lassen sich außer den von Herrn Veyer gütigst gestatteten noch manche andre antike Verhärten, wie beispielsweise die Asklepiadeen, ganz leidlich nachahmen, wenn auch auf die Gefahr hin, daß einzelne von einem ungelehrten Ohr nicht genan den Intentionen des Versifex entsprechend aufgefaßt werden. Ob und inwieweit sie dem deutschen Sprachgenius gemäß sind und den Anforderungen genügen, die unser Ohr an die rhythmisch gehobene Sprache der Poesie stellt, ist eine Frage, deren Erörterung im Einzelnen und für das Besondre nötig ist, worauf wir uns hier nicht einlassen können.
Was im allgemeinen gegen die Nachahmung spricht, was aber Herr Beyer nicht sagen konnte, ist eben, daß wir Längen und Kürzen nicht haben, daß auch unsre Hebungen und Senkungen in ihrer relativen Bedeutung den antiken ab¬ soluten Längen und Kürzen nicht entsprechen, daß von drei (genau schon von zwei) auseinander folgenden Silben im Deutschen sich sofort eine über die andere durch ihre Tonhöhe erhebt und sich so als, sei es auch tieftonige, Hebung geltend macht, daß daher die Senkung höchstens zweisilbig sein kann, es also unmöglich ist, an die Stelle von drei oder mehr Kürzen im Deutschen etwas Entsprechendes zu setzen, daß aus demselben Grunde auch die Häufung von Längen nicht möglich ist, daß auch der Spondeus nach deutschen Betonungs¬ gesetzen als Trochäus empfunden werden muß u. s. w. Daß mit der Hebung beginnende deutsche Verse sich mit Trochäen oder, wenn die Senkungen zwei¬ silbig sind, Daktylen, und umgekehrt mit der Senkung beginnende sich mit Jamben oder Anapästen zusammenstellen lassen, beruht auf einer äußerlichen und zufällige" Ähnlichkeit und berechtigt weder zu völliger Gleichsetzung der ver¬ gleichbaren Rhythmen, noch viel weniger zu weiter in dieser Richtung gehenden Konsequenzen.
Besonders bei der Beurteilung des daktylischen Hexameters macht sich des Verfassers Unsicherheit wieder geltend. Da Herr Beyer den Spondeus im Deutschen annimmt, auch an Stelle desselben den Trochäus für zulässig erklärt, da er außerdem für das Deutsche ein besondres gemischtes trochäisch-daktylisches Metrum aufstellt, so begreift man nicht, was ihn veranlassen kann, den Hexa¬ meter "im Hinblick auf unsre accentuirende Prosvdik als ein undeutsches Maß zu bezeichnen." Denn es ist doch wieder ganz unlogisch, gegen den deutschen Hexameter geltend zu machen, daß Wörter wie "blondlockig" in demselben nicht unterzubringen seien. Diese sind ja überhaupt in "streng gemessenen" deutschen Versen nicht unterzubringen. Und wie viel Wörter seiner Sprache sind dem römischen Dichter im Hexameter nicht untersagt! Aber Herr Beyer ist auch gar¬ nicht zu völliger Verdammung geneigt, und obwohl er im Vordersatz Zille Recht giebt, der sagt: "Es ist kaum ein undeutscheres Versmaß zu denken, als das des Hexameters," findet er im Nachsatz, daß wir "mehr als halbwegs gelungene" Dichtungen besitzen, "deren Hexameter leidlich mit dem Genius unsrer Sprache im Einklang stehen." Was wollen wir mehr?
Eine deutsch-nationale Verslehre.
lassen sich außer den von Herrn Veyer gütigst gestatteten noch manche andre antike Verhärten, wie beispielsweise die Asklepiadeen, ganz leidlich nachahmen, wenn auch auf die Gefahr hin, daß einzelne von einem ungelehrten Ohr nicht genan den Intentionen des Versifex entsprechend aufgefaßt werden. Ob und inwieweit sie dem deutschen Sprachgenius gemäß sind und den Anforderungen genügen, die unser Ohr an die rhythmisch gehobene Sprache der Poesie stellt, ist eine Frage, deren Erörterung im Einzelnen und für das Besondre nötig ist, worauf wir uns hier nicht einlassen können.
Was im allgemeinen gegen die Nachahmung spricht, was aber Herr Beyer nicht sagen konnte, ist eben, daß wir Längen und Kürzen nicht haben, daß auch unsre Hebungen und Senkungen in ihrer relativen Bedeutung den antiken ab¬ soluten Längen und Kürzen nicht entsprechen, daß von drei (genau schon von zwei) auseinander folgenden Silben im Deutschen sich sofort eine über die andere durch ihre Tonhöhe erhebt und sich so als, sei es auch tieftonige, Hebung geltend macht, daß daher die Senkung höchstens zweisilbig sein kann, es also unmöglich ist, an die Stelle von drei oder mehr Kürzen im Deutschen etwas Entsprechendes zu setzen, daß aus demselben Grunde auch die Häufung von Längen nicht möglich ist, daß auch der Spondeus nach deutschen Betonungs¬ gesetzen als Trochäus empfunden werden muß u. s. w. Daß mit der Hebung beginnende deutsche Verse sich mit Trochäen oder, wenn die Senkungen zwei¬ silbig sind, Daktylen, und umgekehrt mit der Senkung beginnende sich mit Jamben oder Anapästen zusammenstellen lassen, beruht auf einer äußerlichen und zufällige» Ähnlichkeit und berechtigt weder zu völliger Gleichsetzung der ver¬ gleichbaren Rhythmen, noch viel weniger zu weiter in dieser Richtung gehenden Konsequenzen.
