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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Gin Reichsmonopol ans Getreide-Linsuhr.

Hebung eintreten. Der Verfasser dieser Zeilen ist weit entfernt, die Schatten¬
seiten solcher Maßregeln zu verkennen; er hat vielmehr als Verfasser des Jahres¬
berichts der Thorner Handelskammer für 1879 Anlaß genommen, die Nach¬
teile, welche der bisher blühende Getreidegroßhandel der an den Einfuhrwegen
ausländischen Getreides gelegenen Städte schon durch den Einfuhrzoll voraus¬
sichtlich erleiden mußte, scharf genug zu kennzeichnen; ja er hat sogar -- mit
bäuerlichen Verhältnissen damals wenig bekannt und denselben deshalb nicht
genug Rechnung tragend -- geglaubt, gegen jede Beeinträchtigung des Getreidc-
Jmvorthcmdcls sich aussprechen zu müssen, zumal da bekanntlich die gegen¬
wärtige inländische Getreideproduktion selbst in den besten Jahren den Bedarf
der Bevölkerung des Reichs nicht deckt, und somit unter den gegebenen Ver¬
hältnissen eine mehr oder minder große Einfuhr als unerläßlich erscheinen muß.
Umsomehr glaubt er aber auch, daß uoch viele, gleich ihm, zu einer andern
Überzeugung gelangen würden, wenn sie Gelegenheit fänden, von den schlechten
Verhältnissen, unter welchen die Landwirtschaft laborirt, sich durch eigne An¬
schauung zu überzeugen und dadurch in die Lage versetzt würden, die einander
entgegenstehenden Interessen sorgfältig abzuwägen und zu entscheiden, wein
hier die meiste Berücksichtigung gebührt: dem Handel oder der Landwirtschaft.

Durch Worte allein freilich wird wohl keiner bekehrt werden, der an der
Notlage der Landwirtschaft zweifelt, und es mag deshalb davon abgesehen
werden, hier all den gerechtfertigten Klagen ein Echo zu geben, welche von Ver¬
tretern der Landwirtschaft in öffentlichen Blättern wie in den Volksvertretungen
erhoben worden sind. Nur sei es gestattet, hier in Kürze auf die Verhältnisse
hinzuweisen, welche sich wenigstens in Südwestdeutschland aus der bestehenden
Lage im letzten Jahre ergeben haben.

Die Ernte des Jahres 1882 war -- soweit nicht einzelne Gegenden von
Hagelschlag und ähnlichen schweren Elementarereignissen heimgesucht wurden --
wenigstens quantitativ recht gut. Unsre Getreideproduzenten durften hoffen,
bei normalen Preisen nach etlichen mehr oder minder ungünstigen Jahren
wieder einmal eine leidliche Einnahme verzeichnen zu können. Aber sie war¬
teten vergeblich auf Käufer; nicht einmal zu schlechten Preisen konnten sie
sich ihrer Produkte entledigen, so sehr sie auch durch dringende Verpflich¬
tungen (rückständige Steuern und Umlagen) genötigt wurden, sich eifrig


die Produktionskosten für 1000 Kilogr. Getreide bei einem Ertrage von 8 -- 10 Zentnern
auf den Morgen je nach den besondern Umständen auf 180--200 Mark. Was also dem Pro-
duzenten jährlich für ein Reingewinn bleibt, zumal wenn man bedenkt, daß die Preise des
Jahres 1881 noch keineswegs zu den ungünstigsten gehören, ist leicht zu ermessen. Unter
diesen Verhältnissen wird nur der Besitzer sehr ausgedehnter Güter in der Lage sein, die
Kosten seines Lebensunterhaltes bestreiten zu können; allenfalls auch noch der Kleinbauer,
der mit seiner Familie den größten Teil der aus seinen Produkten haftenden Arbeitslöhne
selbst verdient; aber der bäuerliche Mittelstand wird und muß zu Grunde gehen.
Gin Reichsmonopol ans Getreide-Linsuhr.

