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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Gedanken über Goethe.

in Alexandrinern, halb ernsthaft, halb närrisch, den König Ahasverus mit dem
"Bedeutenden der Judenheit" zu schrecken sucht, z. B.:


Der Jude liebt das Geld und fürchtet die Gefahr;
Er weiß mit leichter Müh und ohne viel zu wagen,
Durch Handel und durch Zins Geld aus den? Land zu tragen --

oder:


Sie wissen jedermann durch Borg und Tausch zu fassen;
Der kommt nie los, der sich nur einmal eingelassen --

oder:


Es ist ein Jeglicher in deinem ganzen Land
Auf ein' und andre Art mit Israel verwandt,
Und dieses schlaue Volk sieht einen Weg nur offen,
So lang die Ordnung steht, so lang hat's nichts zu hoffen.

Goethes Verehrung für Spinoza hatte mit dem Judentum und dessen Ver¬
hältnis zur Gesellschaft nichts zu schaffen; der Dichter bezog sich auf ihn, wie
er auch Worte des Psalmisten, der Propheten u, s. w. anzuführen liebte. Über
Moses Mendelssohn aber, den Vorboten der kommenden Zeit, äußert er sich
ziemlich geringschätzig; als dessen "Morgenstunden" oder Vorlesungen über das
Dasein Gottes 1785 erschienen waren, schrieb Goethe am 1. Dezember an
Jacobi: "Was hast du zu den Morgenstunden gesagt? und zu den jüdischen Pfiffen,
mit denen der neue Solmtes zu Werke geht? Wie klug er Spinoza und Les¬
sing eingeführt hat! O du armer Christe, wie schlimm wird dir es ergehen,
wenn er deine schnurrenden Flüglein nach und nach umsponnen haben wird" ?c.
Auch sonst streift in den Dichtungen und Betrachtungen der Judaismus wie ein
Schatten hin und wieder durch die heitern Abbilder der Wirklichkeit, z. B. Faust:


Das ist ein allgemeiner Brauch,
Ein Jud und König kann es auch.

Ist der Vater ein Geizhals gewesen, dann vergeudet der Sohn das Geld ("Po¬
litik"):


Juden und Hurer, die werden's fressen.

Schah Abbas thront in Jspahan, und Gesandte kommen aus allen Welt-
gegenden; Geschenke werden gebracht, großer Prunk damit getrieben, und doch
werden sie bald hochfahrend verschmäht, bald darum jüdisch gemarktet ("West-
östlicher Divan," Pietro della Valle). Ähnliche kurze Andentungen auch im
"Wilhelm Meister": der Aktuarius (1,13) ritt auf einem Pferde, das er gestern
vom Juden getauscht; (2, 11): die Übrigen stritten, ob der Harfenspieler ein
Pfaffe oder ein Jude sei; zur Kriegszeit, bei häufigen Durchmärschen, hatte
Wilhelm (4, 11) einen Boten ausgesendet, aber dieser mußte schleunig umkehren,
um nicht für einen jüdischen Spion angesehen zu werden; Werner bittet seinen
Freund, er möge sein Haar anders tragen, "sonst, sagt er (8, 1), hält man


Gedanken über Goethe.

in Alexandrinern, halb ernsthaft, halb närrisch, den König Ahasverus mit dem
„Bedeutenden der Judenheit" zu schrecken sucht, z. B.:


Der Jude liebt das Geld und fürchtet die Gefahr;
Er weiß mit leichter Müh und ohne viel zu wagen,
Durch Handel und durch Zins Geld aus den? Land zu tragen —

oder:


Sie wissen jedermann durch Borg und Tausch zu fassen;
Der kommt nie los, der sich nur einmal eingelassen —

oder:


Es ist ein Jeglicher in deinem ganzen Land
Auf ein' und andre Art mit Israel verwandt,
Und dieses schlaue Volk sieht einen Weg nur offen,
So lang die Ordnung steht, so lang hat's nichts zu hoffen.

Goethes Verehrung für Spinoza hatte mit dem Judentum und dessen Ver¬
hältnis zur Gesellschaft nichts zu schaffen; der Dichter bezog sich auf ihn, wie
er auch Worte des Psalmisten, der Propheten u, s. w. anzuführen liebte. Über
Moses Mendelssohn aber, den Vorboten der kommenden Zeit, äußert er sich
ziemlich geringschätzig; als dessen „Morgenstunden" oder Vorlesungen über das
Dasein Gottes 1785 erschienen waren, schrieb Goethe am 1. Dezember an
Jacobi: „Was hast du zu den Morgenstunden gesagt? und zu den jüdischen Pfiffen,
mit denen der neue Solmtes zu Werke geht? Wie klug er Spinoza und Les¬
sing eingeführt hat! O du armer Christe, wie schlimm wird dir es ergehen,
wenn er deine schnurrenden Flüglein nach und nach umsponnen haben wird" ?c.
Auch sonst streift in den Dichtungen und Betrachtungen der Judaismus wie ein
Schatten hin und wieder durch die heitern Abbilder der Wirklichkeit, z. B. Faust:


Das ist ein allgemeiner Brauch,
Ein Jud und König kann es auch.

