Poesie, sie das bescheidene,
niedrigere Mädchen, sagt Ihr, und nur in der schönen Szene, wo beide am
Brunnen sitzen, und in jener andern, wo sie auf dem Heimweg eben zum Birn¬
baum gelangen, bedient sie sich des homerischen und antiken Du und Dir. Der
Vater nennt seine Frau Mutter (er spricht gleichsam im Namen der Kinder):


wahr ist auch die Geschichte,
Mütterchen, die du erzählst --

und sie ihn dagegen Vater:


Immer bist du doch, Vater, so ungerecht gegen den Sohn!

Auch zu dem würdigen Richter tritt der Pfarrer mit der Anrede Vater, die in
manchen Mundarten alter Zeit dem erfahrenen Greise, besonders dem Richter,
von selbst zukam; nennt doch auch Telemach den göttlichen Sauhirten wieder¬
holt d. h. Vater. Das Bürgermädchen bekommt noch nicht den Titel
Fräulein:


Bin weder Fräulein, weder schön --

und Frau Marthe sagt:


Denk doch, der Herr dich sür ein Fräulein hält!

Später sagt Mephisto bloß Jungfrau:


Und hier die Jungfrau ist auch da?

wie auch Werther zu dem Dienstmädchen am Brunnen: "Soll ich ihr helfen,
Jungfer?" Der Ehemann wird mit Schatz, Wirt, Herr bezeichnet. So sagt Frau
Marthe:


Ich möchte gern ein Zeugnis haben,
Wo, wie und wann mein Schatz gestorben und begrabe" --

und Mephistopheles rät ihr an:


Wär ich nun jetzt an Eurem Platze,
Betraurt' ich ihn ein züchtig Jahr,
Visirt' dann untcrwcil nach einem neuen Schatze.

Elisabeth im "Götz" sagt: "Ich kann nicht begreifen, wo mein Herr bleibt,"
und so redet auch Gertrud in Schillers "Teil" ihren Mann an: "Mein lieber
Herr und Ehcwirt," und Staussacher sagt: "Bleibt doch, bis meine Wirtin
kommt." Jn der mehr modernen Sphäre des "Wilhelm Meister" aber spricht
der Graf zur Gräfin: "Mein Kind, betrachte mir diesen Mann genau."

Überblickt man Diesen mannichfachen Redegebrauch und vergleicht ihn mit
dem jetzigen, so ist nicht zu leugnen, daß sich darin vieles zum Bessern gewandt
hat. Wie wir unsern Briefen keine französische Aufschrift mehr geben, was doch
im vorigen Jahrhundert ganz allgemeine Sitte war, so betiteln wir die Frau


Gedanken über Goethe.

sind jn Fremde, ältere Personen; umgekehrt duzt der Pfarrer bisweilen Hermann,
denn er ist sein Zögling und jüngerer Freund. So sagt auch Egmont zu seinem
Sekretär Dn, dieser zu jenem Ihr. Zwischen Hermann und Dorothea schwankt
die Anrede: er duzt sie in der idealen Sprache der Poesie, sie das bescheidene,
niedrigere Mädchen, sagt Ihr, und nur in der schönen Szene, wo beide am
Brunnen sitzen, und in jener andern, wo sie auf dem Heimweg eben zum Birn¬
baum gelangen, bedient sie sich des homerischen und antiken Du und Dir. Der
Vater nennt seine Frau Mutter (er spricht gleichsam im Namen der Kinder):


wahr ist auch die Geschichte,
Mütterchen, die du erzählst —

und sie ihn dagegen Vater:


Immer bist du doch, Vater, so ungerecht gegen den Sohn!

Auch zu dem würdigen Richter tritt der Pfarrer mit der Anrede Vater, die in
manchen Mundarten alter Zeit dem erfahrenen Greise, besonders dem Richter,
von selbst zukam; nennt doch auch Telemach den göttlichen Sauhirten wieder¬
holt d. h. Vater. Das Bürgermädchen bekommt noch nicht den Titel
Fräulein:


Bin weder Fräulein, weder schön —

und Frau Marthe sagt:


Denk doch, der Herr dich sür ein Fräulein hält!

