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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Das neue Aktiengesetz.

den es sich handelt, obwohl wahrscheinlich kein Haus und keine Familie vor¬
handen ist, in der sich nicht der Krach von 1873 fühlbar machte, von den zahl¬
losen vernichteten Existenzen ganz zu schweigen. Höher anzuschlagen ist der
ideelle Verlust. Mit jener maßlosen Micngründung beginnt gleichzeitig eine
Periode der Entsittlichung, die Klassengegensätze beginnen sich zu schärfen, und
neben dem Luxus der Gründer erhebt sich das Gespenst der Sozialdemokratie.
Ausschreitungen nach allen Richtungen treten hervor, und der Ausbeute durch
die Gründer und deren Genossen folgen nicht minder wüste, über das Ziel
hinausgreifende Nckriminationcn und Verbitterungen. Unter solchen Eindrücken
kann man sich nicht wundern, wenn sogar der Ruf nach Unterdrückung der
Aktiengesellschaftsform laut geworden ist. Diesem Rufe zu folgen wäre der
gegenwärtige Augenblick jedenfalls verfrüht. Man muß mich schon in Rücksicht
ziehen, daß bei dem internationalen Charakter des Handels Deutschland, das
mitten im Herzen Europas liegt, einseitig nicht zu weit vorgehen kann. Von der
Berliner Börse knüpfen sich leicht die Fäden an die Börsen von London, Paris,
Wien, Frankfurt, Brüssel, und entzieht man der einheimischen Industrie das
Geld, so fließt ihr solches nicht zum Nutzen des Staates von außen zu, oder
es wandern die heimischen Mittel ins Ausland. Man hat nur bisher den
wirtschaftlichen Charakter der Aktienanteile verkannt; die Gesetzgebung ging von
. der verkehrten Anschauung aus, daß die Aktien die Kapitalsanlage vermitteln
-- und das Jobbcrtum hat hieraus seinen Nutzen zu ziehen verstanden --,
während sie in Wahrheit nur ein Mittel zur Verteilung des Risikos sein sollen.
Dieser Gesichtspunkt ist es, der den Entwurf zu beherrschen scheint; er findet
seinen geeignetsten Ausdruck in der Bestimmung, daß der Nominalbetrag der
Nameusaktie mindestens 1000 Mark, derjenige der Inhaberaktie mindestens
5000 Mark betragen muß. Durch diese Bestimmung soll das kleine Kapital
von den Mienunternehmungen zurückgehalten werden, eine Bestimmung, die umso
wirksamer sein wird, als der Zeichner zwei Jahre lang für den vollen Betrag
der von ihm gezeichneten Aktie haftet. Die Aktiengesellschaft ist eine komplizirte
Existenz ; weil nicht der Geschäftsherr, sondern nur Beamte an der Spitze der
Verwaltung stehen, so ist schon wegen des Kontrolnppamtes der ganze Mechanismus
der Geschäftsführung weniger durchsichtig und viel teurer als das Einzelgeschäft.
In der Natur der Sache liegt es, daß ein Geschüftsherr vorsichtiger in seinen
Unternehmungen, sparsamer in der Verwaltung, sorglicher für die Zukunft ist
als beamtete Direktoren. Der Aktionär steht dem Unternehmen viel fremder
gegenüber, ihm liegt zunächst daran, eine hohe Dividende zu erzielen, jederzeit
gewinnbringend sich seines Anteils zu entäußern. Das sind Thatsachen, die
solange wahr sind, als es Aktiengesellschaften geben wird. Deshalb sollte sich
der kleine Mann, den Mittel und Fähigkeiten völlig ungeeignet machen, einen
solchen Mechanismus zu erkennen, davon fernhalten. Für ihn ist die Be¬
teiligung an einem Aktienunternehmeu mehr oder weniger ein Lotteriespiel, bei


Das neue Aktiengesetz.