Ist der Vater ein Geizhals gewesen, dann vergeudet der Sohn das Geld („Po¬
litik"):


Juden und Hurer, die werden's fressen.

Schah Abbas thront in Jspahan, und Gesandte kommen aus allen Welt-
gegenden; Geschenke werden gebracht, großer Prunk damit getrieben, und doch
werden sie bald hochfahrend verschmäht, bald darum jüdisch gemarktet („West-
östlicher Divan," Pietro della Valle). Ähnliche kurze Andentungen auch im
„Wilhelm Meister": der Aktuarius (1,13) ritt auf einem Pferde, das er gestern
vom Juden getauscht; (2, 11): die Übrigen stritten, ob der Harfenspieler ein
Pfaffe oder ein Jude sei; zur Kriegszeit, bei häufigen Durchmärschen, hatte
Wilhelm (4, 11) einen Boten ausgesendet, aber dieser mußte schleunig umkehren,
um nicht für einen jüdischen Spion angesehen zu werden; Werner bittet seinen
Freund, er möge sein Haar anders tragen, „sonst, sagt er (8, 1), hält man


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[0314] Gedanken über Goethe. in Alexandrinern, halb ernsthaft, halb närrisch, den König Ahasverus mit dem „Bedeutenden der Judenheit" zu schrecken sucht, z. B.: Der Jude liebt das Geld und fürchtet die Gefahr; Er weiß mit leichter Müh und ohne viel zu wagen, Durch Handel und durch Zins Geld aus den? Land zu tragen — oder: Sie wissen jedermann durch Borg und Tausch zu fassen; Der kommt nie los, der sich nur einmal eingelassen — oder: Es ist ein Jeglicher in deinem ganzen Land Auf ein' und andre Art mit Israel verwandt, Und dieses schlaue Volk sieht einen Weg nur offen, So lang die Ordnung steht, so lang hat's nichts zu hoffen. Goethes Verehrung für Spinoza hatte mit dem Judentum und dessen Ver¬ hältnis zur Gesellschaft nichts zu schaffen; der Dichter bezog sich auf ihn, wie er auch Worte des Psalmisten, der Propheten u, s. w. anzuführen liebte. Über Moses Mendelssohn aber, den Vorboten der kommenden Zeit, äußert er sich ziemlich geringschätzig; als dessen „Morgenstunden" oder Vorlesungen über das Dasein Gottes 1785 erschienen waren, schrieb Goethe am 1. Dezember an Jacobi: „Was hast du zu den Morgenstunden gesagt? und zu den jüdischen Pfiffen, mit denen der neue Solmtes zu Werke geht? Wie klug er Spinoza und Les¬ sing eingeführt hat! O du armer Christe, wie schlimm wird dir es ergehen, wenn er deine schnurrenden Flüglein nach und nach umsponnen haben wird" ?c. Auch sonst streift in den Dichtungen und Betrachtungen der Judaismus wie ein Schatten hin und wieder durch die heitern Abbilder der Wirklichkeit, z. B. Faust: Das ist ein allgemeiner Brauch, Ein Jud und König kann es auch. Ist der Vater ein Geizhals gewesen, dann vergeudet der Sohn das Geld („Po¬ litik"): Juden und Hurer, die werden's fressen. Schah Abbas thront in Jspahan, und Gesandte kommen aus allen Welt- gegenden; Geschenke werden gebracht, großer Prunk damit getrieben, und doch werden sie bald hochfahrend verschmäht, bald darum jüdisch gemarktet („West- östlicher Divan," Pietro della Valle). Ähnliche kurze Andentungen auch im „Wilhelm Meister": der Aktuarius (1,13) ritt auf einem Pferde, das er gestern vom Juden getauscht; (2, 11): die Übrigen stritten, ob der Harfenspieler ein Pfaffe oder ein Jude sei; zur Kriegszeit, bei häufigen Durchmärschen, hatte Wilhelm (4, 11) einen Boten ausgesendet, aber dieser mußte schleunig umkehren, um nicht für einen jüdischen Spion angesehen zu werden; Werner bittet seinen Freund, er möge sein Haar anders tragen, „sonst, sagt er (8, 1), hält man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/314>, abgerufen am 28.07.2024.