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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Levin Schücking.

des immer wachsenden Verbrechertums abzuschwächen, selbst auf die Gefahr hin,
mit einem System zu brechen, welches zwar der jetzigen Zeitströmung angepaßt
ist, aber bisher keine greifbaren Erfolge gezeitigt hat.


Rittner.


Levin Schücking.

le "Lebenserinnerungen," welche Levin Schücking seit längerer Zeit
in den Westermannschen Monatsheften veröffentlichte, sind in der
That der Abschluß einer langen und überaus vielseitigen litera¬
rischen Thätigkeit geworden. Der vielgenannte Romanschriftsteller,
der nach gewissen Seiten hin eine der eigentümlichsten Erschei¬
nungen der modernen Literatur war, hat sein Dasein am 31. August d. I.
in Bad Pyrmont beschlossen.

Die äußern Lebensschicksale des westfälisch-rheinischen Schriftstellers ver¬
dienen ein tiefergehendes Interesse, nicht nur weil sie reich, mannichfaltig und
im guten Sinne wechselnd gewesen sind, sondern weil sie auch den Schlüssel zu
der literarischen Besonderheit Schückings und der Wirkung seiner zahlreichen
Arbeiten geben. Levin Schücking ist ein namhafter, aber niemals ein erfolg¬
reicher Schriftsteller gewesen in dem Sinne, in welchem man das Wort "Erfolg"
in der Gegenwart versteht. Er hat eine merkwürdige Zwischenstellung in unsrer
Literatur eingenommen. Durch Geburt, Erziehung, mannichfache Traditionen
und Verbindungen, wohl auch durch Regungen eignen Gefühls gehörte er zur
katholischen Gruppe innerhalb der neuern deutschen Literatur, welche in ihrer
Eigenart und Bedeutung noch nicht hinreichend gewürdigt ist, obschon sich ihre
Wirkungen auf den verschiedensten Gebieten empfindlich geltend machen. Durch
gewisse Momente seiner Bildung, durch die Tendenzen, welchen er sich in den
dreißiger und vierziger Jahren angeschlossen hatte, durch die Einsicht, daß der
wesentlichste Teil der deutschen Kultur und Geistesentwicklung aus protestan¬
tischen Geiste stamme, schied er sich von jenen ultramontanen Dichtern und
Journalisten, welche in seiner Heimat erwuchsen. Aber auch hiervon abgesehen,
stimmte Levin Schückings Erscheinung nicht mit den hergebrachten Gruppirungen
überein. Die deutsche Literatur hat zwar immer Talente seiner Art gehabt,
aber diese sind nie durch allzudeutliche Anerkennung verwöhnt worden. Im
Sinne unsrer Gelehrten war Schücking trotz einer vielseitigen und auf gewissen
Punkten sehr gründlichen wissenschaftlichen, namentlich historischen Bildung immer


Levin Schücking.

des immer wachsenden Verbrechertums abzuschwächen, selbst auf die Gefahr hin,
mit einem System zu brechen, welches zwar der jetzigen Zeitströmung angepaßt
ist, aber bisher keine greifbaren Erfolge gezeitigt hat.


Rittner.


Levin Schücking.

le „Lebenserinnerungen," welche Levin Schücking seit längerer Zeit
in den Westermannschen Monatsheften veröffentlichte, sind in der
That der Abschluß einer langen und überaus vielseitigen litera¬
rischen Thätigkeit geworden. Der vielgenannte Romanschriftsteller,
der nach gewissen Seiten hin eine der eigentümlichsten Erschei¬
nungen der modernen Literatur war, hat sein Dasein am 31. August d. I.
in Bad Pyrmont beschlossen.

