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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Gedanken über Goethe.

dich denn doch einmal unterwegs als einen Juden an und fordert Zoll und
Geleite von dir." Auch im "Reinere Fuchs" (10. Gesang):


Und auf Kräuter und Steine versteht sich der Jude besonders --

und im 5. Gesänge sagt Lampe:


Hüstcrlo nennen die Leute
Jenen Busch, wo Simonct lange, der Krumme, sich aufhielt,
Falsche Münze zu schlagen.

Im "Westöstlichen Divan," Buch der Betrachtungen, folgt auf den Spruch:


Da dacht ich: ehrlich sein
Ist doch das Beste;
War es nur kümmerlich,
So steht es feste --

gleich der andre:


Zu genießen weiß im Prachern
Abrahams geweihtes Blut,
Seh ich sie im Bazar schachern,
Kaufen wohlfeil, kaufen gut.

Setzt man sich diese und andre zerstreuten Züge zusammen, so erhält man un¬
gefähr ein Bild dessen, was die Juden in der Gesellschaft des achtzehnten Jahr¬
hunderts waren oder wofür sie galten oder wie der Dichter sie sich dachte.

Wir werfen zum Schlüsse noch einen Blick auf die Anredeformeln, wie sie
bei Goethe im geselligen Verkehr der Individuen und der Stände untereinander
herrschen, Formen, die uns noch immer eigentümlich ansprechen, wenn wir sie
auch nicht mehr brauchen. Schon bei den mittelhochdeutschen Dichtern gilt neben
dem natürlichen und vertraulichen Du ein aus dem Romanischen eingedrungenes
höfliches Ihr und Euch. Der Geringere nennt den Höhern Ihr und erhält
von ihm Du; in der Kaiserchrvnik duzt der Papst den Kaiser, der Kaiser giebt
dem Papst Ihr. Frauen und Geistliche werden mit Ihr angeredet; zwischen
Freunden gilt Du, zwischen Fremden Ihr. Auch Eheleute reden sich mit Ihr
an; der Vater empfängt von den Kindern Ihr, die Mutter vom Sohne gleich¬
falls Ihr, von der Tochter wegen größerer Vertraulichkeit Du. Gerät der
Sprechende in Leidenschaft oder Zorn, so verwandelt er das nähere Du in das
fremdere Ihr oder umgekehrt das höfliche Ihr in das gemeinere Du. Dies
blieb so bis etwa zu der Zeit des dreißigjährigen Krieges. Da entsprang aus
der dem französischen Monsieur und Madame nachgeahmten Anrede Herr und
Fran der Gebrauch der dritten Person Singularis, und dies Er und Sie be¬
zeichnete nun eine noch tiefere Ehrfurcht und Unterordnung des Redenden, als
das Ihr. Mit dem Ausgange des unglücklichen siebzehnten Jahrhunderts und
dem Beginn des achtzehnten, als überall kriechende Not herrschte und die per¬
sönliche Selbstachtung erloschen war, wurde das Er und Sie noch weiter über¬
boten: der Unterthcinige, der Furchtsame und Schmeichler, der die Kluft zwischen


Grenzboten IV. 1383. 39
Gedanken über Goethe.

dich denn doch einmal unterwegs als einen Juden an und fordert Zoll und
Geleite von dir." Auch im „Reinere Fuchs" (10. Gesang):


Und auf Kräuter und Steine versteht sich der Jude besonders —

und im 5. Gesänge sagt Lampe:


Hüstcrlo nennen die Leute
Jenen Busch, wo Simonct lange, der Krumme, sich aufhielt,
Falsche Münze zu schlagen.

Im „Westöstlichen Divan," Buch der Betrachtungen, folgt auf den Spruch:


Da dacht ich: ehrlich sein
Ist doch das Beste;
War es nur kümmerlich,
So steht es feste —

gleich der andre:


Zu genießen weiß im Prachern
Abrahams geweihtes Blut,
Seh ich sie im Bazar schachern,
Kaufen wohlfeil, kaufen gut.

Setzt man sich diese und andre zerstreuten Züge zusammen, so erhält man un¬
gefähr ein Bild dessen, was die Juden in der Gesellschaft des achtzehnten Jahr¬
hunderts waren oder wofür sie galten oder wie der Dichter sie sich dachte.

