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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Zur Vereinfachung des gegenwärtigen Strafvollzuges.

Volksbewußtsein nicht noch rechtzeitig ermannt und gegen die Verwälschung kräftig
recigirt. Wir müssen uns also vorläufig schon mit der Thatsache abfinden,
daß das Verbrechertum in schnellen Wachstum begriffen ist und für die nächsten
Jahrhunderte schwerlich einen andern Charakter annehmen wird.

Wenn wir nun unter diesen Umständen jeden direkten Kampf gegen das
Verbrechertum für nutzlos halten, so tritt an die Gesellschaft umso dringlicher
die Frage heran, auf welche Weise dieser soziale Schaden zu beherrschen ist
und möglichst abgeschwächt werden kann, namentlich in finanzieller Richtung.
Es fragt sich, wie ist den wirtschaftlichen Nachteilen dieser Erscheinung am er¬
folgreichsten vorzubeugen, wie sind die Verbrecher neben sicherer Aufbewah¬
rung am besten zu verwenden? Ist die Methode des gegenwärtigen Straf¬
vollzuges genügend, nach dieser Richtung hin befriedigende Resultate zu er¬
zielen?

Wir erblicken in der Vereinfachung des Strafvollzuges das ge¬
eignetste Mittel, die Einwirkungen des Verbrechertums aufzuheben.

Die jetzigen gesetzlichen Bestimmungen erheischen eine vollständig bis in die
kleinsten Details durchgeführte räumliche Trennung der Gefangenen aller Gat¬
tungen. Soweit sich diese Forderung auf die Untersuchungsgefangenen bezieht,
so ist sie nur zu billigen, denn der Untersuchungsgefangene wird nur zur Er¬
leichterung des Jnstruktionsverfahrens und zur Verhütung von Berührung mit
der Außenwelt in Gefangenschaft gehalten; er muß so lange als Unschuldiger
betrachtet und somit vom Verurteilten getrennt gehalten werden, bis das Gegenteil
erwiesen ist. Wir vermögen aber nicht einzusehen, weshalb man rückfällige Verbrecher
so sorgfältig von einander trennt. In Wirklichkeit sind die meisten Rückfälligen
alte Bekannte, die sich in verschiedenen Anstalten, sei es Zuchthaus oder Ge¬
fängnis, längst "kennen und achten" gelernt haben, daher wohl wenig zu ihrer
gegenseitigen Verschlechterung beitragen werden. Der Buchstabe des Gesetzes,
zufällig als mildernd angesehene Umstände bestimmen über Verurteilung zu
Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe; die Ehrlosigkeit der Verurteilten ist stets
dieselbe. Und gerade nach der Gesinnung sollten die Strafen verhängt werden.
So gut der Richter nach seinem Ermessen bei gewissen Angeklagten auf Zuchthaus
oder Gefängnis erkennen und zu diesem Zweck mildernde Umstände zur Gel¬
tung bringen kann, mit demselben Rechte könnte man es ihm überlassen, darüber
zu entscheiden, ob ein Vergehen aus ehrloser Gesinnung hervorgegangen ist
oder nicht.

Hiernach brauchte es nur eine einzige Art von Bestrafung zu geben: nämlich
Entziehung der Freiheit, die sich durch nichts als durch die Dauer und die
bürgerlichen Folgen unterscheidet. Diese allgemeine Freiheitsentziehung müßte
für solche Leute, die bei ihrem Vergehen keine ehrlose Gesinnung bewiesen haben,
in oustoäiA IwuöstÄ erfolgen, bei den übrigen Verurteilten in oustoäis. in-
uonsstg. mit Arbeitszwang und sonstigen erschwerend wirkenden Strafübeln. Schon


Zur Vereinfachung des gegenwärtigen Strafvollzuges.

Volksbewußtsein nicht noch rechtzeitig ermannt und gegen die Verwälschung kräftig
recigirt. Wir müssen uns also vorläufig schon mit der Thatsache abfinden,
daß das Verbrechertum in schnellen Wachstum begriffen ist und für die nächsten
Jahrhunderte schwerlich einen andern Charakter annehmen wird.

Wenn wir nun unter diesen Umständen jeden direkten Kampf gegen das
Verbrechertum für nutzlos halten, so tritt an die Gesellschaft umso dringlicher
die Frage heran, auf welche Weise dieser soziale Schaden zu beherrschen ist
und möglichst abgeschwächt werden kann, namentlich in finanzieller Richtung.
Es fragt sich, wie ist den wirtschaftlichen Nachteilen dieser Erscheinung am er¬
folgreichsten vorzubeugen, wie sind die Verbrecher neben sicherer Aufbewah¬
rung am besten zu verwenden? Ist die Methode des gegenwärtigen Straf¬
vollzuges genügend, nach dieser Richtung hin befriedigende Resultate zu er¬
zielen?

Wir erblicken in der Vereinfachung des Strafvollzuges das ge¬
eignetste Mittel, die Einwirkungen des Verbrechertums aufzuheben.

