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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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bedanken über Goethe.

versammeln sich bei ihm die wohlfrisirter "Handelsbübchcn, denen halbseiden
das Läppchen herumhängt"; da wird aus der "Zauberflöte," die damals noch
neu war, zum Klavier gesungen; die Mädchen kichern und lachen über Hermann,
weil er nicht nach der Mode gekleidet ist, "denn eitel sind sie und lieblos"
wie auch der Vater, und allen den Menschen dieses Kreises fehlt es an Herz.
Ihnen gegenüber stellt Hermann das deutsche Bürgertum in ächter Gestalt dar,
das Bürgertum, wie es innerhalb seiner Schranken seine Gesinnung und seinen
Frieden bewahrt hat. Hermann ist treu und fleißig, gediegen und tüchtig.
Ihm ist versagt, raschen Geistes dem Scheine der Dinge leichten Ausdruck zu
geben, die feinere und geistreichere, aber auch flüchtige und nichtige Lust des
Lebens zu erkennen und zu ergreifen. Aber man kann sich auf ihn verlasse",
sowohl auf sei" Wort als auf die Arbeit, die er thut. In Gesellschaft ist er
ungeschickt und blöde, sein Auftrete", seine Kleider sind etwas bäurisch; Welt¬
menschen erscheint er lächerlich, der List gegenüber ist er ohne Waffen. I" der
Schule ging es mit ihm langsam; der Vater klagt, daß er immer der Unterste saß;
war aber etwas vo" ihm angeeignet, so war es, weil seiner Natur gemäß, sein
Besitz auf immer. Das Unbehilfliche seines Wesens ist nur die Kehrseite der Lauter¬
keit seines Innern. Gutmütig ließ er sich von den andern Knaben manches ge¬
falle"; "ur wenn sei" Gemüt ins Spiel kam, z. B. wenn über seinen Vater ge¬
spottet wurde, über dessen bedächtigen Gang und großblumigen Schlafrock, dann
erwachte sein Zorn, und blind hieb er um sich. Fließend und beredt sprechen
war nicht seine Sache; "deine Zunge stockte immer," sagt der Vater. Desto besser
gelangen ihm ländliche und häusliche Arbeiten, ii" Garten, im Weinberg, auf
dem Felde; seine Hengste hat er selbst auferzogen und besorgt sie selbst im
Stalle, recht ein Wirtssohn, dessen Frende immer die Pferde sind. Er ist früh¬
morgens auf, und wenige Stunden gesunden Schlafes genügen ihm; überhaupt
ist er gesund, hat starke Nerven und einen hohen Wuchs. Er ist kein Jeau-
Paulischer Held, der Sehnsucht nach den Sternen hat; nicht für das Weite
und Umfassende ist er geschaffen, sondern für ein geordnetes, immer wieder¬
kehrendes Erwerbs- und Familienleben. Zwar will er in de" Krieg ziehen und
aus den gewohnte" Verhältnissen scheide", aber nicht weil ihm diese zu eng
sind, sondern weil er in der ihm zukommenden Gestaltung seines häuslichen
Lebens gestört und gehindert wird. Vor den Mädchen in zweierlei Tuch zu
Prunken, diese Eitelkeit fällt ihm nicht el". Am Schlüsse des Gedichtes spricht
er eine standhafte patriotische Gesinnung ans, aber nur weil der gewonnene
Besitz des Weibes ihn mit dem Gefühl des Eigentums überhaupt erfüllt hat:
"Nun ist das Meine meiner als jemals" ruft er aus; dann auch, weil er
dunkel empfindet, daß allein in der Nation, im nationalen Staate die Sphäre
gegeben ist. die alles Privatglück erzeugt und verbürgt. Auch die Art, wie
seine Liebe zu Dvrotheen sich äußerst, ist dem Lebenskreise gemäß, dem er an¬
gehört. Kein Wahn und Rausch der Phantasie stürzt ihn zu des Mädchens


bedanken über Goethe.

