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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Gedanken über Goethe.

er doch bloß ein Bürgerssohn aus Frankfurt, ohne Vermögen, denn der spar¬
same Vater gab nicht gern etwas her, jung und in Swapgeschäften völlig un¬
erfahren, dazu, was schlimmer als alles war, ein Dichter, ein sogenanntes Genie?
Gab er sich nicht wirklich Blößen aenng dnrch Unvorsichtigkeit, durch Aus¬
schweifung in Worten und Werken? Die übertriebensten Nachrichten gingen darüber
in Deutschland um und wurden von dem Adel, der alle Vorzimmer der kleinen
Höfe erfüllte und bewachte, weiter verbreitet.^) Doch es war das Zeitalter des
Absolutismus, und so hielt ihn die Gunst des Herzogs, der selbst den Knaben-
jahren eben erst entwachsen war und darum das Herkommen uicht achtete. "Es
ist wahr, schrieb Merck im Jahre 1777, die Vertraulichkeit zwischen dem Herrn
und Diener geht weit, allein was schadet das? Wars ein Edelmann, so wärs
in der Regel." Ein halbes Jahr nach seiner Ankunft schon wurde der neue
Günstling Geheimer Legationsrat mit 1200 Thalern Gehalt (damals' mehr als
jetzt) und Sitz und Stimme im geheimen Korsen, dann im Jahre 1779 Ge-
heimderat (über diesen Titel schrieb er seiner Freundin die bezeichnenden Worte:
"Es kommt mir wunderbar vor, daß ich so wie im Traum die höchste Ehren
Stufe, die ein Bürger in Deutschland erreichen kann, betrete"), endlich 1782 durch
Diplom des Kaiser Josephs II. förmlich in den Adelstand erhoben. Letzteres
enthielt schon eine Nachgiebigkeit gegen die herrschende Meinung, deun damit
war das Ärgernis gehoben, einen Bürger bei Hofe und in nahen Beziehungen
zu dem Fürsten und der fürstlichen Familie zu sehen. Unterdeß aber war er
selbst ein andrer geworden: von der Rundreise, die er 1782 unter feierlichen
Ehren als Abgesandter des Herzogs an die thüringischen Höfe machte, schrieb
er: "Ich versuche alles, was wir zuletzt über Betragen, Lebensart, Anstand
und Vornehmigkeit abgehandelt haben, lasse mich gehen und bin mir immer be¬
wußt," und im Jahre 1784 sagte Frau von Lichtenstein in Gotha von ihm aus,
er könne jetzt in guter Gesellschaft nicht bloß empfangen werden, sondern nehme
diese auch durch Liebenswürdigkeit für sich ein (Brief vom 20. Juni). Und es
war nicht bloß eine änßere Übung oder ein übergeworfenes Gewand; die An¬
mut und Milde des Benehmens war nur der Widerschein der innern Reinheit
und Güte, die er in laugen Scclcnkcimpfcn erstrebt und erreicht hatte -- worüber
das Tagebuch und der Briefwechsel die rührendsten Zeugnisse enthalten. Glück¬
licher, stärker als sein Tasso, hatte er die Herrschaft über sich gewonnen; er



*) Eine Stelle am Anfang des 8. Buches von "Wilhelm Meisters Lehrjahren" scheint
eine Erinnerung daran zu enthalten. Werner, der seinen Freund Wilhelm nach langer
Zeit wiedersieht, schüttelt den Kopf und sagt: "Mau sollte doch auch nichts glauben, als
was man mit Augen sieht! Mehr als ein dienstfertiger Freund hat mir versichert, du lebtest
mit einem liederlichen jungen Edelmann, führtest ihm Schauspielerinnen zu, hälfest ihm
sein Geld durchdringen und seiest schuld, daß er mit seinen sämtlichen Anverwandten ge¬
spannt sei." Was Wilhelm darauf erwiedert, paßt auf des Dichters eignes Leben und seine
Beurteiler.
Gedanken über Goethe.