Die äußern Lebensschicksale des westfälisch-rheinischen Schriftstellers ver¬
dienen ein tiefergehendes Interesse, nicht nur weil sie reich, mannichfaltig und
im guten Sinne wechselnd gewesen sind, sondern weil sie auch den Schlüssel zu
der literarischen Besonderheit Schückings und der Wirkung seiner zahlreichen
Arbeiten geben. Levin Schücking ist ein namhafter, aber niemals ein erfolg¬
reicher Schriftsteller gewesen in dem Sinne, in welchem man das Wort „Erfolg"
in der Gegenwart versteht. Er hat eine merkwürdige Zwischenstellung in unsrer
Literatur eingenommen. Durch Geburt, Erziehung, mannichfache Traditionen
und Verbindungen, wohl auch durch Regungen eignen Gefühls gehörte er zur
katholischen Gruppe innerhalb der neuern deutschen Literatur, welche in ihrer
Eigenart und Bedeutung noch nicht hinreichend gewürdigt ist, obschon sich ihre
Wirkungen auf den verschiedensten Gebieten empfindlich geltend machen. Durch
gewisse Momente seiner Bildung, durch die Tendenzen, welchen er sich in den
dreißiger und vierziger Jahren angeschlossen hatte, durch die Einsicht, daß der
wesentlichste Teil der deutschen Kultur und Geistesentwicklung aus protestan¬
tischen Geiste stamme, schied er sich von jenen ultramontanen Dichtern und
Journalisten, welche in seiner Heimat erwuchsen. Aber auch hiervon abgesehen,
stimmte Levin Schückings Erscheinung nicht mit den hergebrachten Gruppirungen
überein. Die deutsche Literatur hat zwar immer Talente seiner Art gehabt,
aber diese sind nie durch allzudeutliche Anerkennung verwöhnt worden. Im
Sinne unsrer Gelehrten war Schücking trotz einer vielseitigen und auf gewissen
Punkten sehr gründlichen wissenschaftlichen, namentlich historischen Bildung immer


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[0194] Levin Schücking. des immer wachsenden Verbrechertums abzuschwächen, selbst auf die Gefahr hin, mit einem System zu brechen, welches zwar der jetzigen Zeitströmung angepaßt ist, aber bisher keine greifbaren Erfolge gezeitigt hat. Rittner. Levin Schücking. le „Lebenserinnerungen," welche Levin Schücking seit längerer Zeit in den Westermannschen Monatsheften veröffentlichte, sind in der That der Abschluß einer langen und überaus vielseitigen litera¬ rischen Thätigkeit geworden. Der vielgenannte Romanschriftsteller, der nach gewissen Seiten hin eine der eigentümlichsten Erschei¬ nungen der modernen Literatur war, hat sein Dasein am 31. August d. I. in Bad Pyrmont beschlossen. Die äußern Lebensschicksale des westfälisch-rheinischen Schriftstellers ver¬ dienen ein tiefergehendes Interesse, nicht nur weil sie reich, mannichfaltig und im guten Sinne wechselnd gewesen sind, sondern weil sie auch den Schlüssel zu der literarischen Besonderheit Schückings und der Wirkung seiner zahlreichen Arbeiten geben. Levin Schücking ist ein namhafter, aber niemals ein erfolg¬ reicher Schriftsteller gewesen in dem Sinne, in welchem man das Wort „Erfolg" in der Gegenwart versteht. Er hat eine merkwürdige Zwischenstellung in unsrer Literatur eingenommen. Durch Geburt, Erziehung, mannichfache Traditionen und Verbindungen, wohl auch durch Regungen eignen Gefühls gehörte er zur katholischen Gruppe innerhalb der neuern deutschen Literatur, welche in ihrer Eigenart und Bedeutung noch nicht hinreichend gewürdigt ist, obschon sich ihre Wirkungen auf den verschiedensten Gebieten empfindlich geltend machen. Durch gewisse Momente seiner Bildung, durch die Tendenzen, welchen er sich in den dreißiger und vierziger Jahren angeschlossen hatte, durch die Einsicht, daß der wesentlichste Teil der deutschen Kultur und Geistesentwicklung aus protestan¬ tischen Geiste stamme, schied er sich von jenen ultramontanen Dichtern und Journalisten, welche in seiner Heimat erwuchsen. Aber auch hiervon abgesehen, stimmte Levin Schückings Erscheinung nicht mit den hergebrachten Gruppirungen überein. Die deutsche Literatur hat zwar immer Talente seiner Art gehabt, aber diese sind nie durch allzudeutliche Anerkennung verwöhnt worden. Im Sinne unsrer Gelehrten war Schücking trotz einer vielseitigen und auf gewissen Punkten sehr gründlichen wissenschaftlichen, namentlich historischen Bildung immer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/194>, abgerufen am 13.11.2024.