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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca von^Rimini.

Auf Margarethe hatte dieser plötzliche Wechsel verstimmend gewirkt. Als natür¬
liche Folge des Festjubels war das Gefühl schmerzlicher Vereinsamung über
sie gekommen; sie vermißte Oswald; es beschwerte sie, ihn in seinen Hoffnungen
herabgedrückt zu haben, und sie entschloß sich, um ihrem Herzen Luft zu machen,
den Brief Oswalds ihren Eltern zu zeigen. Er erregte bei diesen einen Sturm
der Entrüstung; Frau Genöve fand es unritterlich, die Tochter in seine Garne
zu ziehen, ohne sich vorerst der Zustimmung der Eltern versichert zu haben.
Sie fand es illoyal, daß Oswald versucht habe, das junge Mädchen durch einen
Liebesbrief, dessen Zustecken auch von andern hätte gesehen werden können, zu
kompromittiren, und stellte seine Handlungsweise als ein Manöver dar, welches
nur darauf abziele, sich durch eine reiche Heirat eine bequeme Existenz zu
schaffe". Margarethe erklärte jedoch, daß sie Oswald liebe und in diesem Ent¬
schlüsse nicht wankend gemacht werden könne. Mit diesen Verhandlungen ver¬
gingen mehrere Tage. Frau Gcnöve hatte inzwischen ihren Freund Spath
beauftragt, Erkundigungen über Oswalds Familie einzuziehen und diese nament¬
lich auf die ungünstige Seite zu richten. Eben deshalb hatte sie den zunächst
liegenden Weg, der auf ihren Neffen wies, vermieden. Max Genöve hatte
seiner drängenden Tochter endlich das Versprechen abgeben müssen, ihrer Neigung
keinen Widerstand entgegenzusetzen, wenn er dieselbe als eine ernste und wohl¬
überlegte erkannt haben würde; die Ernstlichkeit sollte aber sich erst nach einer
gewissen Zeit der Trennung herausstellen. Mit dieser Erklärung hatte sich das
Mädchen zufriedengegeben. Großheim, der bei einem Besuche auf der Villa eine
Rücksprache mit dem Onkel hatte, erhielt keine weitere Auskunft, als daß dieser
sich über den Schritt Oswalds in hohem Grade erbittert zeigte.

Auf diese von dem Freunde überbrachte Nachricht richtete Oswald einen Brief
an Max Genöve. Er bat um Verzeihung für das an Margarethe gerichtete
Schreiben und glaubte eine Rechtfertigung für dasselbe in der Erwägung zu
begründen, daß er sich zuerst der Neigung der Tochter habe versichern wollen,
ehe er um die Einwilligung der Eltern nachsuchte. In treuen und warmen
Worten schilderte er seine Liebe zu Margarethe und die Ermutigungen, die ihm
Kor ihrer Seite und auch von der Seite der Eltern zuteil geworden wären.
Er entwickelte seine Aussichten für die Zukunft, daß ihm namentlich der Erb-
gwßherzog von Hessen in inniger Freundschaft zugethan sei und eine Berufung
"" die Akademie in Darmstadt in nicht allzuferne Aussicht gestellt habe. Oswald
^klärte, bis zu jener Berufung erforderlichenfalls mit der Heirat warten zu
wollen und bat zum Schluß um die Zustimmung der Eltern.

Auf den Brief kam keine Antwort, wohl aber stellte sich Dr. Spath ein,
der es am geratensten hielt, nnter der Maske der Freundschaft den Anfang
seiner Erkundigungen bei Oswald selbst zu machen. Er zeigte sich gänzlich
eingeweiht, bestärkte den Künstler in seinen Hoffnungen und brachte das Ge¬
spräch auf Oswalds Jugendzeit und Eltern. Letzterer, der den Einfluß Späths


Francesca von^Rimini.

Auf Margarethe hatte dieser plötzliche Wechsel verstimmend gewirkt. Als natür¬
liche Folge des Festjubels war das Gefühl schmerzlicher Vereinsamung über
sie gekommen; sie vermißte Oswald; es beschwerte sie, ihn in seinen Hoffnungen
herabgedrückt zu haben, und sie entschloß sich, um ihrem Herzen Luft zu machen,
den Brief Oswalds ihren Eltern zu zeigen. Er erregte bei diesen einen Sturm
der Entrüstung; Frau Genöve fand es unritterlich, die Tochter in seine Garne
zu ziehen, ohne sich vorerst der Zustimmung der Eltern versichert zu haben.
Sie fand es illoyal, daß Oswald versucht habe, das junge Mädchen durch einen
Liebesbrief, dessen Zustecken auch von andern hätte gesehen werden können, zu
kompromittiren, und stellte seine Handlungsweise als ein Manöver dar, welches
nur darauf abziele, sich durch eine reiche Heirat eine bequeme Existenz zu
schaffe». Margarethe erklärte jedoch, daß sie Oswald liebe und in diesem Ent¬
schlüsse nicht wankend gemacht werden könne. Mit diesen Verhandlungen ver¬
gingen mehrere Tage. Frau Gcnöve hatte inzwischen ihren Freund Spath
beauftragt, Erkundigungen über Oswalds Familie einzuziehen und diese nament¬
lich auf die ungünstige Seite zu richten. Eben deshalb hatte sie den zunächst
liegenden Weg, der auf ihren Neffen wies, vermieden. Max Genöve hatte
seiner drängenden Tochter endlich das Versprechen abgeben müssen, ihrer Neigung
keinen Widerstand entgegenzusetzen, wenn er dieselbe als eine ernste und wohl¬
überlegte erkannt haben würde; die Ernstlichkeit sollte aber sich erst nach einer
gewissen Zeit der Trennung herausstellen. Mit dieser Erklärung hatte sich das
Mädchen zufriedengegeben. Großheim, der bei einem Besuche auf der Villa eine
Rücksprache mit dem Onkel hatte, erhielt keine weitere Auskunft, als daß dieser
sich über den Schritt Oswalds in hohem Grade erbittert zeigte.

