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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Paris und die Franzosen.

beim Besuche des Theaters den idealen Maßstab zu Hause zu lassen oder
aber - selbst zu Hause zu bleiben. Auf den Genuß an dramatischer Dichtung
braucht einer ja deswegen nicht zu verzichten; denn -- nichts für ungut! --
den Faust und den Hamlet führen mir doch keine "Hof-" und keine "Deutschen"
Schauspieler so auf, wie ich mir selbst im einsamen Zimmer!




Paris und die Franzosen.

Z^(Ä5)le müssen Vertrauen zum Volke von Paris haben, sagte Gam-
betta, als er in Versailles mit Erfolg die Rückkehr der Kammern
nach der Hauptstadt befürwortete. Andre Redner versicherten
der Versammlung, daß man keinerlei Unfug zu befürchten habe,
daß man sich in Ruhe und Frieden werde beraten können, und
daß das Volk der großen Stadt, weit entfernt von Gedanken der Störung,
vielmehr darauf bedacht sein werde, die Herren vor Angriffen Übelgesinnter zu
bewahren. Die Ereignisse vom vorletzten Sonntage werfen ein eigentümliches Licht
auf diese Prophezeiungen: sie zeigen, daß in Paris eine Bevölkerungsklasse
herrscht, der es ebenso sehr an politischem Verstand als an der gewöhnlichsten
Höflichkeit fehlt, und der sich gleichwohl die Regierung mit Einschluß des Prä¬
sidenten bis zu einem gewissen Grade fügen zu müssen meint. Man beleidigte
und verhöhnte einen Nachbarfürsten, der als Gast Frankreichs erschien, man
verletzte den Stolz der Spanier, man reizte damit Deutschland, man entfremdete
der Republik alle Monarchen und vollendete so die Jsolirung derselben. Europa
erkannte von neuem, wie schwach die Regierung Grevys gegenüber der Unklug-
heit und Gemeinheit des Pariser Pöbels ist, diese Regierung gestand dies in
der Entschuldigung, die sie an König Alfons richtete, selbst ein, nachdem sie es
in der kühlen Haltung des Präsidenten beim Empfange des fürstlichen Besuches
und in dem Wegbleiben des Kriegsministers von diesem Empfange schon sattsam
bekundet hatte. Allerdings hat man sich entschuldigt, und Herr Thibaudin ist
von seinem Amte zurückgetreten. Die Blamage aber, die Paris Frankreich
wieder einmal zugezogen hat, wird bleiben, der Groll, den es in allen spanischen
Parteien erweckt hat, gleichfalls, die Erkenntnis, daß hier sehr erbitterte Gegner
der Monarchie und des Weltfriedens das Wort haben, ist gestiegen, und nicht
leicht wird ein Nachbarfürst wieder wagen, den Franzosen durch Besuch ihrer
Hauptstadt seine Sympathie zu bezeugen, nachdem der erste, der seit 1871 zu
diesem Zwecke in Paris erschien, eine so schmachvolle Behandlung erfahren hat.

Man hat uns oft gesagt, Paris sei Frankreich. Nach den Auftritten des
vorletzten Sonntags sollten alle Franzosen, die sich selbst achten, sich bemühen,
der Welt den Beweis zu liefern, daß Paris nicht Frankreich ist. Es wird ihnen


Paris und die Franzosen.

beim Besuche des Theaters den idealen Maßstab zu Hause zu lassen oder
aber - selbst zu Hause zu bleiben. Auf den Genuß an dramatischer Dichtung
braucht einer ja deswegen nicht zu verzichten; denn — nichts für ungut! —
den Faust und den Hamlet führen mir doch keine „Hof-" und keine „Deutschen"
Schauspieler so auf, wie ich mir selbst im einsamen Zimmer!




Paris und die Franzosen.