den es sich handelt, obwohl wahrscheinlich kein Haus und keine Familie vor¬
handen ist, in der sich nicht der Krach von 1873 fühlbar machte, von den zahl¬
losen vernichteten Existenzen ganz zu schweigen. Höher anzuschlagen ist der
ideelle Verlust. Mit jener maßlosen Micngründung beginnt gleichzeitig eine
Periode der Entsittlichung, die Klassengegensätze beginnen sich zu schärfen, und
neben dem Luxus der Gründer erhebt sich das Gespenst der Sozialdemokratie.
Ausschreitungen nach allen Richtungen treten hervor, und der Ausbeute durch
die Gründer und deren Genossen folgen nicht minder wüste, über das Ziel
hinausgreifende Nckriminationcn und Verbitterungen. Unter solchen Eindrücken
kann man sich nicht wundern, wenn sogar der Ruf nach Unterdrückung der
Aktiengesellschaftsform laut geworden ist. Diesem Rufe zu folgen wäre der
gegenwärtige Augenblick jedenfalls verfrüht. Man muß mich schon in Rücksicht
ziehen, daß bei dem internationalen Charakter des Handels Deutschland, das
mitten im Herzen Europas liegt, einseitig nicht zu weit vorgehen kann. Von der
Berliner Börse knüpfen sich leicht die Fäden an die Börsen von London, Paris,
Wien, Frankfurt, Brüssel, und entzieht man der einheimischen Industrie das
Geld, so fließt ihr solches nicht zum Nutzen des Staates von außen zu, oder
es wandern die heimischen Mittel ins Ausland. Man hat nur bisher den
wirtschaftlichen Charakter der Aktienanteile verkannt; die Gesetzgebung ging von
. der verkehrten Anschauung aus, daß die Aktien die Kapitalsanlage vermitteln
— und das Jobbcrtum hat hieraus seinen Nutzen zu ziehen verstanden —,
während sie in Wahrheit nur ein Mittel zur Verteilung des Risikos sein sollen.
Dieser Gesichtspunkt ist es, der den Entwurf zu beherrschen scheint; er findet
seinen geeignetsten Ausdruck in der Bestimmung, daß der Nominalbetrag der
Nameusaktie mindestens 1000 Mark, derjenige der Inhaberaktie mindestens
5000 Mark betragen muß. Durch diese Bestimmung soll das kleine Kapital
von den Mienunternehmungen zurückgehalten werden, eine Bestimmung, die umso
wirksamer sein wird, als der Zeichner zwei Jahre lang für den vollen Betrag
der von ihm gezeichneten Aktie haftet. Die Aktiengesellschaft ist eine komplizirte
Existenz ; weil nicht der Geschäftsherr, sondern nur Beamte an der Spitze der
Verwaltung stehen, so ist schon wegen des Kontrolnppamtes der ganze Mechanismus
der Geschäftsführung weniger durchsichtig und viel teurer als das Einzelgeschäft.
In der Natur der Sache liegt es, daß ein Geschüftsherr vorsichtiger in seinen
Unternehmungen, sparsamer in der Verwaltung, sorglicher für die Zukunft ist
als beamtete Direktoren. Der Aktionär steht dem Unternehmen viel fremder
gegenüber, ihm liegt zunächst daran, eine hohe Dividende zu erzielen, jederzeit
gewinnbringend sich seines Anteils zu entäußern. Das sind Thatsachen, die
solange wahr sind, als es Aktiengesellschaften geben wird. Deshalb sollte sich
der kleine Mann, den Mittel und Fähigkeiten völlig ungeeignet machen, einen
solchen Mechanismus zu erkennen, davon fernhalten. Für ihn ist die Be¬
teiligung an einem Aktienunternehmeu mehr oder weniger ein Lotteriespiel, bei


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[0285] Das neue Aktiengesetz. den es sich handelt, obwohl wahrscheinlich kein Haus und keine Familie vor¬ handen ist, in der sich nicht der Krach von 1873 fühlbar machte, von den zahl¬ losen vernichteten Existenzen ganz zu schweigen. Höher anzuschlagen ist der ideelle Verlust. Mit jener maßlosen Micngründung beginnt gleichzeitig eine Periode der Entsittlichung, die Klassengegensätze beginnen sich zu schärfen, und neben dem Luxus der Gründer erhebt sich das Gespenst der Sozialdemokratie. Ausschreitungen nach allen Richtungen treten hervor, und der Ausbeute durch die Gründer und deren Genossen folgen nicht minder wüste, über das Ziel hinausgreifende Nckriminationcn und Verbitterungen. Unter solchen Eindrücken kann man sich nicht wundern, wenn sogar der Ruf nach Unterdrückung der Aktiengesellschaftsform laut geworden ist. Diesem Rufe zu folgen wäre der gegenwärtige Augenblick jedenfalls verfrüht. Man muß mich schon in Rücksicht ziehen, daß bei dem internationalen Charakter des Handels Deutschland, das mitten im Herzen Europas liegt, einseitig nicht zu weit vorgehen kann. Von der Berliner Börse knüpfen sich leicht die Fäden an die Börsen von London, Paris, Wien, Frankfurt, Brüssel, und entzieht man der einheimischen Industrie das Geld, so fließt ihr solches nicht zum Nutzen des Staates von außen zu, oder es wandern die heimischen Mittel ins Ausland. Man hat nur bisher den wirtschaftlichen Charakter der Aktienanteile verkannt; die Gesetzgebung ging von . der verkehrten Anschauung aus, daß die Aktien die Kapitalsanlage vermitteln — und das Jobbcrtum hat hieraus seinen Nutzen zu ziehen verstanden —, während sie in Wahrheit nur ein Mittel zur Verteilung des Risikos sein sollen. Dieser Gesichtspunkt ist es, der den Entwurf zu beherrschen scheint; er findet seinen geeignetsten Ausdruck in der Bestimmung, daß der Nominalbetrag der Nameusaktie mindestens 1000 Mark, derjenige der Inhaberaktie mindestens 5000 Mark betragen muß. Durch diese Bestimmung soll das kleine Kapital von den Mienunternehmungen zurückgehalten werden, eine Bestimmung, die umso wirksamer sein wird, als der Zeichner zwei Jahre lang für den vollen Betrag der von ihm gezeichneten Aktie haftet. Die Aktiengesellschaft ist eine komplizirte Existenz ; weil nicht der Geschäftsherr, sondern nur Beamte an der Spitze der Verwaltung stehen, so ist schon wegen des Kontrolnppamtes der ganze Mechanismus der Geschäftsführung weniger durchsichtig und viel teurer als das Einzelgeschäft. In der Natur der Sache liegt es, daß ein Geschüftsherr vorsichtiger in seinen Unternehmungen, sparsamer in der Verwaltung, sorglicher für die Zukunft ist als beamtete Direktoren. Der Aktionär steht dem Unternehmen viel fremder gegenüber, ihm liegt zunächst daran, eine hohe Dividende zu erzielen, jederzeit gewinnbringend sich seines Anteils zu entäußern. Das sind Thatsachen, die solange wahr sind, als es Aktiengesellschaften geben wird. Deshalb sollte sich der kleine Mann, den Mittel und Fähigkeiten völlig ungeeignet machen, einen solchen Mechanismus zu erkennen, davon fernhalten. Für ihn ist die Be¬ teiligung an einem Aktienunternehmeu mehr oder weniger ein Lotteriespiel, bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/285>, abgerufen am 01.09.2024.