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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca von Rimini,

sein, und ehe ich mich in Fesseln schlage, es zunächst bei mehreren hintereinander
Probiren.

Ihre bittere Rede beweist nur, daß Ihr Künstler, so sehr Ihr auch der
Natur ihre geheimsten Züge ablauscht, doch keine Ahnung von dem menschlichen
Herzen, und am wenigsten von den Empfindungen der Frau habt.

Ich glaube wohl, erwiederte Oswald, daß unsre Anschauungen über Ästhetik
nuseinandergehen, zu einer Auseinandersetzung in dieser Hinsicht fühle ich, um
aufrichtig zu sein, heute die Stimmung nicht. Auch liegt für uns wohl ein
konkreter Fall näher, jedoch auch diesen zu beleuchten habe ich nicht den ersten
Schritt gethan.

Natürlich, der alte Künstlerstolz darf sich keine Blöße geben. Er darf sich
nicht erkundigen, ob der Freundin, die er in einer neuen Lebenslage trifft, nicht
noch ein Gefühl der Erinnerung an alte Zeiten übriggeblieben ist.

Mir schien es wenig angemessen, ausdrücklich eine solche Frage zu stellen;
ich habe mich nach Ihrer Zufriedenheit erkundigt und bin durch Ihre Antwort
völlig aufgeklärt worden.

Trotzdem scheint diese Antwort Sie nicht befriedigt zu haben.

Sie bewies mir nur, daß Sie ebensowenig von der Ehe wie von der Liebe
die wahre Erkenntnis haben.

Ach natürlich, Ihr Männer habt allein die Erbweisheit überkommen und
für uns Frauen ist ja nur eine kleine für Euch überflüssige Rippe bei der
Schöpfung abgefallen. Wie können wir von so hohen Dingen auch die richtige
Vorstellung haben?

So hat wiederum ein Ausgleich zwischen uns stattgefunden; auf meine
bittere Rede ist eine bittere Antwort erfolgt, und wir können uns jetzt getrost
der übrigen Gesellschaft anschließen.

Also, Sie wollen von mir eine Aufklärung nicht haben? So habe ich mich
doch nicht geirrt, wenn ich Ihren Stolz höher als Ihre Liebe achtete.

Mit dieser Überzeugung können Sie ja befriedigt sein; Sie finden eine
Rechtfertigung für Ihr ganzes Verhalten, und das wird Ihrer Ehe und Ihrem
zukünftigen Glück zu Statten kommen. Das ist es, was ich Ihnen wünsche.

Aber es liegt mir doch daran, daß auch Sie nicht ohne Aufklärung scheiden;
ich habe mir immer einen Augenblick herbeigesehnt, in welchem ich mit Ihnen
in freier Stellung und mit Ruhe über das Vergangene, das auch mich schmerz¬
lich genug berührt hat, reden könnte. Ja, zucken Sie nur die Achseln, mein
Freund; ich sage nicht, was ich uicht auch empfunden habe. Sie glauben na¬
türlich, Liebe sei nur vorhanden, wem? sie sich in elementarer Kraft entwickelt,
so wie bei Shakespeare, der schon bei der ersten Begegnis die Liebe zueinander
wie durch elektrischen Schlag entstehen läßt. Die stürmischen Ausbrüche der
Leidenschaft in den kraftvollen Zeiten der Renaissance haben heute milderen Em¬
pfindungen Platz gemacht --


Francesca von Rimini,

sein, und ehe ich mich in Fesseln schlage, es zunächst bei mehreren hintereinander
Probiren.

Ihre bittere Rede beweist nur, daß Ihr Künstler, so sehr Ihr auch der
Natur ihre geheimsten Züge ablauscht, doch keine Ahnung von dem menschlichen
Herzen, und am wenigsten von den Empfindungen der Frau habt.

Ich glaube wohl, erwiederte Oswald, daß unsre Anschauungen über Ästhetik
nuseinandergehen, zu einer Auseinandersetzung in dieser Hinsicht fühle ich, um
aufrichtig zu sein, heute die Stimmung nicht. Auch liegt für uns wohl ein
konkreter Fall näher, jedoch auch diesen zu beleuchten habe ich nicht den ersten
Schritt gethan.

Natürlich, der alte Künstlerstolz darf sich keine Blöße geben. Er darf sich
nicht erkundigen, ob der Freundin, die er in einer neuen Lebenslage trifft, nicht
noch ein Gefühl der Erinnerung an alte Zeiten übriggeblieben ist.

Mir schien es wenig angemessen, ausdrücklich eine solche Frage zu stellen;
ich habe mich nach Ihrer Zufriedenheit erkundigt und bin durch Ihre Antwort
völlig aufgeklärt worden.

Trotzdem scheint diese Antwort Sie nicht befriedigt zu haben.

Sie bewies mir nur, daß Sie ebensowenig von der Ehe wie von der Liebe
die wahre Erkenntnis haben.

Ach natürlich, Ihr Männer habt allein die Erbweisheit überkommen und
für uns Frauen ist ja nur eine kleine für Euch überflüssige Rippe bei der
Schöpfung abgefallen. Wie können wir von so hohen Dingen auch die richtige
Vorstellung haben?