versammeln sich bei ihm die wohlfrisirter „Handelsbübchcn, denen halbseiden
das Läppchen herumhängt"; da wird aus der „Zauberflöte," die damals noch
neu war, zum Klavier gesungen; die Mädchen kichern und lachen über Hermann,
weil er nicht nach der Mode gekleidet ist, „denn eitel sind sie und lieblos"
wie auch der Vater, und allen den Menschen dieses Kreises fehlt es an Herz.
Ihnen gegenüber stellt Hermann das deutsche Bürgertum in ächter Gestalt dar,
das Bürgertum, wie es innerhalb seiner Schranken seine Gesinnung und seinen
Frieden bewahrt hat. Hermann ist treu und fleißig, gediegen und tüchtig.
Ihm ist versagt, raschen Geistes dem Scheine der Dinge leichten Ausdruck zu
geben, die feinere und geistreichere, aber auch flüchtige und nichtige Lust des
Lebens zu erkennen und zu ergreifen. Aber man kann sich auf ihn verlasse»,
sowohl auf sei» Wort als auf die Arbeit, die er thut. In Gesellschaft ist er
ungeschickt und blöde, sein Auftrete», seine Kleider sind etwas bäurisch; Welt¬
menschen erscheint er lächerlich, der List gegenüber ist er ohne Waffen. I» der
Schule ging es mit ihm langsam; der Vater klagt, daß er immer der Unterste saß;
war aber etwas vo« ihm angeeignet, so war es, weil seiner Natur gemäß, sein
Besitz auf immer. Das Unbehilfliche seines Wesens ist nur die Kehrseite der Lauter¬
keit seines Innern. Gutmütig ließ er sich von den andern Knaben manches ge¬
falle»; »ur wenn sei» Gemüt ins Spiel kam, z. B. wenn über seinen Vater ge¬
spottet wurde, über dessen bedächtigen Gang und großblumigen Schlafrock, dann
erwachte sein Zorn, und blind hieb er um sich. Fließend und beredt sprechen
war nicht seine Sache; „deine Zunge stockte immer," sagt der Vater. Desto besser
gelangen ihm ländliche und häusliche Arbeiten, ii» Garten, im Weinberg, auf
dem Felde; seine Hengste hat er selbst auferzogen und besorgt sie selbst im
Stalle, recht ein Wirtssohn, dessen Frende immer die Pferde sind. Er ist früh¬
morgens auf, und wenige Stunden gesunden Schlafes genügen ihm; überhaupt
ist er gesund, hat starke Nerven und einen hohen Wuchs. Er ist kein Jeau-
Paulischer Held, der Sehnsucht nach den Sternen hat; nicht für das Weite
und Umfassende ist er geschaffen, sondern für ein geordnetes, immer wieder¬
kehrendes Erwerbs- und Familienleben. Zwar will er in de» Krieg ziehen und
aus den gewohnte» Verhältnissen scheide», aber nicht weil ihm diese zu eng
sind, sondern weil er in der ihm zukommenden Gestaltung seines häuslichen
Lebens gestört und gehindert wird. Vor den Mädchen in zweierlei Tuch zu
Prunken, diese Eitelkeit fällt ihm nicht el». Am Schlüsse des Gedichtes spricht
er eine standhafte patriotische Gesinnung ans, aber nur weil der gewonnene
Besitz des Weibes ihn mit dem Gefühl des Eigentums überhaupt erfüllt hat:
„Nun ist das Meine meiner als jemals" ruft er aus; dann auch, weil er
dunkel empfindet, daß allein in der Nation, im nationalen Staate die Sphäre
gegeben ist. die alles Privatglück erzeugt und verbürgt. Auch die Art, wie
seine Liebe zu Dvrotheen sich äußerst, ist dem Lebenskreise gemäß, dem er an¬
gehört. Kein Wahn und Rausch der Phantasie stürzt ihn zu des Mädchens