Wir werfen zum Schlüsse noch einen Blick auf die Anredeformeln, wie sie
bei Goethe im geselligen Verkehr der Individuen und der Stände untereinander
herrschen, Formen, die uns noch immer eigentümlich ansprechen, wenn wir sie
auch nicht mehr brauchen. Schon bei den mittelhochdeutschen Dichtern gilt neben
dem natürlichen und vertraulichen Du ein aus dem Romanischen eingedrungenes
höfliches Ihr und Euch. Der Geringere nennt den Höhern Ihr und erhält
von ihm Du; in der Kaiserchrvnik duzt der Papst den Kaiser, der Kaiser giebt
dem Papst Ihr. Frauen und Geistliche werden mit Ihr angeredet; zwischen
Freunden gilt Du, zwischen Fremden Ihr. Auch Eheleute reden sich mit Ihr
an; der Vater empfängt von den Kindern Ihr, die Mutter vom Sohne gleich¬
falls Ihr, von der Tochter wegen größerer Vertraulichkeit Du. Gerät der
Sprechende in Leidenschaft oder Zorn, so verwandelt er das nähere Du in das
fremdere Ihr oder umgekehrt das höfliche Ihr in das gemeinere Du. Dies
blieb so bis etwa zu der Zeit des dreißigjährigen Krieges. Da entsprang aus
der dem französischen Monsieur und Madame nachgeahmten Anrede Herr und
Fran der Gebrauch der dritten Person Singularis, und dies Er und Sie be¬
zeichnete nun eine noch tiefere Ehrfurcht und Unterordnung des Redenden, als
das Ihr. Mit dem Ausgange des unglücklichen siebzehnten Jahrhunderts und
dem Beginn des achtzehnten, als überall kriechende Not herrschte und die per¬
sönliche Selbstachtung erloschen war, wurde das Er und Sie noch weiter über¬
boten: der Unterthcinige, der Furchtsame und Schmeichler, der die Kluft zwischen


Grenzboten IV. 1383. 39
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[0315] Gedanken über Goethe. dich denn doch einmal unterwegs als einen Juden an und fordert Zoll und Geleite von dir." Auch im „Reinere Fuchs" (10. Gesang): Und auf Kräuter und Steine versteht sich der Jude besonders — und im 5. Gesänge sagt Lampe: Hüstcrlo nennen die Leute Jenen Busch, wo Simonct lange, der Krumme, sich aufhielt, Falsche Münze zu schlagen. Im „Westöstlichen Divan," Buch der Betrachtungen, folgt auf den Spruch: Da dacht ich: ehrlich sein Ist doch das Beste; War es nur kümmerlich, So steht es feste — gleich der andre: Zu genießen weiß im Prachern Abrahams geweihtes Blut, Seh ich sie im Bazar schachern, Kaufen wohlfeil, kaufen gut. Setzt man sich diese und andre zerstreuten Züge zusammen, so erhält man un¬ gefähr ein Bild dessen, was die Juden in der Gesellschaft des achtzehnten Jahr¬ hunderts waren oder wofür sie galten oder wie der Dichter sie sich dachte. Wir werfen zum Schlüsse noch einen Blick auf die Anredeformeln, wie sie bei Goethe im geselligen Verkehr der Individuen und der Stände untereinander herrschen, Formen, die uns noch immer eigentümlich ansprechen, wenn wir sie auch nicht mehr brauchen. Schon bei den mittelhochdeutschen Dichtern gilt neben dem natürlichen und vertraulichen Du ein aus dem Romanischen eingedrungenes höfliches Ihr und Euch. Der Geringere nennt den Höhern Ihr und erhält von ihm Du; in der Kaiserchrvnik duzt der Papst den Kaiser, der Kaiser giebt dem Papst Ihr. Frauen und Geistliche werden mit Ihr angeredet; zwischen Freunden gilt Du, zwischen Fremden Ihr. Auch Eheleute reden sich mit Ihr an; der Vater empfängt von den Kindern Ihr, die Mutter vom Sohne gleich¬ falls Ihr, von der Tochter wegen größerer Vertraulichkeit Du. Gerät der Sprechende in Leidenschaft oder Zorn, so verwandelt er das nähere Du in das fremdere Ihr oder umgekehrt das höfliche Ihr in das gemeinere Du. Dies blieb so bis etwa zu der Zeit des dreißigjährigen Krieges. Da entsprang aus der dem französischen Monsieur und Madame nachgeahmten Anrede Herr und Fran der Gebrauch der dritten Person Singularis, und dies Er und Sie be¬ zeichnete nun eine noch tiefere Ehrfurcht und Unterordnung des Redenden, als das Ihr. Mit dem Ausgange des unglücklichen siebzehnten Jahrhunderts und dem Beginn des achtzehnten, als überall kriechende Not herrschte und die per¬ sönliche Selbstachtung erloschen war, wurde das Er und Sie noch weiter über¬ boten: der Unterthcinige, der Furchtsame und Schmeichler, der die Kluft zwischen Grenzboten IV. 1383. 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/315>, abgerufen am 28.07.2024.