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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesco von Riniini.

hatte, daß weniger die holde Kunst, als die Gabe, Männer zu fesseln, ihrer
Herrin zu- und einträglich gewesen war. In diese Gesellschaft kam Bertha,
denn Fräulein Mühlaar hatte ihr System derartig eingerichtet, daß sie zwar
den Damen Einzelunterricht gab, aber sie mehrmals vereinigte, um die Ensemble¬
wirkungen zu sehen. Es wurden Bewegungen und Pas einstudirt, die freilich
weniger für die Räume eines bürgerlichen Hauses als sür die Aufführung der
Jungfrau von Orleans paßten. Alles wurde mit vielem Aplomb und den nö¬
tigen Gesten eingeübt, welche dereinst in der Vorstadtbühne das Zeichen für
Parterre und Galerie waren, daß nunmehr der Beifallssturm losbrechen könne.
Daneben wurden bildende Bücher gelesen und einzelne Passagen auswendig ge¬
lernt. Diese Lektüre war aber eine höchst sonderbar gewählte, sie entstammte
noch der Jugendzeit von Fräulein Mühlaar, als Klauren der Lieblingsschrift¬
steller der Berlinerinnen war.


Denn in jener Stadt des Nordens, die so manches Übels Quell,
Liest man Klaurens Albernheiten und verbietet Schillers Teil.

Erst mit Mühe gelang es Bertha, für welche Schiller der Inbegriff aller
höhern Bildung war, daß auch dessen Meisterwerke gelesen wurden, zum nicht
geringen Verdruß der Mitschttlerinucn, denen die andern Bücher viel "natür¬
licher" schienen. Dies dauerte etwa ein halbes Jahr, bis Bertha auch eine
Ausdehnung des Unterrichts auf Französisch verlangte -- ein Ansinnen, welches
mit Hohn aufgenommen wurde und zum Bruche führte. Bertha verlor jedoch
den Mut nicht; zum zweitenmale wurde ihr die Vossische zur Retterin, und
auf eine Annonce stellte sich ein französischer Lehrer ein, der "gegen ein mäßiges
Honorar" Unterricht erteilte. Dieser Mann war einer ehrenhaften Familie aus
Valengis entsprossen, von guter Erziehung und reichen Kenntnissen. Als junger
Mensch hatte er sich in das weibliche Mitglied einer herumziehenden Truppe
verliebt und von dem Mädchen, aller Bemühungen seiner Angehörigen unge¬
achtet, nicht gelassen, selbst als er merken mußte, daß seine Angebetete mit ihrer
Gunst auch andern gegenüber freigebig war. Er folgte ihr von Stadt zu Stadt,
gab ihr alles hin, was er besaß, sodaß ihm nur noch eine Keine Rente übrig
blieb, die ihm sein Vater im Testament ausgesetzt hatte. Zuletzt endigte das
Paar in Berlin, und obwohl beide schon über sechzig Jahre alt waren, so hatte
sich doch der Charakter des weiblichen Teils noch nicht zum Bessern gewendet.
Alles, was der Mann einnahm, verschlang ihr Leichtsinn, und er verdiente nur
wenig; denn sein ärmliches Äußere, sein verhärmtes Gesicht und seine gebrochene
Haltung, die nur zu sehr den Sturm des Lebens verrieten, waren nicht darauf ange¬
than, ihm die Häuser für den Unterricht der Jugend zu öffnen. Frau Bertha Geneff,
welche sich bei der Billigkeit des Honorars von diesem Äußern nicht abschrecken
ließ, sollte ihren Schritt nicht bereuen. Ihr Lehrer hielt mit seinen Kenntnissen
nicht zurück; er merkte gleich, woran es fehlte, und beschränkte sich daher nicht


Francesco von Riniini.

hatte, daß weniger die holde Kunst, als die Gabe, Männer zu fesseln, ihrer
Herrin zu- und einträglich gewesen war. In diese Gesellschaft kam Bertha,
denn Fräulein Mühlaar hatte ihr System derartig eingerichtet, daß sie zwar
den Damen Einzelunterricht gab, aber sie mehrmals vereinigte, um die Ensemble¬
wirkungen zu sehen. Es wurden Bewegungen und Pas einstudirt, die freilich
weniger für die Räume eines bürgerlichen Hauses als sür die Aufführung der
Jungfrau von Orleans paßten. Alles wurde mit vielem Aplomb und den nö¬
tigen Gesten eingeübt, welche dereinst in der Vorstadtbühne das Zeichen für
Parterre und Galerie waren, daß nunmehr der Beifallssturm losbrechen könne.
Daneben wurden bildende Bücher gelesen und einzelne Passagen auswendig ge¬
lernt. Diese Lektüre war aber eine höchst sonderbar gewählte, sie entstammte
noch der Jugendzeit von Fräulein Mühlaar, als Klauren der Lieblingsschrift¬
steller der Berlinerinnen war.


Denn in jener Stadt des Nordens, die so manches Übels Quell,
Liest man Klaurens Albernheiten und verbietet Schillers Teil.

Erst mit Mühe gelang es Bertha, für welche Schiller der Inbegriff aller
höhern Bildung war, daß auch dessen Meisterwerke gelesen wurden, zum nicht
geringen Verdruß der Mitschttlerinucn, denen die andern Bücher viel „natür¬
licher" schienen. Dies dauerte etwa ein halbes Jahr, bis Bertha auch eine
Ausdehnung des Unterrichts auf Französisch verlangte — ein Ansinnen, welches
mit Hohn aufgenommen wurde und zum Bruche führte. Bertha verlor jedoch
den Mut nicht; zum zweitenmale wurde ihr die Vossische zur Retterin, und
auf eine Annonce stellte sich ein französischer Lehrer ein, der „gegen ein mäßiges
Honorar" Unterricht erteilte. Dieser Mann war einer ehrenhaften Familie aus
Valengis entsprossen, von guter Erziehung und reichen Kenntnissen. Als junger
Mensch hatte er sich in das weibliche Mitglied einer herumziehenden Truppe
verliebt und von dem Mädchen, aller Bemühungen seiner Angehörigen unge¬
achtet, nicht gelassen, selbst als er merken mußte, daß seine Angebetete mit ihrer
Gunst auch andern gegenüber freigebig war. Er folgte ihr von Stadt zu Stadt,
gab ihr alles hin, was er besaß, sodaß ihm nur noch eine Keine Rente übrig
blieb, die ihm sein Vater im Testament ausgesetzt hatte. Zuletzt endigte das
Paar in Berlin, und obwohl beide schon über sechzig Jahre alt waren, so hatte
sich doch der Charakter des weiblichen Teils noch nicht zum Bessern gewendet.
Alles, was der Mann einnahm, verschlang ihr Leichtsinn, und er verdiente nur
wenig; denn sein ärmliches Äußere, sein verhärmtes Gesicht und seine gebrochene
Haltung, die nur zu sehr den Sturm des Lebens verrieten, waren nicht darauf ange¬
than, ihm die Häuser für den Unterricht der Jugend zu öffnen. Frau Bertha Geneff,
welche sich bei der Billigkeit des Honorars von diesem Äußern nicht abschrecken
ließ, sollte ihren Schritt nicht bereuen. Ihr Lehrer hielt mit seinen Kenntnissen
nicht zurück; er merkte gleich, woran es fehlte, und beschränkte sich daher nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/114>, abgerufen am 01.09.2024.