Hebung eintreten. Der Verfasser dieser Zeilen ist weit entfernt, die Schatten¬
seiten solcher Maßregeln zu verkennen; er hat vielmehr als Verfasser des Jahres¬
berichts der Thorner Handelskammer für 1879 Anlaß genommen, die Nach¬
teile, welche der bisher blühende Getreidegroßhandel der an den Einfuhrwegen
ausländischen Getreides gelegenen Städte schon durch den Einfuhrzoll voraus¬
sichtlich erleiden mußte, scharf genug zu kennzeichnen; ja er hat sogar — mit
bäuerlichen Verhältnissen damals wenig bekannt und denselben deshalb nicht
genug Rechnung tragend — geglaubt, gegen jede Beeinträchtigung des Getreidc-
Jmvorthcmdcls sich aussprechen zu müssen, zumal da bekanntlich die gegen¬
wärtige inländische Getreideproduktion selbst in den besten Jahren den Bedarf
der Bevölkerung des Reichs nicht deckt, und somit unter den gegebenen Ver¬
hältnissen eine mehr oder minder große Einfuhr als unerläßlich erscheinen muß.
Umsomehr glaubt er aber auch, daß uoch viele, gleich ihm, zu einer andern
Überzeugung gelangen würden, wenn sie Gelegenheit fänden, von den schlechten
Verhältnissen, unter welchen die Landwirtschaft laborirt, sich durch eigne An¬
schauung zu überzeugen und dadurch in die Lage versetzt würden, die einander
entgegenstehenden Interessen sorgfältig abzuwägen und zu entscheiden, wein
hier die meiste Berücksichtigung gebührt: dem Handel oder der Landwirtschaft.

Durch Worte allein freilich wird wohl keiner bekehrt werden, der an der
Notlage der Landwirtschaft zweifelt, und es mag deshalb davon abgesehen
werden, hier all den gerechtfertigten Klagen ein Echo zu geben, welche von Ver¬
tretern der Landwirtschaft in öffentlichen Blättern wie in den Volksvertretungen
erhoben worden sind. Nur sei es gestattet, hier in Kürze auf die Verhältnisse
hinzuweisen, welche sich wenigstens in Südwestdeutschland aus der bestehenden
Lage im letzten Jahre ergeben haben.

Die Ernte des Jahres 1882 war — soweit nicht einzelne Gegenden von
Hagelschlag und ähnlichen schweren Elementarereignissen heimgesucht wurden —
wenigstens quantitativ recht gut. Unsre Getreideproduzenten durften hoffen,
bei normalen Preisen nach etlichen mehr oder minder ungünstigen Jahren
wieder einmal eine leidliche Einnahme verzeichnen zu können. Aber sie war¬
teten vergeblich auf Käufer; nicht einmal zu schlechten Preisen konnten sie
sich ihrer Produkte entledigen, so sehr sie auch durch dringende Verpflich¬
tungen (rückständige Steuern und Umlagen) genötigt wurden, sich eifrig


