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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Literatur.

von den besten Sachen können die Verleger ja nur kleine Auflagen drucken und
müssen den Preis des einzelnen Exemplars natürlich darnach bemessen.

Für ein Unternehmen wie die neue Gesamtausgabe von Luthers Schriften
sollte man meinen, müßte sich in jeder größer" deutscheu Stadt in den Kreisen der
wohlhabenden und auf Bildung Anspruch machenden Kreise ein Paar Dutzend Käufer
finden. Ja, Wenns ein Ebersscher Roman wäre, und wenn er zwölf Bände hätte,
oder irgend ein noch nicht dagewesenes Land der Erde "in Wort und Bild" (will
sagen: in Phrase und Klischee) -- sofort würden zwei-, drei-, fünftausend Sub¬
skribenten bei der Hand sein. Das erste Subskribenteuverzcichnis von Luthers
Werken weist in Deutschland -- höre und staune, du deutsches Volk! -- 357, sage
dreihundertsiebennndfünfzig subskribirte Exemplare auf! Und zwar haben von diesen
Exemplaren bestellt

Fürstliche Personen S8,
Oeffentliche Anstalten 159,
Privatpersonen 140,
Summa 357.

Die öffentlichen Anstalten sind natürlich Kirchen- und Schulbibliothckcu, Univer-
sitäts- und Magistratsbibliotheken und ähnliche, die Privatpersonen zum größten
Teile Geistliche, Lehrer, Universitätsprofessoren, unter den Lehrern gewiß einzelne,
die sich das Geld dazu am Munde absparen müssen, auch ein paar Frauen und --
ein Gymnasiast (Ehre dem wackern Jungen! Er wohnt in Frankfurt a. M. und
heißt Karl Sattler) -- aber wo bleibt der reiche Kaufmannsstand Deutschlands?
Wo bleibt der reiche Grundbesitz? Wo bleibt der "christliche Adel deutscher Nation" ?

Es wäre eine Schmach für unser Volk, wenn wir bei einer vierhundert-
jährigen Feier von Luthers Geburtstag faktisch über kostümirtc Umzüge, Pfcnnig-
litcratur und Zinnmedaillcn nicht hinauskämen, und wenn die großartige Festgabe,
die unserm Volke bei dieser Gelegenheit geboten wird, eine erste kritische und
dabei in ihrer äußern Erscheinung wahrhaft monumentale Ausgabe von Luthers
Werken, über ein paar hundert Käufer nicht hinauskäme.




Literatur.
Staat und katholische Kirche in Preußen. Von Dr. L. v. Bar, Geh. Justizrat und
Professor an der Universität Göttingen. Berlin, Julius Springer, 1883.

Der Verfasser dieses Buches hat die löbliche Sitte geübt, am Schlüsse selbst
den Inhalt desselben zusammenzufassen. Er giebt ihn mit folgenden Worten:

"Die preußischen Kirchengesetze der Jahre 1373 u. folg. sind weder durchaus
aufzuheben noch durchaus zu konserviren. Sie haben gewissermaßen einen doppelten
Charakter. An einigen Stellen haben sie den rechtlichen Zusammenhang zwischen
Staat und Kirche zerschnitten, an andern ihn dnrch Anfsichts- und Zwangsrechte
des Staates umso enger geschürzt und zugleich unter einer modernen Form der
Regierung ein reiches Maß diskret!onärer Befugnisse gewährt. In ersterer Be¬
ziehung sind die Gesetze im ganzen richtig und zweckmäßig, in letzterer aber ent¬
halten sie einen vollkommenen Rückfall in ein veraltetes und fast von allen andern
Kulturstaaten mehr und mehr verlassenes Prinzip. Diese letzteren Bestimmungen


Literatur.

von den besten Sachen können die Verleger ja nur kleine Auflagen drucken und
müssen den Preis des einzelnen Exemplars natürlich darnach bemessen.

Für ein Unternehmen wie die neue Gesamtausgabe von Luthers Schriften
sollte man meinen, müßte sich in jeder größer» deutscheu Stadt in den Kreisen der
wohlhabenden und auf Bildung Anspruch machenden Kreise ein Paar Dutzend Käufer
finden. Ja, Wenns ein Ebersscher Roman wäre, und wenn er zwölf Bände hätte,
oder irgend ein noch nicht dagewesenes Land der Erde „in Wort und Bild" (will
sagen: in Phrase und Klischee) — sofort würden zwei-, drei-, fünftausend Sub¬
skribenten bei der Hand sein. Das erste Subskribenteuverzcichnis von Luthers
Werken weist in Deutschland — höre und staune, du deutsches Volk! — 357, sage
dreihundertsiebennndfünfzig subskribirte Exemplare auf! Und zwar haben von diesen
Exemplaren bestellt

Fürstliche Personen S8,
Oeffentliche Anstalten 159,
Privatpersonen 140,
Summa 357.

Die öffentlichen Anstalten sind natürlich Kirchen- und Schulbibliothckcu, Univer-
sitäts- und Magistratsbibliotheken und ähnliche, die Privatpersonen zum größten
Teile Geistliche, Lehrer, Universitätsprofessoren, unter den Lehrern gewiß einzelne,
die sich das Geld dazu am Munde absparen müssen, auch ein paar Frauen und —
ein Gymnasiast (Ehre dem wackern Jungen! Er wohnt in Frankfurt a. M. und
heißt Karl Sattler) — aber wo bleibt der reiche Kaufmannsstand Deutschlands?
Wo bleibt der reiche Grundbesitz? Wo bleibt der „christliche Adel deutscher Nation" ?