Später sagt Mephisto bloß Jungfrau:


Und hier die Jungfrau ist auch da?

wie auch Werther zu dem Dienstmädchen am Brunnen: „Soll ich ihr helfen,
Jungfer?" Der Ehemann wird mit Schatz, Wirt, Herr bezeichnet. So sagt Frau
Marthe:


Ich möchte gern ein Zeugnis haben,
Wo, wie und wann mein Schatz gestorben und begrabe» —

und Mephistopheles rät ihr an:


Wär ich nun jetzt an Eurem Platze,
Betraurt' ich ihn ein züchtig Jahr,
Visirt' dann untcrwcil nach einem neuen Schatze.

Elisabeth im „Götz" sagt: „Ich kann nicht begreifen, wo mein Herr bleibt,"
und so redet auch Gertrud in Schillers „Teil" ihren Mann an: „Mein lieber
Herr und Ehcwirt," und Staussacher sagt: „Bleibt doch, bis meine Wirtin
kommt." Jn der mehr modernen Sphäre des „Wilhelm Meister" aber spricht
der Graf zur Gräfin: „Mein Kind, betrachte mir diesen Mann genau."

Überblickt man Diesen mannichfachen Redegebrauch und vergleicht ihn mit
dem jetzigen, so ist nicht zu leugnen, daß sich darin vieles zum Bessern gewandt
hat. Wie wir unsern Briefen keine französische Aufschrift mehr geben, was doch
im vorigen Jahrhundert ganz allgemeine Sitte war, so betiteln wir die Frau


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[0318] Gedanken über Goethe. sind jn Fremde, ältere Personen; umgekehrt duzt der Pfarrer bisweilen Hermann, denn er ist sein Zögling und jüngerer Freund. So sagt auch Egmont zu seinem Sekretär Dn, dieser zu jenem Ihr. Zwischen Hermann und Dorothea schwankt die Anrede: er duzt sie in der idealen Sprache der Poesie, sie das bescheidene, niedrigere Mädchen, sagt Ihr, und nur in der schönen Szene, wo beide am Brunnen sitzen, und in jener andern, wo sie auf dem Heimweg eben zum Birn¬ baum gelangen, bedient sie sich des homerischen und antiken Du und Dir. Der Vater nennt seine Frau Mutter (er spricht gleichsam im Namen der Kinder): wahr ist auch die Geschichte, Mütterchen, die du erzählst — und sie ihn dagegen Vater: Immer bist du doch, Vater, so ungerecht gegen den Sohn! Auch zu dem würdigen Richter tritt der Pfarrer mit der Anrede Vater, die in manchen Mundarten alter Zeit dem erfahrenen Greise, besonders dem Richter, von selbst zukam; nennt doch auch Telemach den göttlichen Sauhirten wieder¬ holt d. h. Vater. Das Bürgermädchen bekommt noch nicht den Titel Fräulein: Bin weder Fräulein, weder schön — und Frau Marthe sagt: Denk doch, der Herr dich sür ein Fräulein hält! Später sagt Mephisto bloß Jungfrau: Und hier die Jungfrau ist auch da? wie auch Werther zu dem Dienstmädchen am Brunnen: „Soll ich ihr helfen, Jungfer?" Der Ehemann wird mit Schatz, Wirt, Herr bezeichnet. So sagt Frau Marthe: Ich möchte gern ein Zeugnis haben, Wo, wie und wann mein Schatz gestorben und begrabe» — und Mephistopheles rät ihr an: Wär ich nun jetzt an Eurem Platze, Betraurt' ich ihn ein züchtig Jahr, Visirt' dann untcrwcil nach einem neuen Schatze. Elisabeth im „Götz" sagt: „Ich kann nicht begreifen, wo mein Herr bleibt," und so redet auch Gertrud in Schillers „Teil" ihren Mann an: „Mein lieber Herr und Ehcwirt," und Staussacher sagt: „Bleibt doch, bis meine Wirtin kommt." Jn der mehr modernen Sphäre des „Wilhelm Meister" aber spricht der Graf zur Gräfin: „Mein Kind, betrachte mir diesen Mann genau." Überblickt man Diesen mannichfachen Redegebrauch und vergleicht ihn mit dem jetzigen, so ist nicht zu leugnen, daß sich darin vieles zum Bessern gewandt hat. Wie wir unsern Briefen keine französische Aufschrift mehr geben, was doch im vorigen Jahrhundert ganz allgemeine Sitte war, so betiteln wir die Frau

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/318>, abgerufen am 27.07.2024.