Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.Gedanken über Goethe. Und wie natürlich ist es, daß auch aus der Nachbarschaft gefreit wird! Beide, und so waren Hermanns Eltern Nachbarskinder gewesen, so sind es Alexis und Schöne Nachbarin, ja so war ich gewohnt dich zu sehen -- und wäre es nach des Vaters Willen gegangen, so hätte sich Hermann drüben ?r"or" "/izütg t'<)Vu^, ^e-rook ^a^/t"?" /^/^s> In ältester Zeit, wo unsre Voreltern mit ihren Herden noch unstät umher¬ Gedanken über Goethe. Und wie natürlich ist es, daß auch aus der Nachbarschaft gefreit wird! Beide, und so waren Hermanns Eltern Nachbarskinder gewesen, so sind es Alexis und Schöne Nachbarin, ja so war ich gewohnt dich zu sehen — und wäre es nach des Vaters Willen gegangen, so hätte sich Hermann drüben ?r«or« «/izütg t'<)Vu^, ^e-rook ^a^/t«?« /^/^s> In ältester Zeit, wo unsre Voreltern mit ihren Herden noch unstät umher¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0262" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154427"/> <fw type="header" place="top"> Gedanken über Goethe.</fw><lb/> <p xml:id="ID_763" prev="#ID_762" next="#ID_764"> Und wie natürlich ist es, daß auch aus der Nachbarschaft gefreit wird! Beide,<lb/> Jüngling und Mädchen, sind ja zusammen Kinder gewesen, in derselben Um¬<lb/> gebung erwachsen, sie reden dieselbe Sprache, die Eltern sind sich bekannt, viel¬<lb/> leicht befreundet — das paßt zu einander; sich täglich sehen, heißt in dem Alter,<lb/> wo das Naturgefühl erwacht, sich lieben, mit allmächtigen, nur durch die Scham<lb/> verhülltem und gehemmtem Zuge einander zustreben. So giebt schon der alte<lb/> Hesiod die Lehre: „Du heiratest am besten die, die nahe bei dir wohnt" (Werke<lb/> und Tage, 700):</p><lb/> <quote/><lb/> <p xml:id="ID_764" prev="#ID_763" next="#ID_765"> und so waren Hermanns Eltern Nachbarskinder gewesen, so sind es Alexis und<lb/> Dora:</p><lb/> <quote> Schöne Nachbarin, ja so war ich gewohnt dich zu sehen —</quote><lb/> <p xml:id="ID_765" prev="#ID_764"> und wäre es nach des Vaters Willen gegangen, so hätte sich Hermann drüben<lb/> aus dem grünen Nachbarhause eine der Töchter geholt. Aber Hermann mochte<lb/> dies nicht, denn, wie der gleich folgende Vers der „Werke und Tage" taillee:<lb/> „Schaue gleichwohl bei der Wahl um dich, daß du nicht zur Schadenfreude der<lb/> Nachbarn werdest":</p><lb/> <quote> ?r«or« «/izütg t'<)Vu^, ^e-rook ^a^/t«?« /^/^s></quote><lb/> <p xml:id="ID_766" next="#ID_767"> In ältester Zeit, wo unsre Voreltern mit ihren Herden noch unstät umher¬<lb/> zogen, da raubte sich der Mann aus der Ferne, aus fremdem Stamme das<lb/> Mädchen zum Weibe, und so kam immer frisches Blut in die abgeschlossene<lb/> Horde und mit dem Wechsel oft auch Veredlung. Dann wurden die Menschen<lb/> ansässig, und die Blutsverwandten, die Stammesgenossen siedelten sich neben¬<lb/> einander an- Noch später lockerte sich das patriarchalische Band und die Nach¬<lb/> barschaft erhielt in friedlicher Zeit freien sittlichen Wert. Gute Nachbarn wurden<lb/> ein Segen, böse Nachbarn ein Fluch, und viele Sprichwörter der Alten und der<lb/> Neuern geben darüber Bescheid. Wenn es in der vierten Bitte im Vaterunser<lb/> heißt: „Unser täglich Brot gieb uns heute," so solle» wir darunter, wie Luther<lb/> erläutert, nicht bloß des Leibes Nahrung und Notdurft verstehe», sondern auch<lb/> „gute Freunde und getreue Nachbarn." Als einst Themistokles, so wird er¬<lb/> zählt, ein Grundstück verkaufen wollte, ließ er ausrufen, es habe den Vorzug<lb/> guter, wohlgesinnter Nachbarn. Oft hadern zwei Nachbarn um ein Stück Land;<lb/> giebt nun der eine seine Tochter dem andern zum Weibe, so erledigt sich der<lb/> Streit von selbst. So thaten der Brautvater und der Bräutigam im „Götz<lb/> von Berlichingen," und es kehrte Ruh und Frieden unter ihnen wieder ein.<lb/> Hermann freilich verband sich mit einer Fremden von jenseits des Rheines —<lb/> er hatte sie aber sicher erkannt, und als Fremde brachte sie Bewegung und<lb/> neue Gedanken in das sonst allzu stille Haus und Städtchen. Und wäre wohl</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0262]
Gedanken über Goethe.