Z^(Ä5)le müssen Vertrauen zum Volke von Paris haben, sagte Gam-
betta, als er in Versailles mit Erfolg die Rückkehr der Kammern
nach der Hauptstadt befürwortete. Andre Redner versicherten
der Versammlung, daß man keinerlei Unfug zu befürchten habe,
daß man sich in Ruhe und Frieden werde beraten können, und
daß das Volk der großen Stadt, weit entfernt von Gedanken der Störung,
vielmehr darauf bedacht sein werde, die Herren vor Angriffen Übelgesinnter zu
bewahren. Die Ereignisse vom vorletzten Sonntage werfen ein eigentümliches Licht
auf diese Prophezeiungen: sie zeigen, daß in Paris eine Bevölkerungsklasse
herrscht, der es ebenso sehr an politischem Verstand als an der gewöhnlichsten
Höflichkeit fehlt, und der sich gleichwohl die Regierung mit Einschluß des Prä¬
sidenten bis zu einem gewissen Grade fügen zu müssen meint. Man beleidigte
und verhöhnte einen Nachbarfürsten, der als Gast Frankreichs erschien, man
verletzte den Stolz der Spanier, man reizte damit Deutschland, man entfremdete
der Republik alle Monarchen und vollendete so die Jsolirung derselben. Europa
erkannte von neuem, wie schwach die Regierung Grevys gegenüber der Unklug-
heit und Gemeinheit des Pariser Pöbels ist, diese Regierung gestand dies in
der Entschuldigung, die sie an König Alfons richtete, selbst ein, nachdem sie es
in der kühlen Haltung des Präsidenten beim Empfange des fürstlichen Besuches
und in dem Wegbleiben des Kriegsministers von diesem Empfange schon sattsam
bekundet hatte. Allerdings hat man sich entschuldigt, und Herr Thibaudin ist
von seinem Amte zurückgetreten. Die Blamage aber, die Paris Frankreich
wieder einmal zugezogen hat, wird bleiben, der Groll, den es in allen spanischen
Parteien erweckt hat, gleichfalls, die Erkenntnis, daß hier sehr erbitterte Gegner
der Monarchie und des Weltfriedens das Wort haben, ist gestiegen, und nicht
leicht wird ein Nachbarfürst wieder wagen, den Franzosen durch Besuch ihrer
Hauptstadt seine Sympathie zu bezeugen, nachdem der erste, der seit 1871 zu
diesem Zwecke in Paris erschien, eine so schmachvolle Behandlung erfahren hat.

Man hat uns oft gesagt, Paris sei Frankreich. Nach den Auftritten des
vorletzten Sonntags sollten alle Franzosen, die sich selbst achten, sich bemühen,
der Welt den Beweis zu liefern, daß Paris nicht Frankreich ist. Es wird ihnen


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[0159] Paris und die Franzosen. beim Besuche des Theaters den idealen Maßstab zu Hause zu lassen oder aber - selbst zu Hause zu bleiben. Auf den Genuß an dramatischer Dichtung braucht einer ja deswegen nicht zu verzichten; denn — nichts für ungut! — den Faust und den Hamlet führen mir doch keine „Hof-" und keine „Deutschen" Schauspieler so auf, wie ich mir selbst im einsamen Zimmer! Paris und die Franzosen. Z^(Ä5)le müssen Vertrauen zum Volke von Paris haben, sagte Gam- betta, als er in Versailles mit Erfolg die Rückkehr der Kammern nach der Hauptstadt befürwortete. Andre Redner versicherten der Versammlung, daß man keinerlei Unfug zu befürchten habe, daß man sich in Ruhe und Frieden werde beraten können, und daß das Volk der großen Stadt, weit entfernt von Gedanken der Störung, vielmehr darauf bedacht sein werde, die Herren vor Angriffen Übelgesinnter zu bewahren. Die Ereignisse vom vorletzten Sonntage werfen ein eigentümliches Licht auf diese Prophezeiungen: sie zeigen, daß in Paris eine Bevölkerungsklasse herrscht, der es ebenso sehr an politischem Verstand als an der gewöhnlichsten Höflichkeit fehlt, und der sich gleichwohl die Regierung mit Einschluß des Prä¬ sidenten bis zu einem gewissen Grade fügen zu müssen meint. Man beleidigte und verhöhnte einen Nachbarfürsten, der als Gast Frankreichs erschien, man verletzte den Stolz der Spanier, man reizte damit Deutschland, man entfremdete der Republik alle Monarchen und vollendete so die Jsolirung derselben. Europa erkannte von neuem, wie schwach die Regierung Grevys gegenüber der Unklug- heit und Gemeinheit des Pariser Pöbels ist, diese Regierung gestand dies in der Entschuldigung, die sie an König Alfons richtete, selbst ein, nachdem sie es in der kühlen Haltung des Präsidenten beim Empfange des fürstlichen Besuches und in dem Wegbleiben des Kriegsministers von diesem Empfange schon sattsam bekundet hatte. Allerdings hat man sich entschuldigt, und Herr Thibaudin ist von seinem Amte zurückgetreten. Die Blamage aber, die Paris Frankreich wieder einmal zugezogen hat, wird bleiben, der Groll, den es in allen spanischen Parteien erweckt hat, gleichfalls, die Erkenntnis, daß hier sehr erbitterte Gegner der Monarchie und des Weltfriedens das Wort haben, ist gestiegen, und nicht leicht wird ein Nachbarfürst wieder wagen, den Franzosen durch Besuch ihrer Hauptstadt seine Sympathie zu bezeugen, nachdem der erste, der seit 1871 zu diesem Zwecke in Paris erschien, eine so schmachvolle Behandlung erfahren hat. Man hat uns oft gesagt, Paris sei Frankreich. Nach den Auftritten des vorletzten Sonntags sollten alle Franzosen, die sich selbst achten, sich bemühen, der Welt den Beweis zu liefern, daß Paris nicht Frankreich ist. Es wird ihnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/159>, abgerufen am 13.11.2024.