Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Gedanken über Goethe.

in ein grünes, fruchtbares Gefilde zu verwandeln und so "die Erde mit sich
selbst zu versöhnen," den Arbeitern zu gebieten und Raum zu schaffen für ein
neues Volk auf neuem Boden, das erreichte der hochbetagte Faust, der schuld¬
beladene, in strebender Thätigkeit stets entführte Mann, bis er endlich erblindet
zurücksank, dorthin, woher er gekommen, im Vorgefühl der Nachwirkung seines
Schaffens noch im letzten Augenblicke befriedigt und glücklich.

So reihen sich in unserm Leben die Jahre unaufhaltsam an einander
(Schweizeralpe, 1797):


Jugend ach ist dem Alter so nah, durchs Loben verbunden,
Wie ein beweglicher Traum Gestern und Heute verband --,

aber der Blick aufwärts und abwärts stimmt uns andächtig, wie vor der Gegen¬
wart des Ewigen, erfüllt uns mitten in der Vergänglichkeit mit dem Gefühle
nie versiegenden Lebens (der Pfarrer in "Hermann und Dorothea"):


Zeige man doch dein Jüngling des edel reifenden Alters
Wert und dem Alter die Jugend, daß beide des ewigen Kreises
Sich erfreuen und so sich Leben im Leben vollende --

eine Lehre, die auch das Festspiel "Paläophron und Neoterpe" in heiter liebens¬
würdigen Bildern verkündigt, und wenn wir verblendet wider einander streben,
hält uns doch das gleiche Naturgesetz zusammen, zu Milde und Versöhnung
mahnend, wie das schöne Xenion sagt (das Schiller in seine Gedichtsammlung
aufgenommen hat):


Siehe, wir hassen, wir streiten, es trennt ruf Neigung und Meinung,
Aber es bleichet indeß dir sich die Locke, wie mir.

Und hier stehe zum Schlüsse noch die alles zusammenfassende und in milder Re¬
ligiosität beschließende "Maxime" (sechste Abteilung): "Jedem Alter des Menschen
antwortet eine gewisse Philosophie; das Kind erscheint als Realist, den" es findet
sich so überzeugt von dem Dasein der Birnen und Äpfel, als von dem seinigen.
Der Jüngling, von innern Leidenschaften bestürmt, muß auf sich selbst merken,
sich vorfühlen, er wird zum Idealisten umgewandelt. Dagegen ein Skeptiker zu
werden, hat der Mann alle Ursache; er thut wohl, zu zweifeln, ob das Mittel,
das er zum Zwecke gewählt hat, auch das rechte sei. Vor dem Handeln, im
Handeln hat er alle Ursache, den Verstand beweglich zu erhalten, damit er nicht
nachher sich über eine falsche Wahl zu betrüben habe. Der Greis jedoch wird
sich immer zum Mystizismus bekennen; er sieht, daß so vieles vom Zufall ab¬
zuhängen scheint, das Unvernünftige gelingt, das Vernünftige schlägt fehl, Glück
und Unglück stellen sich unerwartet ins Gleiche; so ist es, so war es, und das
hohe Alter beruhigt sich in dem, der da ist, der da war und der da sein wird."

(Schluß folgt.)




Gedanken über Goethe.

in ein grünes, fruchtbares Gefilde zu verwandeln und so „die Erde mit sich
selbst zu versöhnen," den Arbeitern zu gebieten und Raum zu schaffen für ein
neues Volk auf neuem Boden, das erreichte der hochbetagte Faust, der schuld¬
beladene, in strebender Thätigkeit stets entführte Mann, bis er endlich erblindet
zurücksank, dorthin, woher er gekommen, im Vorgefühl der Nachwirkung seines
Schaffens noch im letzten Augenblicke befriedigt und glücklich.

So reihen sich in unserm Leben die Jahre unaufhaltsam an einander
(Schweizeralpe, 1797):


Jugend ach ist dem Alter so nah, durchs Loben verbunden,
Wie ein beweglicher Traum Gestern und Heute verband —,

aber der Blick aufwärts und abwärts stimmt uns andächtig, wie vor der Gegen¬
wart des Ewigen, erfüllt uns mitten in der Vergänglichkeit mit dem Gefühle
nie versiegenden Lebens (der Pfarrer in „Hermann und Dorothea"):


Zeige man doch dein Jüngling des edel reifenden Alters
Wert und dem Alter die Jugend, daß beide des ewigen Kreises
Sich erfreuen und so sich Leben im Leben vollende —

eine Lehre, die auch das Festspiel „Paläophron und Neoterpe" in heiter liebens¬
würdigen Bildern verkündigt, und wenn wir verblendet wider einander streben,
hält uns doch das gleiche Naturgesetz zusammen, zu Milde und Versöhnung
mahnend, wie das schöne Xenion sagt (das Schiller in seine Gedichtsammlung
aufgenommen hat):


Siehe, wir hassen, wir streiten, es trennt ruf Neigung und Meinung,
Aber es bleichet indeß dir sich die Locke, wie mir.

