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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Der verfall des Theaters,

haben, wie himmelweit wir immer von dem Ideale unsres Berufes entfernt
bleiben."

Damit auch Dresden, wo Eduard Devrient nachher noch viel schlimmere
Erfahrungen sammeln sollte, nicht unvertreten bleibe, stehe hier ferner ein Zorn¬
ausbruch Tiecks ftelbst. "Was könnte geschehen, wenn man allenthalben den
guten Willen hätte, und die Herren Komödianten trotz des ewigen Kunst¬
geschwätzes ihre eigne kleine Person nicht weit höher als Shakespeare und Goethe
schätzten; von Garrick und Schröder kann bei diesen verwöhnten Eitelkeiten schon
gar keine Rede sein. . . > Glauben Sie mir, die allgemein Anerkannten dieser
Profession, die Bewunderten sind heutzutage die unerträglichsten, an welchen
Hopfen und Malz verloren ist. Sagen Sie einem dieses, er sei mehr als Garrick,
Schröder, Talmci, Baron, Fleck:c. -- er dankt mit Kopfnicken und meint, das
verstehe sich von selbst; ersuchen Sie denselben, er möge das Knie weniger krümmen,
oder den Federhut in die linke statt in die rechte Hand nehmen, so ist er Ihr
unversöhnlicher Feind. Die minder großen nehmen noch Lehre an." Wer ge¬
lesen hat, was Prölß vor einigen Jahren aus dem Archiv des Dresdner
Hoftheaters veröffentlichte, kann nicht in Zweifel darüber sein, daß zu diesem
Porträt Emil Devrient gesessen hat. Und Carus meldet 1843 dem nach Berlin
Übergesiedelten die Aufführung irgendeines Stückes von Shakespeare, nach welcher
der Dichter sich gewiß dreimal im Grabe umgedreht habe. "Ich höre indeß,
daß es bei Ihnen nicht besser geht."

Schließlich noch ein Bild einer Wanderbühne. Moriz Heydrich hat als
Schauspieler und Kapellmeister in Bremcrhaven einen "wahrhaft grauenvollen"
Eindruck von dem Leben und Treiben solcher Zigeunerwelt gewonnen. "Ja
wären es noch Shakespcarcsche Zettels, diese Schneider- und Schnsterdirektoren --
aber es sind eben nur Gauner und Gaukler. ... Die Methode des Spielens
war ziemlich holzhackermäßig. Früh sechs Uhr bekam man eine Rolle von zwei
bis zwölf Bogen, die Probe war zehn Uhr, und die Vorstellung davon am
nämlichen Tage. Dennoch spielten sie alle so, als wären sie Ludwig Devrients,
und einige versicherten auch, ihr Genie werde schrecklich verkannt."

Genug, zwei Menschenalter hindurch, in Wien, Berlin, Dresden, Düssel¬
dorf und Bremcrhaven, bei Hofbühnen und "Schmieren" ist alles grundfaul,
Intendanzen, Direktionen, Schauspieler und Publikum -- aber, wohlgemerkt,
immer nur "jetzt, heutzutage," dermaleinst ist es um alles dies besser bestellt
gewesen! Und die Zeiten, aus welchen die klagenden, grollenden, zürnenden,
verzweifelnden Stimmen zu uns herübertönen, sind dieselben, welche man uns
als die goldenen im Vergleiche mit der Gegenwart schildert. Darnach wird
wohl derjenige Recht behalten, welcher meint, daß mich in der Theaterwelt
das Land Utopia zwar immer gesucht werde, aber immer ein Nebelbild bleiben
werde; daß das Theatervölkchen jederzeit aus Menschen mit guten und schönen,
mit schlechten und häßlichen Eigenschaften bestanden habe; daß man wohl thue,


Der verfall des Theaters,

haben, wie himmelweit wir immer von dem Ideale unsres Berufes entfernt
bleiben."

Damit auch Dresden, wo Eduard Devrient nachher noch viel schlimmere
Erfahrungen sammeln sollte, nicht unvertreten bleibe, stehe hier ferner ein Zorn¬
ausbruch Tiecks ftelbst. „Was könnte geschehen, wenn man allenthalben den
guten Willen hätte, und die Herren Komödianten trotz des ewigen Kunst¬
geschwätzes ihre eigne kleine Person nicht weit höher als Shakespeare und Goethe
schätzten; von Garrick und Schröder kann bei diesen verwöhnten Eitelkeiten schon
gar keine Rede sein. . . > Glauben Sie mir, die allgemein Anerkannten dieser
Profession, die Bewunderten sind heutzutage die unerträglichsten, an welchen
Hopfen und Malz verloren ist. Sagen Sie einem dieses, er sei mehr als Garrick,
Schröder, Talmci, Baron, Fleck:c. — er dankt mit Kopfnicken und meint, das
verstehe sich von selbst; ersuchen Sie denselben, er möge das Knie weniger krümmen,
oder den Federhut in die linke statt in die rechte Hand nehmen, so ist er Ihr
unversöhnlicher Feind. Die minder großen nehmen noch Lehre an." Wer ge¬
lesen hat, was Prölß vor einigen Jahren aus dem Archiv des Dresdner
Hoftheaters veröffentlichte, kann nicht in Zweifel darüber sein, daß zu diesem
Porträt Emil Devrient gesessen hat. Und Carus meldet 1843 dem nach Berlin
Übergesiedelten die Aufführung irgendeines Stückes von Shakespeare, nach welcher
der Dichter sich gewiß dreimal im Grabe umgedreht habe. „Ich höre indeß,
daß es bei Ihnen nicht besser geht."

Schließlich noch ein Bild einer Wanderbühne. Moriz Heydrich hat als
Schauspieler und Kapellmeister in Bremcrhaven einen „wahrhaft grauenvollen"
Eindruck von dem Leben und Treiben solcher Zigeunerwelt gewonnen. „Ja
wären es noch Shakespcarcsche Zettels, diese Schneider- und Schnsterdirektoren —
aber es sind eben nur Gauner und Gaukler. ... Die Methode des Spielens
war ziemlich holzhackermäßig. Früh sechs Uhr bekam man eine Rolle von zwei
bis zwölf Bogen, die Probe war zehn Uhr, und die Vorstellung davon am
nämlichen Tage. Dennoch spielten sie alle so, als wären sie Ludwig Devrients,
und einige versicherten auch, ihr Genie werde schrecklich verkannt."

Genug, zwei Menschenalter hindurch, in Wien, Berlin, Dresden, Düssel¬
dorf und Bremcrhaven, bei Hofbühnen und „Schmieren" ist alles grundfaul,
Intendanzen, Direktionen, Schauspieler und Publikum — aber, wohlgemerkt,
immer nur „jetzt, heutzutage," dermaleinst ist es um alles dies besser bestellt
gewesen! Und die Zeiten, aus welchen die klagenden, grollenden, zürnenden,
verzweifelnden Stimmen zu uns herübertönen, sind dieselben, welche man uns
als die goldenen im Vergleiche mit der Gegenwart schildert. Darnach wird
wohl derjenige Recht behalten, welcher meint, daß mich in der Theaterwelt
das Land Utopia zwar immer gesucht werde, aber immer ein Nebelbild bleiben
werde; daß das Theatervölkchen jederzeit aus Menschen mit guten und schönen,
mit schlechten und häßlichen Eigenschaften bestanden habe; daß man wohl thue,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/158>, abgerufen am 28.07.2024.