er doch bloß ein Bürgerssohn aus Frankfurt, ohne Vermögen, denn der spar¬
same Vater gab nicht gern etwas her, jung und in Swapgeschäften völlig un¬
erfahren, dazu, was schlimmer als alles war, ein Dichter, ein sogenanntes Genie?
Gab er sich nicht wirklich Blößen aenng dnrch Unvorsichtigkeit, durch Aus¬
schweifung in Worten und Werken? Die übertriebensten Nachrichten gingen darüber
in Deutschland um und wurden von dem Adel, der alle Vorzimmer der kleinen
Höfe erfüllte und bewachte, weiter verbreitet.^) Doch es war das Zeitalter des
Absolutismus, und so hielt ihn die Gunst des Herzogs, der selbst den Knaben-
jahren eben erst entwachsen war und darum das Herkommen uicht achtete. „Es
ist wahr, schrieb Merck im Jahre 1777, die Vertraulichkeit zwischen dem Herrn
und Diener geht weit, allein was schadet das? Wars ein Edelmann, so wärs
in der Regel." Ein halbes Jahr nach seiner Ankunft schon wurde der neue
Günstling Geheimer Legationsrat mit 1200 Thalern Gehalt (damals' mehr als
jetzt) und Sitz und Stimme im geheimen Korsen, dann im Jahre 1779 Ge-
heimderat (über diesen Titel schrieb er seiner Freundin die bezeichnenden Worte:
„Es kommt mir wunderbar vor, daß ich so wie im Traum die höchste Ehren
Stufe, die ein Bürger in Deutschland erreichen kann, betrete"), endlich 1782 durch
Diplom des Kaiser Josephs II. förmlich in den Adelstand erhoben. Letzteres
enthielt schon eine Nachgiebigkeit gegen die herrschende Meinung, deun damit
war das Ärgernis gehoben, einen Bürger bei Hofe und in nahen Beziehungen
zu dem Fürsten und der fürstlichen Familie zu sehen. Unterdeß aber war er
selbst ein andrer geworden: von der Rundreise, die er 1782 unter feierlichen
Ehren als Abgesandter des Herzogs an die thüringischen Höfe machte, schrieb
er: „Ich versuche alles, was wir zuletzt über Betragen, Lebensart, Anstand
und Vornehmigkeit abgehandelt haben, lasse mich gehen und bin mir immer be¬
wußt," und im Jahre 1784 sagte Frau von Lichtenstein in Gotha von ihm aus,
er könne jetzt in guter Gesellschaft nicht bloß empfangen werden, sondern nehme
diese auch durch Liebenswürdigkeit für sich ein (Brief vom 20. Juni). Und es
war nicht bloß eine änßere Übung oder ein übergeworfenes Gewand; die An¬
mut und Milde des Benehmens war nur der Widerschein der innern Reinheit
und Güte, die er in laugen Scclcnkcimpfcn erstrebt und erreicht hatte — worüber
das Tagebuch und der Briefwechsel die rührendsten Zeugnisse enthalten. Glück¬
licher, stärker als sein Tasso, hatte er die Herrschaft über sich gewonnen; er



*) Eine Stelle am Anfang des 8. Buches von „Wilhelm Meisters Lehrjahren" scheint
eine Erinnerung daran zu enthalten. Werner, der seinen Freund Wilhelm nach langer
Zeit wiedersieht, schüttelt den Kopf und sagt: „Mau sollte doch auch nichts glauben, als
was man mit Augen sieht! Mehr als ein dienstfertiger Freund hat mir versichert, du lebtest
mit einem liederlichen jungen Edelmann, führtest ihm Schauspielerinnen zu, hälfest ihm
sein Geld durchdringen und seiest schuld, daß er mit seinen sämtlichen Anverwandten ge¬
spannt sei." Was Wilhelm darauf erwiedert, paßt auf des Dichters eignes Leben und seine
Beurteiler.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/305>, abgerufen am 28.07.2024.