Und hier stehe zum Schlüsse noch die alles zusammenfassende und in milder Re¬
ligiosität beschließende „Maxime" (sechste Abteilung): „Jedem Alter des Menschen
antwortet eine gewisse Philosophie; das Kind erscheint als Realist, den» es findet
sich so überzeugt von dem Dasein der Birnen und Äpfel, als von dem seinigen.
Der Jüngling, von innern Leidenschaften bestürmt, muß auf sich selbst merken,
sich vorfühlen, er wird zum Idealisten umgewandelt. Dagegen ein Skeptiker zu
werden, hat der Mann alle Ursache; er thut wohl, zu zweifeln, ob das Mittel,
das er zum Zwecke gewählt hat, auch das rechte sei. Vor dem Handeln, im
Handeln hat er alle Ursache, den Verstand beweglich zu erhalten, damit er nicht
nachher sich über eine falsche Wahl zu betrüben habe. Der Greis jedoch wird
sich immer zum Mystizismus bekennen; er sieht, daß so vieles vom Zufall ab¬
zuhängen scheint, das Unvernünftige gelingt, das Vernünftige schlägt fehl, Glück
und Unglück stellen sich unerwartet ins Gleiche; so ist es, so war es, und das
hohe Alter beruhigt sich in dem, der da ist, der da war und der da sein wird."

(Schluß folgt.)