Auf diese von dem Freunde überbrachte Nachricht richtete Oswald einen Brief
an Max Genöve. Er bat um Verzeihung für das an Margarethe gerichtete
Schreiben und glaubte eine Rechtfertigung für dasselbe in der Erwägung zu
begründen, daß er sich zuerst der Neigung der Tochter habe versichern wollen,
ehe er um die Einwilligung der Eltern nachsuchte. In treuen und warmen
Worten schilderte er seine Liebe zu Margarethe und die Ermutigungen, die ihm
Kor ihrer Seite und auch von der Seite der Eltern zuteil geworden wären.
Er entwickelte seine Aussichten für die Zukunft, daß ihm namentlich der Erb-
gwßherzog von Hessen in inniger Freundschaft zugethan sei und eine Berufung
«» die Akademie in Darmstadt in nicht allzuferne Aussicht gestellt habe. Oswald
^klärte, bis zu jener Berufung erforderlichenfalls mit der Heirat warten zu
wollen und bat zum Schluß um die Zustimmung der Eltern.

Auf den Brief kam keine Antwort, wohl aber stellte sich Dr. Spath ein,
der es am geratensten hielt, nnter der Maske der Freundschaft den Anfang
seiner Erkundigungen bei Oswald selbst zu machen. Er zeigte sich gänzlich
eingeweiht, bestärkte den Künstler in seinen Hoffnungen und brachte das Ge¬
spräch auf Oswalds Jugendzeit und Eltern. Letzterer, der den Einfluß Späths


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[0217] Francesca von^Rimini. Auf Margarethe hatte dieser plötzliche Wechsel verstimmend gewirkt. Als natür¬ liche Folge des Festjubels war das Gefühl schmerzlicher Vereinsamung über sie gekommen; sie vermißte Oswald; es beschwerte sie, ihn in seinen Hoffnungen herabgedrückt zu haben, und sie entschloß sich, um ihrem Herzen Luft zu machen, den Brief Oswalds ihren Eltern zu zeigen. Er erregte bei diesen einen Sturm der Entrüstung; Frau Genöve fand es unritterlich, die Tochter in seine Garne zu ziehen, ohne sich vorerst der Zustimmung der Eltern versichert zu haben. Sie fand es illoyal, daß Oswald versucht habe, das junge Mädchen durch einen Liebesbrief, dessen Zustecken auch von andern hätte gesehen werden können, zu kompromittiren, und stellte seine Handlungsweise als ein Manöver dar, welches nur darauf abziele, sich durch eine reiche Heirat eine bequeme Existenz zu schaffe». Margarethe erklärte jedoch, daß sie Oswald liebe und in diesem Ent¬ schlüsse nicht wankend gemacht werden könne. Mit diesen Verhandlungen ver¬ gingen mehrere Tage. Frau Gcnöve hatte inzwischen ihren Freund Spath beauftragt, Erkundigungen über Oswalds Familie einzuziehen und diese nament¬ lich auf die ungünstige Seite zu richten. Eben deshalb hatte sie den zunächst liegenden Weg, der auf ihren Neffen wies, vermieden. Max Genöve hatte seiner drängenden Tochter endlich das Versprechen abgeben müssen, ihrer Neigung keinen Widerstand entgegenzusetzen, wenn er dieselbe als eine ernste und wohl¬ überlegte erkannt haben würde; die Ernstlichkeit sollte aber sich erst nach einer gewissen Zeit der Trennung herausstellen. Mit dieser Erklärung hatte sich das Mädchen zufriedengegeben. Großheim, der bei einem Besuche auf der Villa eine Rücksprache mit dem Onkel hatte, erhielt keine weitere Auskunft, als daß dieser sich über den Schritt Oswalds in hohem Grade erbittert zeigte. Auf diese von dem Freunde überbrachte Nachricht richtete Oswald einen Brief an Max Genöve. Er bat um Verzeihung für das an Margarethe gerichtete Schreiben und glaubte eine Rechtfertigung für dasselbe in der Erwägung zu begründen, daß er sich zuerst der Neigung der Tochter habe versichern wollen, ehe er um die Einwilligung der Eltern nachsuchte. In treuen und warmen Worten schilderte er seine Liebe zu Margarethe und die Ermutigungen, die ihm Kor ihrer Seite und auch von der Seite der Eltern zuteil geworden wären. Er entwickelte seine Aussichten für die Zukunft, daß ihm namentlich der Erb- gwßherzog von Hessen in inniger Freundschaft zugethan sei und eine Berufung «» die Akademie in Darmstadt in nicht allzuferne Aussicht gestellt habe. Oswald ^klärte, bis zu jener Berufung erforderlichenfalls mit der Heirat warten zu wollen und bat zum Schluß um die Zustimmung der Eltern. Auf den Brief kam keine Antwort, wohl aber stellte sich Dr. Spath ein, der es am geratensten hielt, nnter der Maske der Freundschaft den Anfang seiner Erkundigungen bei Oswald selbst zu machen. Er zeigte sich gänzlich eingeweiht, bestärkte den Künstler in seinen Hoffnungen und brachte das Ge¬ spräch auf Oswalds Jugendzeit und Eltern. Letzterer, der den Einfluß Späths

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/217>, abgerufen am 01.09.2024.