Besonders bei der Beurteilung des daktylischen Hexameters macht sich des Verfassers Unsicherheit wieder geltend. Da Herr Beyer den Spondeus im Deutschen annimmt, auch an Stelle desselben den Trochäus für zulässig erklärt, da er außerdem für das Deutsche ein besondres gemischtes trochäisch-daktylisches Metrum aufstellt, so begreift man nicht, was ihn veranlassen kann, den Hexa¬ meter „im Hinblick auf unsre accentuirende Prosvdik als ein undeutsches Maß zu bezeichnen." Denn es ist doch wieder ganz unlogisch, gegen den deutschen Hexameter geltend zu machen, daß Wörter wie „blondlockig" in demselben nicht unterzubringen seien. Diese sind ja überhaupt in „streng gemessenen" deutschen Versen nicht unterzubringen. Und wie viel Wörter seiner Sprache sind dem römischen Dichter im Hexameter nicht untersagt! Aber Herr Beyer ist auch gar¬ nicht zu völliger Verdammung geneigt, und obwohl er im Vordersatz Zille Recht giebt, der sagt: „Es ist kaum ein undeutscheres Versmaß zu denken, als das des Hexameters," findet er im Nachsatz, daß wir „mehr als halbwegs gelungene" Dichtungen besitzen, „deren Hexameter leidlich mit dem Genius unsrer Sprache im Einklang stehen." Was wollen wir mehr?
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[0146]
Eine deutsch-nationale Verslehre.
lassen sich außer den von Herrn Veyer gütigst gestatteten noch manche andre
antike Verhärten, wie beispielsweise die Asklepiadeen, ganz leidlich nachahmen,
wenn auch auf die Gefahr hin, daß einzelne von einem ungelehrten Ohr nicht
genan den Intentionen des Versifex entsprechend aufgefaßt werden. Ob und
inwieweit sie dem deutschen Sprachgenius gemäß sind und den Anforderungen
genügen, die unser Ohr an die rhythmisch gehobene Sprache der Poesie stellt,
ist eine Frage, deren Erörterung im Einzelnen und für das Besondre nötig ist,
worauf wir uns hier nicht einlassen können.
Was im allgemeinen gegen die Nachahmung spricht, was aber Herr Beyer
nicht sagen konnte, ist eben, daß wir Längen und Kürzen nicht haben, daß auch
unsre Hebungen und Senkungen in ihrer relativen Bedeutung den antiken ab¬
soluten Längen und Kürzen nicht entsprechen, daß von drei (genau schon von
zwei) auseinander folgenden Silben im Deutschen sich sofort eine über die andere
durch ihre Tonhöhe erhebt und sich so als, sei es auch tieftonige, Hebung
geltend macht, daß daher die Senkung höchstens zweisilbig sein kann, es also
unmöglich ist, an die Stelle von drei oder mehr Kürzen im Deutschen etwas
Entsprechendes zu setzen, daß aus demselben Grunde auch die Häufung von
Längen nicht möglich ist, daß auch der Spondeus nach deutschen Betonungs¬
gesetzen als Trochäus empfunden werden muß u. s. w. Daß mit der Hebung
beginnende deutsche Verse sich mit Trochäen oder, wenn die Senkungen zwei¬
silbig sind, Daktylen, und umgekehrt mit der Senkung beginnende sich mit
Jamben oder Anapästen zusammenstellen lassen, beruht auf einer äußerlichen
und zufällige» Ähnlichkeit und berechtigt weder zu völliger Gleichsetzung der ver¬
gleichbaren Rhythmen, noch viel weniger zu weiter in dieser Richtung gehenden
Konsequenzen.
Besonders bei der Beurteilung des daktylischen Hexameters macht sich des
Verfassers Unsicherheit wieder geltend. Da Herr Beyer den Spondeus im
Deutschen annimmt, auch an Stelle desselben den Trochäus für zulässig erklärt,
da er außerdem für das Deutsche ein besondres gemischtes trochäisch-daktylisches
Metrum aufstellt, so begreift man nicht, was ihn veranlassen kann, den Hexa¬
meter „im Hinblick auf unsre accentuirende Prosvdik als ein undeutsches Maß
zu bezeichnen." Denn es ist doch wieder ganz unlogisch, gegen den deutschen
Hexameter geltend zu machen, daß Wörter wie „blondlockig" in demselben nicht
unterzubringen seien. Diese sind ja überhaupt in „streng gemessenen" deutschen
Versen nicht unterzubringen. Und wie viel Wörter seiner Sprache sind dem
römischen Dichter im Hexameter nicht untersagt! Aber Herr Beyer ist auch gar¬
nicht zu völliger Verdammung geneigt, und obwohl er im Vordersatz Zille
Recht giebt, der sagt: „Es ist kaum ein undeutscheres Versmaß zu denken, als
das des Hexameters," findet er im Nachsatz, daß wir „mehr als halbwegs
gelungene" Dichtungen besitzen, „deren Hexameter leidlich mit dem Genius
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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/146>, abgerufen am 24.01.2025.
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