So hat wiederum ein Ausgleich zwischen uns stattgefunden; auf meine
bittere Rede ist eine bittere Antwort erfolgt, und wir können uns jetzt getrost
der übrigen Gesellschaft anschließen.

Also, Sie wollen von mir eine Aufklärung nicht haben? So habe ich mich
doch nicht geirrt, wenn ich Ihren Stolz höher als Ihre Liebe achtete.

Mit dieser Überzeugung können Sie ja befriedigt sein; Sie finden eine
Rechtfertigung für Ihr ganzes Verhalten, und das wird Ihrer Ehe und Ihrem
zukünftigen Glück zu Statten kommen. Das ist es, was ich Ihnen wünsche.

Aber es liegt mir doch daran, daß auch Sie nicht ohne Aufklärung scheiden;
ich habe mir immer einen Augenblick herbeigesehnt, in welchem ich mit Ihnen
in freier Stellung und mit Ruhe über das Vergangene, das auch mich schmerz¬
lich genug berührt hat, reden könnte. Ja, zucken Sie nur die Achseln, mein
Freund; ich sage nicht, was ich uicht auch empfunden habe. Sie glauben na¬
türlich, Liebe sei nur vorhanden, wem? sie sich in elementarer Kraft entwickelt,
so wie bei Shakespeare, der schon bei der ersten Begegnis die Liebe zueinander
wie durch elektrischen Schlag entstehen läßt. Die stürmischen Ausbrüche der
Leidenschaft in den kraftvollen Zeiten der Renaissance haben heute milderen Em¬
pfindungen Platz gemacht —


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[0273] Francesca von Rimini, sein, und ehe ich mich in Fesseln schlage, es zunächst bei mehreren hintereinander Probiren. Ihre bittere Rede beweist nur, daß Ihr Künstler, so sehr Ihr auch der Natur ihre geheimsten Züge ablauscht, doch keine Ahnung von dem menschlichen Herzen, und am wenigsten von den Empfindungen der Frau habt. Ich glaube wohl, erwiederte Oswald, daß unsre Anschauungen über Ästhetik nuseinandergehen, zu einer Auseinandersetzung in dieser Hinsicht fühle ich, um aufrichtig zu sein, heute die Stimmung nicht. Auch liegt für uns wohl ein konkreter Fall näher, jedoch auch diesen zu beleuchten habe ich nicht den ersten Schritt gethan. Natürlich, der alte Künstlerstolz darf sich keine Blöße geben. Er darf sich nicht erkundigen, ob der Freundin, die er in einer neuen Lebenslage trifft, nicht noch ein Gefühl der Erinnerung an alte Zeiten übriggeblieben ist. Mir schien es wenig angemessen, ausdrücklich eine solche Frage zu stellen; ich habe mich nach Ihrer Zufriedenheit erkundigt und bin durch Ihre Antwort völlig aufgeklärt worden. Trotzdem scheint diese Antwort Sie nicht befriedigt zu haben. Sie bewies mir nur, daß Sie ebensowenig von der Ehe wie von der Liebe die wahre Erkenntnis haben. Ach natürlich, Ihr Männer habt allein die Erbweisheit überkommen und für uns Frauen ist ja nur eine kleine für Euch überflüssige Rippe bei der Schöpfung abgefallen. Wie können wir von so hohen Dingen auch die richtige Vorstellung haben? So hat wiederum ein Ausgleich zwischen uns stattgefunden; auf meine bittere Rede ist eine bittere Antwort erfolgt, und wir können uns jetzt getrost der übrigen Gesellschaft anschließen. Also, Sie wollen von mir eine Aufklärung nicht haben? So habe ich mich doch nicht geirrt, wenn ich Ihren Stolz höher als Ihre Liebe achtete. Mit dieser Überzeugung können Sie ja befriedigt sein; Sie finden eine Rechtfertigung für Ihr ganzes Verhalten, und das wird Ihrer Ehe und Ihrem zukünftigen Glück zu Statten kommen. Das ist es, was ich Ihnen wünsche. Aber es liegt mir doch daran, daß auch Sie nicht ohne Aufklärung scheiden; ich habe mir immer einen Augenblick herbeigesehnt, in welchem ich mit Ihnen in freier Stellung und mit Ruhe über das Vergangene, das auch mich schmerz¬ lich genug berührt hat, reden könnte. Ja, zucken Sie nur die Achseln, mein Freund; ich sage nicht, was ich uicht auch empfunden habe. Sie glauben na¬ türlich, Liebe sei nur vorhanden, wem? sie sich in elementarer Kraft entwickelt, so wie bei Shakespeare, der schon bei der ersten Begegnis die Liebe zueinander wie durch elektrischen Schlag entstehen läßt. Die stürmischen Ausbrüche der Leidenschaft in den kraftvollen Zeiten der Renaissance haben heute milderen Em¬ pfindungen Platz gemacht —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/273>, abgerufen am 01.09.2024.