Und wie natürlich ist es, daß auch aus der Nachbarschaft gefreit wird! Beide,
Jüngling und Mädchen, sind ja zusammen Kinder gewesen, in derselben Um¬
gebung erwachsen, sie reden dieselbe Sprache, die Eltern sind sich bekannt, viel¬
leicht befreundet — das paßt zu einander; sich täglich sehen, heißt in dem Alter,
wo das Naturgefühl erwacht, sich lieben, mit allmächtigen, nur durch die Scham
verhülltem und gehemmtem Zuge einander zustreben. So giebt schon der alte
Hesiod die Lehre: „Du heiratest am besten die, die nahe bei dir wohnt" (Werke
und Tage, 700):
und so waren Hermanns Eltern Nachbarskinder gewesen, so sind es Alexis und
Dora:
Schöne Nachbarin, ja so war ich gewohnt dich zu sehen —
und wäre es nach des Vaters Willen gegangen, so hätte sich Hermann drüben
aus dem grünen Nachbarhause eine der Töchter geholt. Aber Hermann mochte
dies nicht, denn, wie der gleich folgende Vers der „Werke und Tage" taillee:
„Schaue gleichwohl bei der Wahl um dich, daß du nicht zur Schadenfreude der
Nachbarn werdest":
?r«or« «/izütg t'<)Vu^, ^e-rook ^a^/t«?« /^/^s>
In ältester Zeit, wo unsre Voreltern mit ihren Herden noch unstät umher¬
zogen, da raubte sich der Mann aus der Ferne, aus fremdem Stamme das
Mädchen zum Weibe, und so kam immer frisches Blut in die abgeschlossene
Horde und mit dem Wechsel oft auch Veredlung. Dann wurden die Menschen
ansässig, und die Blutsverwandten, die Stammesgenossen siedelten sich neben¬
einander an- Noch später lockerte sich das patriarchalische Band und die Nach¬
barschaft erhielt in friedlicher Zeit freien sittlichen Wert. Gute Nachbarn wurden
ein Segen, böse Nachbarn ein Fluch, und viele Sprichwörter der Alten und der
Neuern geben darüber Bescheid. Wenn es in der vierten Bitte im Vaterunser
heißt: „Unser täglich Brot gieb uns heute," so solle» wir darunter, wie Luther
erläutert, nicht bloß des Leibes Nahrung und Notdurft verstehe», sondern auch
„gute Freunde und getreue Nachbarn." Als einst Themistokles, so wird er¬
zählt, ein Grundstück verkaufen wollte, ließ er ausrufen, es habe den Vorzug
guter, wohlgesinnter Nachbarn. Oft hadern zwei Nachbarn um ein Stück Land;
giebt nun der eine seine Tochter dem andern zum Weibe, so erledigt sich der
Streit von selbst. So thaten der Brautvater und der Bräutigam im „Götz
von Berlichingen," und es kehrte Ruh und Frieden unter ihnen wieder ein.
Hermann freilich verband sich mit einer Fremden von jenseits des Rheines —
er hatte sie aber sicher erkannt, und als Fremde brachte sie Bewegung und
neue Gedanken in das sonst allzu stille Haus und Städtchen. Und wäre wohl
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |