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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Der verfall des Theaters,

In der guten alten Zeit klagte man ebenso oft und so bitter über den
Verfall des Theaters wie heute. Wer sich davon überzeuge" will, blättere in
den Briefen an Tieck, welche Holtei vor zwanzig Jahren herausgegeben hat.
Tiecks eigne Meinung von der Sache ist bekannt, und vielleicht redete nur
mancher von den Korrespondenten ihm zum Munde. Aber Thatsache ist, daß
ihm fortwährend aus allen Himmelsgegenden die trostlosesten Berichte, die ver¬
ächtlichsten Äußerungen über den Zustand des Theaters zugeschickt wurden. Hier
eine kleine Blütenlese aus der Zeit von 1792--1853.

Wackenroder spricht sich bereits in den neunziger Jahren des vorigen
Jahrhunderts ganz wegwerfend über die damaligen Bühnenznstände in Berlin
aus. 1817 klagt Matthäus von Collin, das Theater in der Leopoldstadt
in Wien (das noch in den dreißiger Jahren hochberühmte Wiener Volkstheater,
für welches Raimund dichtete) sei uicht mehr, was es gewesen, weil es "nach
Bildung strebe"; und ein Jahr später bemerkt er "ach verschiednen Ausbrüche"
des Mißvergnügens, er glaube trotzdem nicht, daß es um das Theater im all¬
gemeine" "so schlimm stehe, als mauche behaupten wollen." Friedrich Förster
besucht 1817 das Hoftheater in Berlin sehr oft, weil er freien Eintritt hat,
ärgert sich aber mehr, als er Freude erlebt. Hormayr schreibt 1826: "Das
Theater macht Ihnen wohl noch hübsch viel Galle? Das ist nun einmal nicht
anders. Die Wiener und Berliner Direktionen wetteifern darin mit einander,
das Problem zu lösen, wie man mit einem Verein der ausgezeichnetsten Kräfte
so wenig als möglich leisten könne." Und damals war der Dramaturg des
Wiener Bnrgtheatcrs kein geringerer als Schreyvogl! Ebenso findet Hormayr
1827, das Theater in München bedürfe "einer kolossalen Reform." Karl
Halling schreibt 1829 aus Berlin: "Unser Theater giebt meistens aus dem
Französischen übersetztes schales Zeug."

Hören wir ferner Jmmerman n. 1831 begleitet er seine Trilogie "Alexis"
mit den bittern Worten: "Die Erfahrungen der letzten fünfzehn Jahre jalso
seit den Befreiungskriegen!^ müssen uns so weit belehrt haben, daß wir uns
selbst im glücklichsten Falle eines sogenannten Erfolges, einer ungetrübten Freude
kaum überlassen dürfen, die doch nur gerechtfertigt wäre, wenn die szenische
Wirkung uns den dramatischen Wert des Dargestellten noch verbürgen könnte. ...
Obgleich ich auch den dritten Teil dramatisch zu bilden wenigstens beabsichtigt
habe, so würden doch die Schauspieler, wie sie nun einmal jetzt sind, schon in
der feierlichen Form und in den künstlicheren Maßen desselben unübersteigliche
Schwierigkeiten finden." Speziell über Berlin läßt er sich 1834 aus: "Der
Sinn für Poesie und ein gewisser freierer Literaturgeist könnte sich der Natur
der Sache nach nur durch ein bedeutendes Theater, welches sich wunderbare,
neue, tiefsinnige Aufgaben stellte, wieder erwecken lassen. Und der ist nun, wie
ich glaube, auf zwei Menschenalter hin methodisch verwüstet worden. Die Ber¬
liner Bühne hat keine Fehler mehr, sie ist negativ geworden, sie stagnirt. Ich


Der verfall des Theaters,

In der guten alten Zeit klagte man ebenso oft und so bitter über den
Verfall des Theaters wie heute. Wer sich davon überzeuge» will, blättere in
den Briefen an Tieck, welche Holtei vor zwanzig Jahren herausgegeben hat.
Tiecks eigne Meinung von der Sache ist bekannt, und vielleicht redete nur
mancher von den Korrespondenten ihm zum Munde. Aber Thatsache ist, daß
ihm fortwährend aus allen Himmelsgegenden die trostlosesten Berichte, die ver¬
ächtlichsten Äußerungen über den Zustand des Theaters zugeschickt wurden. Hier
eine kleine Blütenlese aus der Zeit von 1792—1853.

Wackenroder spricht sich bereits in den neunziger Jahren des vorigen
Jahrhunderts ganz wegwerfend über die damaligen Bühnenznstände in Berlin
aus. 1817 klagt Matthäus von Collin, das Theater in der Leopoldstadt
in Wien (das noch in den dreißiger Jahren hochberühmte Wiener Volkstheater,
für welches Raimund dichtete) sei uicht mehr, was es gewesen, weil es „nach
Bildung strebe"; und ein Jahr später bemerkt er »ach verschiednen Ausbrüche»
des Mißvergnügens, er glaube trotzdem nicht, daß es um das Theater im all¬
gemeine» „so schlimm stehe, als mauche behaupten wollen." Friedrich Förster
besucht 1817 das Hoftheater in Berlin sehr oft, weil er freien Eintritt hat,
ärgert sich aber mehr, als er Freude erlebt. Hormayr schreibt 1826: „Das
Theater macht Ihnen wohl noch hübsch viel Galle? Das ist nun einmal nicht
anders. Die Wiener und Berliner Direktionen wetteifern darin mit einander,
das Problem zu lösen, wie man mit einem Verein der ausgezeichnetsten Kräfte
so wenig als möglich leisten könne." Und damals war der Dramaturg des
Wiener Bnrgtheatcrs kein geringerer als Schreyvogl! Ebenso findet Hormayr
1827, das Theater in München bedürfe „einer kolossalen Reform." Karl
Halling schreibt 1829 aus Berlin: „Unser Theater giebt meistens aus dem
Französischen übersetztes schales Zeug."