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0031" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154196"/>
          <fw type="header" place="top"> Gedanken über Goethe.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_83" prev="#ID_82"> in ein grünes, fruchtbares Gefilde zu verwandeln und so &#x201E;die Erde mit sich<lb/>
selbst zu versöhnen," den Arbeitern zu gebieten und Raum zu schaffen für ein<lb/>
neues Volk auf neuem Boden, das erreichte der hochbetagte Faust, der schuld¬<lb/>
beladene, in strebender Thätigkeit stets entführte Mann, bis er endlich erblindet<lb/>
zurücksank, dorthin, woher er gekommen, im Vorgefühl der Nachwirkung seines<lb/>
Schaffens noch im letzten Augenblicke befriedigt und glücklich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_84" next="#ID_85"> So reihen sich in unserm Leben die Jahre unaufhaltsam an einander<lb/>
(Schweizeralpe, 1797):</p><lb/>
          <quote> Jugend ach ist dem Alter so nah, durchs Loben verbunden,<lb/>
Wie ein beweglicher Traum Gestern und Heute verband &#x2014;,</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_85" prev="#ID_84" next="#ID_86"> aber der Blick aufwärts und abwärts stimmt uns andächtig, wie vor der Gegen¬<lb/>
wart des Ewigen, erfüllt uns mitten in der Vergänglichkeit mit dem Gefühle<lb/>
nie versiegenden Lebens (der Pfarrer in &#x201E;Hermann und Dorothea"):</p><lb/>
          <quote> Zeige man doch dein Jüngling des edel reifenden Alters<lb/>
Wert und dem Alter die Jugend, daß beide des ewigen Kreises<lb/>
Sich erfreuen und so sich Leben im Leben vollende &#x2014;</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_86" prev="#ID_85"> eine Lehre, die auch das Festspiel &#x201E;Paläophron und Neoterpe" in heiter liebens¬<lb/>
würdigen Bildern verkündigt, und wenn wir verblendet wider einander streben,<lb/>
hält uns doch das gleiche Naturgesetz zusammen, zu Milde und Versöhnung<lb/>
mahnend, wie das schöne Xenion sagt (das Schiller in seine Gedichtsammlung<lb/>
aufgenommen hat):</p><lb/>
          <quote> Siehe, wir hassen, wir streiten, es trennt ruf Neigung und Meinung,<lb/>
Aber es bleichet indeß dir sich die Locke, wie mir.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_87"> Und hier stehe zum Schlüsse noch die alles zusammenfassende und in milder Re¬<lb/>
ligiosität beschließende &#x201E;Maxime" (sechste Abteilung): &#x201E;Jedem Alter des Menschen<lb/>
antwortet eine gewisse Philosophie; das Kind erscheint als Realist, den» es findet<lb/>
sich so überzeugt von dem Dasein der Birnen und Äpfel, als von dem seinigen.<lb/>
Der Jüngling, von innern Leidenschaften bestürmt, muß auf sich selbst merken,<lb/>
sich vorfühlen, er wird zum Idealisten umgewandelt. Dagegen ein Skeptiker zu<lb/>
werden, hat der Mann alle Ursache; er thut wohl, zu zweifeln, ob das Mittel,<lb/>
das er zum Zwecke gewählt hat, auch das rechte sei. Vor dem Handeln, im<lb/>
Handeln hat er alle Ursache, den Verstand beweglich zu erhalten, damit er nicht<lb/>
nachher sich über eine falsche Wahl zu betrüben habe. Der Greis jedoch wird<lb/>
sich immer zum Mystizismus bekennen; er sieht, daß so vieles vom Zufall ab¬<lb/>
zuhängen scheint, das Unvernünftige gelingt, das Vernünftige schlägt fehl, Glück<lb/>
und Unglück stellen sich unerwartet ins Gleiche; so ist es, so war es, und das<lb/>
hohe Alter beruhigt sich in dem, der da ist, der da war und der da sein wird."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_88"> (Schluß folgt.)</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0031] Gedanken über Goethe. in ein grünes, fruchtbares Gefilde zu verwandeln und so „die Erde mit sich selbst zu versöhnen," den Arbeitern zu gebieten und Raum zu schaffen für ein neues Volk auf neuem Boden, das erreichte der hochbetagte Faust, der schuld¬ beladene, in strebender Thätigkeit stets entführte Mann, bis er endlich erblindet zurücksank, dorthin, woher er gekommen, im Vorgefühl der Nachwirkung seines Schaffens noch im letzten Augenblicke befriedigt und glücklich. So reihen sich in unserm Leben die Jahre unaufhaltsam an einander (Schweizeralpe, 1797): Jugend ach ist dem Alter so nah, durchs Loben verbunden, Wie ein beweglicher Traum Gestern und Heute verband —, aber der Blick aufwärts und abwärts stimmt uns andächtig, wie vor der Gegen¬ wart des Ewigen, erfüllt uns mitten in der Vergänglichkeit mit dem Gefühle nie versiegenden Lebens (der Pfarrer in „Hermann und Dorothea"): Zeige man doch dein Jüngling des edel reifenden Alters Wert und dem Alter die Jugend, daß beide des ewigen Kreises Sich erfreuen und so sich Leben im Leben vollende — eine Lehre, die auch das Festspiel „Paläophron und Neoterpe" in heiter liebens¬ würdigen Bildern verkündigt, und wenn wir verblendet wider einander streben, hält uns doch das gleiche Naturgesetz zusammen, zu Milde und Versöhnung mahnend, wie das schöne Xenion sagt (das Schiller in seine Gedichtsammlung aufgenommen hat): Siehe, wir hassen, wir streiten, es trennt ruf Neigung und Meinung, Aber es bleichet indeß dir sich die Locke, wie mir. Und hier stehe zum Schlüsse noch die alles zusammenfassende und in milder Re¬ ligiosität beschließende „Maxime" (sechste Abteilung): „Jedem Alter des Menschen antwortet eine gewisse Philosophie; das Kind erscheint als Realist, den» es findet sich so überzeugt von dem Dasein der Birnen und Äpfel, als von dem seinigen. Der Jüngling, von innern Leidenschaften bestürmt, muß auf sich selbst merken, sich vorfühlen, er wird zum Idealisten umgewandelt. Dagegen ein Skeptiker zu werden, hat der Mann alle Ursache; er thut wohl, zu zweifeln, ob das Mittel, das er zum Zwecke gewählt hat, auch das rechte sei. Vor dem Handeln, im Handeln hat er alle Ursache, den Verstand beweglich zu erhalten, damit er nicht nachher sich über eine falsche Wahl zu betrüben habe. Der Greis jedoch wird sich immer zum Mystizismus bekennen; er sieht, daß so vieles vom Zufall ab¬ zuhängen scheint, das Unvernünftige gelingt, das Vernünftige schlägt fehl, Glück und Unglück stellen sich unerwartet ins Gleiche; so ist es, so war es, und das hohe Alter beruhigt sich in dem, der da ist, der da war und der da sein wird." (Schluß folgt.)

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/31
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/31>, abgerufen am 27.07.2024.