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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Gedanken über Goethe.

selben wie ein fernes, leises Echo ans dem Altertum zu uns herüberkommen.
Von den Personen und Sitten seines eben vollendeten epischen Gedichtes
schreibt er selbst an Schiller (8. April 1797): "Diejenigen Vorteile, deren ich
mich in meinem Gedicht bediente, habe ich alle von der bildenden Kunst gelernt,"
und an Meyer (28. April 1797): "Die höchste Instanz, vor der mein Gedicht
gerichtet werden kann, ist die, vor welche der Menschenmaler seine Kompositionen
bringt, und es ist die Frage, ob Sie unter dem modernen Kostüm die wahre,
echte Meuschenprvportion und Gliederform anerkennen werden" und an den¬
selben (5. August desselben Jahres) fast mit denselben Worten: "Der Menschen¬
maler ist eigentlich der kompetenteste Richter der epischen Arbeit." Er schrieb
an einen Maler, sonst hätte er noch besser gesagt: der Menschenbildner, und
der hätte in "Hermann und Dorothea" viel gefunden, ähnliches als wie der
griechische Künstler in seinem Homer. Der Vater z. B., den der Unwille oft
hinreißt, er gleicht, obwohl nur ein Gastwirt, dem götterberatencn, leicht
zürnenden Sohne des Kronos, den seine Umgebung durch List und Überredung
beherrscht; er wünscht, wie Hektor in der Ilias und wie jeder Vater, daß ihm
der Sohn nicht gleich sei, sondern ein Besserer; der Pfarrer, der in Hermanns
Liebe die Stimme des Schicksals vernimmt und dieser zu folgen für Weisheit
hält, er erscheint wie der Seher, der wußte, was ist und war und sein wird,
oder wie einer der Götter in fremder Gestalt, die den Helden beraten und ihm
seinen Entschluß eingeben; aus dem ehrwürdigen Richter spricht der Geist der
Völkerführer, die, Maß und Frieden gebietend, die verzagende, immer unbillige
und unbedachte Menge durch die Wüste leiten; Hermann selbst, er ist der Jüng¬
ling überhaupt, der zum Manne heranreift, und ganz wie Telemachos wohnt
er im obern Stock (o^t "5 H"^"^os ^^og aes^ro) und wie dieser ist er
auf mit der frühgeborenen, rosenfingrigen Eos, ja gegen den Schluß erhebt
sich seine Gestalt zur Würde des Heros, der "mit Mannesgefühl die Helden¬
größe des Weibes trägt" und den sein Weib zur Schlacht wappnet:


und drohen diesmal die Feinde,
Oder künftig, so rüste mich selbst und reiche die Waffen.

Dorothea auf der Landstraße mit langem Stäbe neben den Ochsen schreitend
und sie antreibend oder zurückhaltend, gewährt ein Bild von ganz epischer Ein¬
falt: seit den ersten Zeiten der erwachten Kultur dienen die Rinder dem Men¬
schen bei seinen Geschäften; die Dichter, wenn sie die Werke und Tage schildern,
vergessen auch die gehörnten und schwerwandelnden Gehilfen nicht (e^^vo"?
L^ex"s /?o5s), und gern stellt sie auch die bildende Kunst mit dem Menschen
zusammen, bald wie sie durch das fette Erdreich den Pflug ziehen, vom
Stachel getrieben, bald wie sie wiederkäuend sich gelagert haben oder ruhig
und würdig am Altare dastehen, dem Gotte zum Opfer geweiht und den tät¬
lichen Streich erwartend, auch wohl wie der wilde Stier von Jünglingen ge-


Gedanken über Goethe.

selben wie ein fernes, leises Echo ans dem Altertum zu uns herüberkommen.
Von den Personen und Sitten seines eben vollendeten epischen Gedichtes
schreibt er selbst an Schiller (8. April 1797): „Diejenigen Vorteile, deren ich
mich in meinem Gedicht bediente, habe ich alle von der bildenden Kunst gelernt,"
und an Meyer (28. April 1797): „Die höchste Instanz, vor der mein Gedicht
gerichtet werden kann, ist die, vor welche der Menschenmaler seine Kompositionen
bringt, und es ist die Frage, ob Sie unter dem modernen Kostüm die wahre,
echte Meuschenprvportion und Gliederform anerkennen werden" und an den¬
selben (5. August desselben Jahres) fast mit denselben Worten: „Der Menschen¬
maler ist eigentlich der kompetenteste Richter der epischen Arbeit." Er schrieb
an einen Maler, sonst hätte er noch besser gesagt: der Menschenbildner, und
der hätte in „Hermann und Dorothea" viel gefunden, ähnliches als wie der
griechische Künstler in seinem Homer. Der Vater z. B., den der Unwille oft
hinreißt, er gleicht, obwohl nur ein Gastwirt, dem götterberatencn, leicht
zürnenden Sohne des Kronos, den seine Umgebung durch List und Überredung
beherrscht; er wünscht, wie Hektor in der Ilias und wie jeder Vater, daß ihm
der Sohn nicht gleich sei, sondern ein Besserer; der Pfarrer, der in Hermanns
Liebe die Stimme des Schicksals vernimmt und dieser zu folgen für Weisheit
hält, er erscheint wie der Seher, der wußte, was ist und war und sein wird,
oder wie einer der Götter in fremder Gestalt, die den Helden beraten und ihm
seinen Entschluß eingeben; aus dem ehrwürdigen Richter spricht der Geist der
Völkerführer, die, Maß und Frieden gebietend, die verzagende, immer unbillige
und unbedachte Menge durch die Wüste leiten; Hermann selbst, er ist der Jüng¬
ling überhaupt, der zum Manne heranreift, und ganz wie Telemachos wohnt
er im obern Stock (o^t »5 H«^«^os ^^og aes^ro) und wie dieser ist er
auf mit der frühgeborenen, rosenfingrigen Eos, ja gegen den Schluß erhebt
sich seine Gestalt zur Würde des Heros, der „mit Mannesgefühl die Helden¬
größe des Weibes trägt" und den sein Weib zur Schlacht wappnet:


und drohen diesmal die Feinde,
Oder künftig, so rüste mich selbst und reiche die Waffen.

Dorothea auf der Landstraße mit langem Stäbe neben den Ochsen schreitend
und sie antreibend oder zurückhaltend, gewährt ein Bild von ganz epischer Ein¬
falt: seit den ersten Zeiten der erwachten Kultur dienen die Rinder dem Men¬
schen bei seinen Geschäften; die Dichter, wenn sie die Werke und Tage schildern,
vergessen auch die gehörnten und schwerwandelnden Gehilfen nicht (e^^vo«?
L^ex«s /?o5s), und gern stellt sie auch die bildende Kunst mit dem Menschen
zusammen, bald wie sie durch das fette Erdreich den Pflug ziehen, vom
Stachel getrieben, bald wie sie wiederkäuend sich gelagert haben oder ruhig
und würdig am Altare dastehen, dem Gotte zum Opfer geweiht und den tät¬
lichen Streich erwartend, auch wohl wie der wilde Stier von Jünglingen ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/23>, abgerufen am 27.07.2024.