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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Line deutsch-nationale Verslehre.

Auch die praktischen Folgerungen, die Herr Beyer aus seinen theoretischen
Ansichten von, Reim zieht, sind von gleich musterhafter Inkonsequenz, Den
Jordanschen alliterirenden Vers in seinem "epochebildenden" (?!) Nibelungenepos
glaubt er "mit Recht als den neuhochdeutschen epischen Vers" bezeichnen zu
dürfe". "Seine Einführung ist eine That." Vorher hatte er aber von Jordan
und Richard Wagner gesagt: "Für eine schärfere Accentuirung verlangen sie die
Wiedereinführung der Alliteration, die doch bei unserm fein ausgebildeten Rhythmus¬
gefühl unmöglich mehr zu einer allgemeinen Geltung gelangen wird, umsoweniger
als die Vermählung unsrer accentuirenden Prosodik mit dem Reim zur volks¬
tümlichen That geworden ist." Welches drückt nun die wahre Ansicht des Ver¬
fassers aus? Wir glauben, daß man sich die künstliche Wiedererweckung dieser
abgestorbenen Kunstform allenfalls bei dem altgermanischen Stoff, den Jordan
behandelt, gefallen lassen kann sauch da uicht! D. Red.), aber für moderne
Vorwürfe dürfte sich die alliterirende Zeile schwerlich eignen und ihre allgemeine
Einführung als epischer Vers nicht zu empfehlen sein. Der richtige Takt unsrer
Dichter hat sie auch vor unpassenden Nachahmungen bisher bewahrt, sodaß
das Wort von der "epochebildenden That" in jeder Hinsicht ein leeres Ge¬
rede ist.

Jordan zuliebe spricht Herr Beyer auch von der "süßlich leichten Manier"
des Endreims, während er an einer andern Stelle ausführt, daß nach Aufnahme
des Christentums "die Verinnerlichung des Volkslebens" an Stelle der heid¬
nischen Alliteration "ein wirksameres, kräftigeres Kunstmittel" erstrebte und so
zum Reim gelangte. Was ist da die Wahrheit? Hier sind auch wieder zur
Abwechslung Reim und Alliteration als Gegensätze einander gegenübergestellt.
Anderweitig aber gehen die Vorstellungen von beiden in der That so verschie¬
denen Versbindemitteln bei dem Verfasser bunt durcheinander -- gewiß nicht
ohne störenden Einfluß des Namens Stabreim.

Nur so erklärt es sich, daß er dem Süden "mit seinem vielen Sonnenlicht"
die rhythmische Poesie flott heißen: quantitireude -- unsre Verskunst ist auch
eine eminent rhythmische) für angemessen erklärt, dem Norden dagegen "mit
seinen dunkeln, kühlen Wäldern, einer düstern Lebensauffassung" ze. und vor¬
nehmlich unsrer deutschen Sprache den Reim besonders zueignet. Nun ist der
Stabreim wohl ein charakteristisches Element der altgermanischen Dichtkunst, und
in ihm mag man allenfalls die dunkeln, kühlen Wälder und die düstere Lebens-
auffassung wiederzufinden vermeinen, aber der Endreim ist niemals ein nationales
Kennzeichen unsrer Poesie gewesen. Führt der Verfasser nicht selbst die südlichen
Sprachen an, die den Endreim vor uns gehabt haben, und haben nicht sonst
auantitirendc Sprachen so gut und noch eher die Wendung zu ihm genommen
als das alliterirende Germanische? -- ganz abgesehen von dem von Herrn Beyer
nicht genügend gewürdigten direkten Einfluß, den die gereimte lateinische Poesie
auf die Ausbildung des deutschen Reims geübt hat. Auch hat der Reim stets


Grenzboten IV. 1883. 17
Line deutsch-nationale Verslehre.

Auch die praktischen Folgerungen, die Herr Beyer aus seinen theoretischen
Ansichten von, Reim zieht, sind von gleich musterhafter Inkonsequenz, Den
Jordanschen alliterirenden Vers in seinem „epochebildenden" (?!) Nibelungenepos
glaubt er „mit Recht als den neuhochdeutschen epischen Vers" bezeichnen zu
dürfe». „Seine Einführung ist eine That." Vorher hatte er aber von Jordan
und Richard Wagner gesagt: „Für eine schärfere Accentuirung verlangen sie die
Wiedereinführung der Alliteration, die doch bei unserm fein ausgebildeten Rhythmus¬
gefühl unmöglich mehr zu einer allgemeinen Geltung gelangen wird, umsoweniger
als die Vermählung unsrer accentuirenden Prosodik mit dem Reim zur volks¬
tümlichen That geworden ist." Welches drückt nun die wahre Ansicht des Ver¬
fassers aus? Wir glauben, daß man sich die künstliche Wiedererweckung dieser
abgestorbenen Kunstform allenfalls bei dem altgermanischen Stoff, den Jordan
behandelt, gefallen lassen kann sauch da uicht! D. Red.), aber für moderne
Vorwürfe dürfte sich die alliterirende Zeile schwerlich eignen und ihre allgemeine
Einführung als epischer Vers nicht zu empfehlen sein. Der richtige Takt unsrer
Dichter hat sie auch vor unpassenden Nachahmungen bisher bewahrt, sodaß
das Wort von der „epochebildenden That" in jeder Hinsicht ein leeres Ge¬
rede ist.

Jordan zuliebe spricht Herr Beyer auch von der „süßlich leichten Manier"
des Endreims, während er an einer andern Stelle ausführt, daß nach Aufnahme
des Christentums „die Verinnerlichung des Volkslebens" an Stelle der heid¬
nischen Alliteration „ein wirksameres, kräftigeres Kunstmittel" erstrebte und so
zum Reim gelangte. Was ist da die Wahrheit? Hier sind auch wieder zur
Abwechslung Reim und Alliteration als Gegensätze einander gegenübergestellt.
Anderweitig aber gehen die Vorstellungen von beiden in der That so verschie¬
denen Versbindemitteln bei dem Verfasser bunt durcheinander — gewiß nicht
ohne störenden Einfluß des Namens Stabreim.

Nur so erklärt es sich, daß er dem Süden „mit seinem vielen Sonnenlicht"
die rhythmische Poesie flott heißen: quantitireude — unsre Verskunst ist auch
eine eminent rhythmische) für angemessen erklärt, dem Norden dagegen „mit
seinen dunkeln, kühlen Wäldern, einer düstern Lebensauffassung" ze. und vor¬
nehmlich unsrer deutschen Sprache den Reim besonders zueignet. Nun ist der
Stabreim wohl ein charakteristisches Element der altgermanischen Dichtkunst, und
in ihm mag man allenfalls die dunkeln, kühlen Wälder und die düstere Lebens-
auffassung wiederzufinden vermeinen, aber der Endreim ist niemals ein nationales
Kennzeichen unsrer Poesie gewesen. Führt der Verfasser nicht selbst die südlichen
Sprachen an, die den Endreim vor uns gehabt haben, und haben nicht sonst
auantitirendc Sprachen so gut und noch eher die Wendung zu ihm genommen
als das alliterirende Germanische? — ganz abgesehen von dem von Herrn Beyer
nicht genügend gewürdigten direkten Einfluß, den die gereimte lateinische Poesie
auf die Ausbildung des deutschen Reims geübt hat. Auch hat der Reim stets


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/139>, abgerufen am 01.09.2024.