die Produktionskosten für 1000 Kilogr. Getreide bei einem Ertrage von 8 — 10 Zentnern
auf den Morgen je nach den besondern Umständen auf 180—200 Mark. Was also dem Pro-
duzenten jährlich für ein Reingewinn bleibt, zumal wenn man bedenkt, daß die Preise des
Jahres 1881 noch keineswegs zu den ungünstigsten gehören, ist leicht zu ermessen. Unter
diesen Verhältnissen wird nur der Besitzer sehr ausgedehnter Güter in der Lage sein, die
Kosten seines Lebensunterhaltes bestreiten zu können; allenfalls auch noch der Kleinbauer,
der mit seiner Familie den größten Teil der aus seinen Produkten haftenden Arbeitslöhne
selbst verdient; aber der bäuerliche Mittelstand wird und muß zu Grunde gehen.
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[0236] Gin Reichsmonopol ans Getreide-Linsuhr. Hebung eintreten. Der Verfasser dieser Zeilen ist weit entfernt, die Schatten¬ seiten solcher Maßregeln zu verkennen; er hat vielmehr als Verfasser des Jahres¬ berichts der Thorner Handelskammer für 1879 Anlaß genommen, die Nach¬ teile, welche der bisher blühende Getreidegroßhandel der an den Einfuhrwegen ausländischen Getreides gelegenen Städte schon durch den Einfuhrzoll voraus¬ sichtlich erleiden mußte, scharf genug zu kennzeichnen; ja er hat sogar — mit bäuerlichen Verhältnissen damals wenig bekannt und denselben deshalb nicht genug Rechnung tragend — geglaubt, gegen jede Beeinträchtigung des Getreidc- Jmvorthcmdcls sich aussprechen zu müssen, zumal da bekanntlich die gegen¬ wärtige inländische Getreideproduktion selbst in den besten Jahren den Bedarf der Bevölkerung des Reichs nicht deckt, und somit unter den gegebenen Ver¬ hältnissen eine mehr oder minder große Einfuhr als unerläßlich erscheinen muß. Umsomehr glaubt er aber auch, daß uoch viele, gleich ihm, zu einer andern Überzeugung gelangen würden, wenn sie Gelegenheit fänden, von den schlechten Verhältnissen, unter welchen die Landwirtschaft laborirt, sich durch eigne An¬ schauung zu überzeugen und dadurch in die Lage versetzt würden, die einander entgegenstehenden Interessen sorgfältig abzuwägen und zu entscheiden, wein hier die meiste Berücksichtigung gebührt: dem Handel oder der Landwirtschaft. Durch Worte allein freilich wird wohl keiner bekehrt werden, der an der Notlage der Landwirtschaft zweifelt, und es mag deshalb davon abgesehen werden, hier all den gerechtfertigten Klagen ein Echo zu geben, welche von Ver¬ tretern der Landwirtschaft in öffentlichen Blättern wie in den Volksvertretungen erhoben worden sind. Nur sei es gestattet, hier in Kürze auf die Verhältnisse hinzuweisen, welche sich wenigstens in Südwestdeutschland aus der bestehenden Lage im letzten Jahre ergeben haben. Die Ernte des Jahres 1882 war — soweit nicht einzelne Gegenden von Hagelschlag und ähnlichen schweren Elementarereignissen heimgesucht wurden — wenigstens quantitativ recht gut. Unsre Getreideproduzenten durften hoffen, bei normalen Preisen nach etlichen mehr oder minder ungünstigen Jahren wieder einmal eine leidliche Einnahme verzeichnen zu können. Aber sie war¬ teten vergeblich auf Käufer; nicht einmal zu schlechten Preisen konnten sie sich ihrer Produkte entledigen, so sehr sie auch durch dringende Verpflich¬ tungen (rückständige Steuern und Umlagen) genötigt wurden, sich eifrig die Produktionskosten für 1000 Kilogr. Getreide bei einem Ertrage von 8 — 10 Zentnern auf den Morgen je nach den besondern Umständen auf 180—200 Mark. Was also dem Pro- duzenten jährlich für ein Reingewinn bleibt, zumal wenn man bedenkt, daß die Preise des Jahres 1881 noch keineswegs zu den ungünstigsten gehören, ist leicht zu ermessen. Unter diesen Verhältnissen wird nur der Besitzer sehr ausgedehnter Güter in der Lage sein, die Kosten seines Lebensunterhaltes bestreiten zu können; allenfalls auch noch der Kleinbauer, der mit seiner Familie den größten Teil der aus seinen Produkten haftenden Arbeitslöhne selbst verdient; aber der bäuerliche Mittelstand wird und muß zu Grunde gehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/236>, abgerufen am 01.09.2024.