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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Der verfall des Theaters.

ersten Wiener Theaters in den letzten anderthalb Dezennien festsetzen. Denn
es muß ausgesprochen werden: ein Kenner ersten Ranges und ein ehrlicher,
ganz von seiner Sache erfüllter Mann ist Laube ohne allen Zweifel, aber nichts
weniger als ein klassischer Zeuge, am allerwenigsten ein Geschichtschreiber.
Das sollte man denjenigen, welche seine drei oder vier Bücher und seine zahl¬
losen Zeitungsartikel über das deutsche Theater im allgemeinen und über die von
ihm geleiteten Bühnen im besondern aufmerksam gelesen haben, eigentlich nicht
zu sagen brauchen. Seine Darstellung beruht immer nur auf persönlichen Er¬
innerungen, seine Kritik ist Apologie der eignen, Verurteilung der Thätigkeit
seiner Rivalen. Sein Buch, welches sich "Das Burgtheater" neunt, behandelt die
ganze ereignis- und ruhmreiche Zeit dieses Instituts bis zu seiner Übernahme der
Direktion gewissermaßen nur als Einleitung in der oberflächlichsten, nirgends sich
auf Quellenstudium stützenden Weise, feuilletonistisch im stärksten Sinne des
Wortes; das liegt in seiner Natur, er hat ebenso dereinst eine Literaturgeschichte
geschrieben und verläßt sich nicht minder bei der Erzählung seiner eignen Thaten
und Erfahrungen viel mehr als nützlich ist auf sein Gedächtnis. Das ist übel,
wo es sich um Daten, übler wo es sich um die Abschätzung künstlerischer Lei¬
stungen handelt. Von scharf, ja schroff ausgeprägter Eigenart, ist er niemals
imstande gewesen, fremde Individualitäten unbefangen zu beurteilen; vielleicht
hat er auch nie einen ernstlichen Versuch dazu gemacht. Schon oft ist bemerkt
worden, daß er etwas von einem Parteigänger an sich hat; kühn, unternehmend,
rasch im Handeln, immer selbst voran, mit unerschütterlichen, Glauben an sich
selbst, forderte er von seiner Mannschaft ebenso rastlose Thätigkeit, wie er sie
entwickelte, und unbedingten Gehorsam. Diesem Zuge seines Wesens ist ein
großer Teil seiner Erfolge zuzuschreiben, eben derselbe hat ihm aber mich, vor¬
züglich während der ersten Jahre in Wien, große Schwierigkeiten bereitet, ihn
zu Ungerechtigkeiten als Direktor und als Schriftsteller verleitet. Die Schau¬
spieler, welche er vorfand, zum Teil hochberühmte ältere Künstler, waren solche
soldatische Zucht nicht gewöhnt und hatten keine Neigung, sich ihr zu fügen;
aber er hatte einen härtern Nacken als sie und überwand sie mit Hilfe der
jüngern Leute, welche er mitgebracht oder nach seinem System gedrillt hatte.
Die Thatsache, daß das Publikum, anfangs durchaus auf der Seite der Alten,
sich nach und nach an die Jungen gewöhnte und sie liebgewann, befestigte ihn
in der Überzeugung, daß eigentlich er das Ganze mache, die Schauspieler nur
eine höhere Art von Marionetten in seiner Hand seien.

Das kam drastisch zu Tage, als er seine Entlassung erhalten hatte. Erbittert
über teils wirklich erfahrenes, teils eingebildetes Unrecht, nahm er sofort auf
dem Sessel des Kritikers Platz und behauptete steif und fest, daß dieselben
Schauspieler, die er vor wenigen Wochen noch für die besten der Welt erklärt
haben würde, sich nicht bewegen, uicht sprechen und vollends nicht eine Rolle
auffassen könnten. Er war auch damals "grundehrlich." er glaubte das wirklich,


Der verfall des Theaters.

ersten Wiener Theaters in den letzten anderthalb Dezennien festsetzen. Denn
es muß ausgesprochen werden: ein Kenner ersten Ranges und ein ehrlicher,
ganz von seiner Sache erfüllter Mann ist Laube ohne allen Zweifel, aber nichts
weniger als ein klassischer Zeuge, am allerwenigsten ein Geschichtschreiber.
Das sollte man denjenigen, welche seine drei oder vier Bücher und seine zahl¬
losen Zeitungsartikel über das deutsche Theater im allgemeinen und über die von
ihm geleiteten Bühnen im besondern aufmerksam gelesen haben, eigentlich nicht
zu sagen brauchen. Seine Darstellung beruht immer nur auf persönlichen Er¬
innerungen, seine Kritik ist Apologie der eignen, Verurteilung der Thätigkeit
seiner Rivalen. Sein Buch, welches sich „Das Burgtheater" neunt, behandelt die
ganze ereignis- und ruhmreiche Zeit dieses Instituts bis zu seiner Übernahme der
Direktion gewissermaßen nur als Einleitung in der oberflächlichsten, nirgends sich
auf Quellenstudium stützenden Weise, feuilletonistisch im stärksten Sinne des
Wortes; das liegt in seiner Natur, er hat ebenso dereinst eine Literaturgeschichte
geschrieben und verläßt sich nicht minder bei der Erzählung seiner eignen Thaten
und Erfahrungen viel mehr als nützlich ist auf sein Gedächtnis. Das ist übel,
wo es sich um Daten, übler wo es sich um die Abschätzung künstlerischer Lei¬
stungen handelt. Von scharf, ja schroff ausgeprägter Eigenart, ist er niemals
imstande gewesen, fremde Individualitäten unbefangen zu beurteilen; vielleicht
hat er auch nie einen ernstlichen Versuch dazu gemacht. Schon oft ist bemerkt
worden, daß er etwas von einem Parteigänger an sich hat; kühn, unternehmend,
rasch im Handeln, immer selbst voran, mit unerschütterlichen, Glauben an sich
selbst, forderte er von seiner Mannschaft ebenso rastlose Thätigkeit, wie er sie
entwickelte, und unbedingten Gehorsam. Diesem Zuge seines Wesens ist ein
großer Teil seiner Erfolge zuzuschreiben, eben derselbe hat ihm aber mich, vor¬
züglich während der ersten Jahre in Wien, große Schwierigkeiten bereitet, ihn
zu Ungerechtigkeiten als Direktor und als Schriftsteller verleitet. Die Schau¬
spieler, welche er vorfand, zum Teil hochberühmte ältere Künstler, waren solche
soldatische Zucht nicht gewöhnt und hatten keine Neigung, sich ihr zu fügen;
aber er hatte einen härtern Nacken als sie und überwand sie mit Hilfe der
jüngern Leute, welche er mitgebracht oder nach seinem System gedrillt hatte.
Die Thatsache, daß das Publikum, anfangs durchaus auf der Seite der Alten,
sich nach und nach an die Jungen gewöhnte und sie liebgewann, befestigte ihn
in der Überzeugung, daß eigentlich er das Ganze mache, die Schauspieler nur
eine höhere Art von Marionetten in seiner Hand seien.