Die jetzigen gesetzlichen Bestimmungen erheischen eine vollständig bis in die
kleinsten Details durchgeführte räumliche Trennung der Gefangenen aller Gat¬
tungen. Soweit sich diese Forderung auf die Untersuchungsgefangenen bezieht,
so ist sie nur zu billigen, denn der Untersuchungsgefangene wird nur zur Er¬
leichterung des Jnstruktionsverfahrens und zur Verhütung von Berührung mit
der Außenwelt in Gefangenschaft gehalten; er muß so lange als Unschuldiger
betrachtet und somit vom Verurteilten getrennt gehalten werden, bis das Gegenteil
erwiesen ist. Wir vermögen aber nicht einzusehen, weshalb man rückfällige Verbrecher
so sorgfältig von einander trennt. In Wirklichkeit sind die meisten Rückfälligen
alte Bekannte, die sich in verschiedenen Anstalten, sei es Zuchthaus oder Ge¬
fängnis, längst „kennen und achten" gelernt haben, daher wohl wenig zu ihrer
gegenseitigen Verschlechterung beitragen werden. Der Buchstabe des Gesetzes,
zufällig als mildernd angesehene Umstände bestimmen über Verurteilung zu
Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe; die Ehrlosigkeit der Verurteilten ist stets
dieselbe. Und gerade nach der Gesinnung sollten die Strafen verhängt werden.
So gut der Richter nach seinem Ermessen bei gewissen Angeklagten auf Zuchthaus
oder Gefängnis erkennen und zu diesem Zweck mildernde Umstände zur Gel¬
tung bringen kann, mit demselben Rechte könnte man es ihm überlassen, darüber
zu entscheiden, ob ein Vergehen aus ehrloser Gesinnung hervorgegangen ist
oder nicht.

Hiernach brauchte es nur eine einzige Art von Bestrafung zu geben: nämlich
Entziehung der Freiheit, die sich durch nichts als durch die Dauer und die
bürgerlichen Folgen unterscheidet. Diese allgemeine Freiheitsentziehung müßte
für solche Leute, die bei ihrem Vergehen keine ehrlose Gesinnung bewiesen haben,
in oustoäiA IwuöstÄ erfolgen, bei den übrigen Verurteilten in oustoäis. in-
uonsstg. mit Arbeitszwang und sonstigen erschwerend wirkenden Strafübeln. Schon


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[0190] Zur Vereinfachung des gegenwärtigen Strafvollzuges. Volksbewußtsein nicht noch rechtzeitig ermannt und gegen die Verwälschung kräftig recigirt. Wir müssen uns also vorläufig schon mit der Thatsache abfinden, daß das Verbrechertum in schnellen Wachstum begriffen ist und für die nächsten Jahrhunderte schwerlich einen andern Charakter annehmen wird. Wenn wir nun unter diesen Umständen jeden direkten Kampf gegen das Verbrechertum für nutzlos halten, so tritt an die Gesellschaft umso dringlicher die Frage heran, auf welche Weise dieser soziale Schaden zu beherrschen ist und möglichst abgeschwächt werden kann, namentlich in finanzieller Richtung. Es fragt sich, wie ist den wirtschaftlichen Nachteilen dieser Erscheinung am er¬ folgreichsten vorzubeugen, wie sind die Verbrecher neben sicherer Aufbewah¬ rung am besten zu verwenden? Ist die Methode des gegenwärtigen Straf¬ vollzuges genügend, nach dieser Richtung hin befriedigende Resultate zu er¬ zielen? Wir erblicken in der Vereinfachung des Strafvollzuges das ge¬ eignetste Mittel, die Einwirkungen des Verbrechertums aufzuheben. Die jetzigen gesetzlichen Bestimmungen erheischen eine vollständig bis in die kleinsten Details durchgeführte räumliche Trennung der Gefangenen aller Gat¬ tungen. Soweit sich diese Forderung auf die Untersuchungsgefangenen bezieht, so ist sie nur zu billigen, denn der Untersuchungsgefangene wird nur zur Er¬ leichterung des Jnstruktionsverfahrens und zur Verhütung von Berührung mit der Außenwelt in Gefangenschaft gehalten; er muß so lange als Unschuldiger betrachtet und somit vom Verurteilten getrennt gehalten werden, bis das Gegenteil erwiesen ist. Wir vermögen aber nicht einzusehen, weshalb man rückfällige Verbrecher so sorgfältig von einander trennt. In Wirklichkeit sind die meisten Rückfälligen alte Bekannte, die sich in verschiedenen Anstalten, sei es Zuchthaus oder Ge¬ fängnis, längst „kennen und achten" gelernt haben, daher wohl wenig zu ihrer gegenseitigen Verschlechterung beitragen werden. Der Buchstabe des Gesetzes, zufällig als mildernd angesehene Umstände bestimmen über Verurteilung zu Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe; die Ehrlosigkeit der Verurteilten ist stets dieselbe. Und gerade nach der Gesinnung sollten die Strafen verhängt werden. So gut der Richter nach seinem Ermessen bei gewissen Angeklagten auf Zuchthaus oder Gefängnis erkennen und zu diesem Zweck mildernde Umstände zur Gel¬ tung bringen kann, mit demselben Rechte könnte man es ihm überlassen, darüber zu entscheiden, ob ein Vergehen aus ehrloser Gesinnung hervorgegangen ist oder nicht. Hiernach brauchte es nur eine einzige Art von Bestrafung zu geben: nämlich Entziehung der Freiheit, die sich durch nichts als durch die Dauer und die bürgerlichen Folgen unterscheidet. Diese allgemeine Freiheitsentziehung müßte für solche Leute, die bei ihrem Vergehen keine ehrlose Gesinnung bewiesen haben, in oustoäiA IwuöstÄ erfolgen, bei den übrigen Verurteilten in oustoäis. in- uonsstg. mit Arbeitszwang und sonstigen erschwerend wirkenden Strafübeln. Schon

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/190>, abgerufen am 01.09.2024.