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[0257] bedanken über Goethe. versammeln sich bei ihm die wohlfrisirter „Handelsbübchcn, denen halbseiden das Läppchen herumhängt"; da wird aus der „Zauberflöte," die damals noch neu war, zum Klavier gesungen; die Mädchen kichern und lachen über Hermann, weil er nicht nach der Mode gekleidet ist, „denn eitel sind sie und lieblos" wie auch der Vater, und allen den Menschen dieses Kreises fehlt es an Herz. Ihnen gegenüber stellt Hermann das deutsche Bürgertum in ächter Gestalt dar, das Bürgertum, wie es innerhalb seiner Schranken seine Gesinnung und seinen Frieden bewahrt hat. Hermann ist treu und fleißig, gediegen und tüchtig. Ihm ist versagt, raschen Geistes dem Scheine der Dinge leichten Ausdruck zu geben, die feinere und geistreichere, aber auch flüchtige und nichtige Lust des Lebens zu erkennen und zu ergreifen. Aber man kann sich auf ihn verlasse», sowohl auf sei» Wort als auf die Arbeit, die er thut. In Gesellschaft ist er ungeschickt und blöde, sein Auftrete», seine Kleider sind etwas bäurisch; Welt¬ menschen erscheint er lächerlich, der List gegenüber ist er ohne Waffen. I» der Schule ging es mit ihm langsam; der Vater klagt, daß er immer der Unterste saß; war aber etwas vo« ihm angeeignet, so war es, weil seiner Natur gemäß, sein Besitz auf immer. Das Unbehilfliche seines Wesens ist nur die Kehrseite der Lauter¬ keit seines Innern. Gutmütig ließ er sich von den andern Knaben manches ge¬ falle»; »ur wenn sei» Gemüt ins Spiel kam, z. B. wenn über seinen Vater ge¬ spottet wurde, über dessen bedächtigen Gang und großblumigen Schlafrock, dann erwachte sein Zorn, und blind hieb er um sich. Fließend und beredt sprechen war nicht seine Sache; „deine Zunge stockte immer," sagt der Vater. Desto besser gelangen ihm ländliche und häusliche Arbeiten, ii» Garten, im Weinberg, auf dem Felde; seine Hengste hat er selbst auferzogen und besorgt sie selbst im Stalle, recht ein Wirtssohn, dessen Frende immer die Pferde sind. Er ist früh¬ morgens auf, und wenige Stunden gesunden Schlafes genügen ihm; überhaupt ist er gesund, hat starke Nerven und einen hohen Wuchs. Er ist kein Jeau- Paulischer Held, der Sehnsucht nach den Sternen hat; nicht für das Weite und Umfassende ist er geschaffen, sondern für ein geordnetes, immer wieder¬ kehrendes Erwerbs- und Familienleben. Zwar will er in de» Krieg ziehen und aus den gewohnte» Verhältnissen scheide», aber nicht weil ihm diese zu eng sind, sondern weil er in der ihm zukommenden Gestaltung seines häuslichen Lebens gestört und gehindert wird. Vor den Mädchen in zweierlei Tuch zu Prunken, diese Eitelkeit fällt ihm nicht el». Am Schlüsse des Gedichtes spricht er eine standhafte patriotische Gesinnung ans, aber nur weil der gewonnene Besitz des Weibes ihn mit dem Gefühl des Eigentums überhaupt erfüllt hat: „Nun ist das Meine meiner als jemals" ruft er aus; dann auch, weil er dunkel empfindet, daß allein in der Nation, im nationalen Staate die Sphäre gegeben ist. die alles Privatglück erzeugt und verbürgt. Auch die Art, wie seine Liebe zu Dvrotheen sich äußerst, ist dem Lebenskreise gemäß, dem er an¬ gehört. Kein Wahn und Rausch der Phantasie stürzt ihn zu des Mädchens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/257>, abgerufen am 28.07.2024.