Das kam drastisch zu Tage, als er seine Entlassung erhalten hatte. Erbittert
über teils wirklich erfahrenes, teils eingebildetes Unrecht, nahm er sofort auf
dem Sessel des Kritikers Platz und behauptete steif und fest, daß dieselben
Schauspieler, die er vor wenigen Wochen noch für die besten der Welt erklärt
haben würde, sich nicht bewegen, uicht sprechen und vollends nicht eine Rolle
auffassen könnten. Er war auch damals „grundehrlich." er glaubte das wirklich,


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[0153] Der verfall des Theaters. ersten Wiener Theaters in den letzten anderthalb Dezennien festsetzen. Denn es muß ausgesprochen werden: ein Kenner ersten Ranges und ein ehrlicher, ganz von seiner Sache erfüllter Mann ist Laube ohne allen Zweifel, aber nichts weniger als ein klassischer Zeuge, am allerwenigsten ein Geschichtschreiber. Das sollte man denjenigen, welche seine drei oder vier Bücher und seine zahl¬ losen Zeitungsartikel über das deutsche Theater im allgemeinen und über die von ihm geleiteten Bühnen im besondern aufmerksam gelesen haben, eigentlich nicht zu sagen brauchen. Seine Darstellung beruht immer nur auf persönlichen Er¬ innerungen, seine Kritik ist Apologie der eignen, Verurteilung der Thätigkeit seiner Rivalen. Sein Buch, welches sich „Das Burgtheater" neunt, behandelt die ganze ereignis- und ruhmreiche Zeit dieses Instituts bis zu seiner Übernahme der Direktion gewissermaßen nur als Einleitung in der oberflächlichsten, nirgends sich auf Quellenstudium stützenden Weise, feuilletonistisch im stärksten Sinne des Wortes; das liegt in seiner Natur, er hat ebenso dereinst eine Literaturgeschichte geschrieben und verläßt sich nicht minder bei der Erzählung seiner eignen Thaten und Erfahrungen viel mehr als nützlich ist auf sein Gedächtnis. Das ist übel, wo es sich um Daten, übler wo es sich um die Abschätzung künstlerischer Lei¬ stungen handelt. Von scharf, ja schroff ausgeprägter Eigenart, ist er niemals imstande gewesen, fremde Individualitäten unbefangen zu beurteilen; vielleicht hat er auch nie einen ernstlichen Versuch dazu gemacht. Schon oft ist bemerkt worden, daß er etwas von einem Parteigänger an sich hat; kühn, unternehmend, rasch im Handeln, immer selbst voran, mit unerschütterlichen, Glauben an sich selbst, forderte er von seiner Mannschaft ebenso rastlose Thätigkeit, wie er sie entwickelte, und unbedingten Gehorsam. Diesem Zuge seines Wesens ist ein großer Teil seiner Erfolge zuzuschreiben, eben derselbe hat ihm aber mich, vor¬ züglich während der ersten Jahre in Wien, große Schwierigkeiten bereitet, ihn zu Ungerechtigkeiten als Direktor und als Schriftsteller verleitet. Die Schau¬ spieler, welche er vorfand, zum Teil hochberühmte ältere Künstler, waren solche soldatische Zucht nicht gewöhnt und hatten keine Neigung, sich ihr zu fügen; aber er hatte einen härtern Nacken als sie und überwand sie mit Hilfe der jüngern Leute, welche er mitgebracht oder nach seinem System gedrillt hatte. Die Thatsache, daß das Publikum, anfangs durchaus auf der Seite der Alten, sich nach und nach an die Jungen gewöhnte und sie liebgewann, befestigte ihn in der Überzeugung, daß eigentlich er das Ganze mache, die Schauspieler nur eine höhere Art von Marionetten in seiner Hand seien. Das kam drastisch zu Tage, als er seine Entlassung erhalten hatte. Erbittert über teils wirklich erfahrenes, teils eingebildetes Unrecht, nahm er sofort auf dem Sessel des Kritikers Platz und behauptete steif und fest, daß dieselben Schauspieler, die er vor wenigen Wochen noch für die besten der Welt erklärt haben würde, sich nicht bewegen, uicht sprechen und vollends nicht eine Rolle auffassen könnten. Er war auch damals „grundehrlich." er glaubte das wirklich,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/153>, abgerufen am 28.07.2024.