Es wäre eine Schmach für unser Volk, wenn wir bei einer vierhundert-
jährigen Feier von Luthers Geburtstag faktisch über kostümirtc Umzüge, Pfcnnig-
litcratur und Zinnmedaillcn nicht hinauskämen, und wenn die großartige Festgabe,
die unserm Volke bei dieser Gelegenheit geboten wird, eine erste kritische und
dabei in ihrer äußern Erscheinung wahrhaft monumentale Ausgabe von Luthers
Werken, über ein paar hundert Käufer nicht hinauskäme.




Literatur.
Staat und katholische Kirche in Preußen. Von Dr. L. v. Bar, Geh. Justizrat und
Professor an der Universität Göttingen. Berlin, Julius Springer, 1883.

Der Verfasser dieses Buches hat die löbliche Sitte geübt, am Schlüsse selbst
den Inhalt desselben zusammenzufassen. Er giebt ihn mit folgenden Worten:

„Die preußischen Kirchengesetze der Jahre 1373 u. folg. sind weder durchaus
aufzuheben noch durchaus zu konserviren. Sie haben gewissermaßen einen doppelten
Charakter. An einigen Stellen haben sie den rechtlichen Zusammenhang zwischen
Staat und Kirche zerschnitten, an andern ihn dnrch Anfsichts- und Zwangsrechte
des Staates umso enger geschürzt und zugleich unter einer modernen Form der
Regierung ein reiches Maß diskret!onärer Befugnisse gewährt. In ersterer Be¬
ziehung sind die Gesetze im ganzen richtig und zweckmäßig, in letzterer aber ent¬
halten sie einen vollkommenen Rückfall in ein veraltetes und fast von allen andern
Kulturstaaten mehr und mehr verlassenes Prinzip. Diese letzteren Bestimmungen


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[0175] Literatur. von den besten Sachen können die Verleger ja nur kleine Auflagen drucken und müssen den Preis des einzelnen Exemplars natürlich darnach bemessen. Für ein Unternehmen wie die neue Gesamtausgabe von Luthers Schriften sollte man meinen, müßte sich in jeder größer» deutscheu Stadt in den Kreisen der wohlhabenden und auf Bildung Anspruch machenden Kreise ein Paar Dutzend Käufer finden. Ja, Wenns ein Ebersscher Roman wäre, und wenn er zwölf Bände hätte, oder irgend ein noch nicht dagewesenes Land der Erde „in Wort und Bild" (will sagen: in Phrase und Klischee) — sofort würden zwei-, drei-, fünftausend Sub¬ skribenten bei der Hand sein. Das erste Subskribenteuverzcichnis von Luthers Werken weist in Deutschland — höre und staune, du deutsches Volk! — 357, sage dreihundertsiebennndfünfzig subskribirte Exemplare auf! Und zwar haben von diesen Exemplaren bestellt Fürstliche Personen S8, Oeffentliche Anstalten 159, Privatpersonen 140, Summa 357. Die öffentlichen Anstalten sind natürlich Kirchen- und Schulbibliothckcu, Univer- sitäts- und Magistratsbibliotheken und ähnliche, die Privatpersonen zum größten Teile Geistliche, Lehrer, Universitätsprofessoren, unter den Lehrern gewiß einzelne, die sich das Geld dazu am Munde absparen müssen, auch ein paar Frauen und — ein Gymnasiast (Ehre dem wackern Jungen! Er wohnt in Frankfurt a. M. und heißt Karl Sattler) — aber wo bleibt der reiche Kaufmannsstand Deutschlands? Wo bleibt der reiche Grundbesitz? Wo bleibt der „christliche Adel deutscher Nation" ? Es wäre eine Schmach für unser Volk, wenn wir bei einer vierhundert- jährigen Feier von Luthers Geburtstag faktisch über kostümirtc Umzüge, Pfcnnig- litcratur und Zinnmedaillcn nicht hinauskämen, und wenn die großartige Festgabe, die unserm Volke bei dieser Gelegenheit geboten wird, eine erste kritische und dabei in ihrer äußern Erscheinung wahrhaft monumentale Ausgabe von Luthers Werken, über ein paar hundert Käufer nicht hinauskäme. Literatur. Staat und katholische Kirche in Preußen. Von Dr. L. v. Bar, Geh. Justizrat und Professor an der Universität Göttingen. Berlin, Julius Springer, 1883. Der Verfasser dieses Buches hat die löbliche Sitte geübt, am Schlüsse selbst den Inhalt desselben zusammenzufassen. Er giebt ihn mit folgenden Worten: „Die preußischen Kirchengesetze der Jahre 1373 u. folg. sind weder durchaus aufzuheben noch durchaus zu konserviren. Sie haben gewissermaßen einen doppelten Charakter. An einigen Stellen haben sie den rechtlichen Zusammenhang zwischen Staat und Kirche zerschnitten, an andern ihn dnrch Anfsichts- und Zwangsrechte des Staates umso enger geschürzt und zugleich unter einer modernen Form der Regierung ein reiches Maß diskret!onärer Befugnisse gewährt. In ersterer Be¬ ziehung sind die Gesetze im ganzen richtig und zweckmäßig, in letzterer aber ent¬ halten sie einen vollkommenen Rückfall in ein veraltetes und fast von allen andern Kulturstaaten mehr und mehr verlassenes Prinzip. Diese letzteren Bestimmungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/175>, abgerufen am 27.07.2024.