Hören wir ferner Jmmerman n. 1831 begleitet er seine Trilogie „Alexis"
mit den bittern Worten: „Die Erfahrungen der letzten fünfzehn Jahre jalso
seit den Befreiungskriegen!^ müssen uns so weit belehrt haben, daß wir uns
selbst im glücklichsten Falle eines sogenannten Erfolges, einer ungetrübten Freude
kaum überlassen dürfen, die doch nur gerechtfertigt wäre, wenn die szenische
Wirkung uns den dramatischen Wert des Dargestellten noch verbürgen könnte. ...
Obgleich ich auch den dritten Teil dramatisch zu bilden wenigstens beabsichtigt
habe, so würden doch die Schauspieler, wie sie nun einmal jetzt sind, schon in
der feierlichen Form und in den künstlicheren Maßen desselben unübersteigliche
Schwierigkeiten finden." Speziell über Berlin läßt er sich 1834 aus: „Der
Sinn für Poesie und ein gewisser freierer Literaturgeist könnte sich der Natur
der Sache nach nur durch ein bedeutendes Theater, welches sich wunderbare,
neue, tiefsinnige Aufgaben stellte, wieder erwecken lassen. Und der ist nun, wie
ich glaube, auf zwei Menschenalter hin methodisch verwüstet worden. Die Ber¬
liner Bühne hat keine Fehler mehr, sie ist negativ geworden, sie stagnirt. Ich


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[0156] Der verfall des Theaters, In der guten alten Zeit klagte man ebenso oft und so bitter über den Verfall des Theaters wie heute. Wer sich davon überzeuge» will, blättere in den Briefen an Tieck, welche Holtei vor zwanzig Jahren herausgegeben hat. Tiecks eigne Meinung von der Sache ist bekannt, und vielleicht redete nur mancher von den Korrespondenten ihm zum Munde. Aber Thatsache ist, daß ihm fortwährend aus allen Himmelsgegenden die trostlosesten Berichte, die ver¬ ächtlichsten Äußerungen über den Zustand des Theaters zugeschickt wurden. Hier eine kleine Blütenlese aus der Zeit von 1792—1853. Wackenroder spricht sich bereits in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ganz wegwerfend über die damaligen Bühnenznstände in Berlin aus. 1817 klagt Matthäus von Collin, das Theater in der Leopoldstadt in Wien (das noch in den dreißiger Jahren hochberühmte Wiener Volkstheater, für welches Raimund dichtete) sei uicht mehr, was es gewesen, weil es „nach Bildung strebe"; und ein Jahr später bemerkt er »ach verschiednen Ausbrüche» des Mißvergnügens, er glaube trotzdem nicht, daß es um das Theater im all¬ gemeine» „so schlimm stehe, als mauche behaupten wollen." Friedrich Förster besucht 1817 das Hoftheater in Berlin sehr oft, weil er freien Eintritt hat, ärgert sich aber mehr, als er Freude erlebt. Hormayr schreibt 1826: „Das Theater macht Ihnen wohl noch hübsch viel Galle? Das ist nun einmal nicht anders. Die Wiener und Berliner Direktionen wetteifern darin mit einander, das Problem zu lösen, wie man mit einem Verein der ausgezeichnetsten Kräfte so wenig als möglich leisten könne." Und damals war der Dramaturg des Wiener Bnrgtheatcrs kein geringerer als Schreyvogl! Ebenso findet Hormayr 1827, das Theater in München bedürfe „einer kolossalen Reform." Karl Halling schreibt 1829 aus Berlin: „Unser Theater giebt meistens aus dem Französischen übersetztes schales Zeug." Hören wir ferner Jmmerman n. 1831 begleitet er seine Trilogie „Alexis" mit den bittern Worten: „Die Erfahrungen der letzten fünfzehn Jahre jalso seit den Befreiungskriegen!^ müssen uns so weit belehrt haben, daß wir uns selbst im glücklichsten Falle eines sogenannten Erfolges, einer ungetrübten Freude kaum überlassen dürfen, die doch nur gerechtfertigt wäre, wenn die szenische Wirkung uns den dramatischen Wert des Dargestellten noch verbürgen könnte. ... Obgleich ich auch den dritten Teil dramatisch zu bilden wenigstens beabsichtigt habe, so würden doch die Schauspieler, wie sie nun einmal jetzt sind, schon in der feierlichen Form und in den künstlicheren Maßen desselben unübersteigliche Schwierigkeiten finden." Speziell über Berlin läßt er sich 1834 aus: „Der Sinn für Poesie und ein gewisser freierer Literaturgeist könnte sich der Natur der Sache nach nur durch ein bedeutendes Theater, welches sich wunderbare, neue, tiefsinnige Aufgaben stellte, wieder erwecken lassen. Und der ist nun, wie ich glaube, auf zwei Menschenalter hin methodisch verwüstet worden. Die Ber¬ liner Bühne hat keine Fehler mehr, sie ist negativ geworden, sie stagnirt. Ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/156>, abgerufen am 28.07.2024.