Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Francesca von Rimini.

Glanz und Kredit zu verschaffen. Es war für Vertha schwer, die Wege zu
finden, um sich das Notwendige noch anzueignen, jede Frage und Erkundigung
hätte sie bei ihren neuen Freundinnen, von denen viele in der Hauptstadt selbst
erzogen waren, bloßgestellt. Mehrere Monate schwebte sie in dieser Sorge, bis
sie eines Tages in der Vossischen Zeitung ein Inserat fand, wonach sich eine
ältere Dame in der Krautsstraße erbot, "jungen Damen, welche in ihrer Er¬
ziehung zurückgeblieben sind, die nötige gesellschaftliche Bildung beizubringen."
Ohne jemand etwas zu sagen -- selbst ihr Mann wurde nicht in das Ver¬
trauen gezogen -- begab sich Bertha dorthin, Sie fand eine alte Schauspie¬
lerin, welche auf der Vorstädtischen Bühne bei "Mutter Gräbert" solange die
erste Liebhaberin dargestellt hatte, bis auch dem sonst so nachsichtigen Publikum
des Rosenthaler Thores der Unterschied zwischen den jugendlichen Heldinnen¬
rollen und der Darstellerin, welche bereits ans illegitimem Wege Großmutter
geworden war, allzu fühlbar wurde. Mutter Gräbert merkte allmählich, daß
bei dem Auftreten ihrer ersten Liebhaberin der Konsum der belegten Butter¬
brode in den langen Zwischenakten immer schwächer wurde - was die ge¬
wandte Leiterin des Theaters und Restaurants als ein untrügliches Zeichen des
Mißfallens auffassen mußte. Diese Entdeckung veranlaßte sie, die Heldin und
Liebhaberin von den weltbedeutenden Brettern zu entfernen. Zur Einrichtung
einer Thcaterschule erhielt letztere, abgesehen von ihrer mangelhaften Bildung,
hauptsächlich wegen ihrer etwas bewegten Vergangenheit, nicht die erforderliche
Konzession des Polizeipräsidiums, denn damals herrschte noch in Gesetzgebung
und Verwaltung die Auffassung, daß die Ausübung der Kunst etwas mehr sei
als der Betrieb eines Gewerbes. Dagegen konnte ihr die Erteilung von Unter¬
richt in "höherer Bildung" nicht versagt werden; nnr paßte die Polizei ihr
gehörig auf, damit nicht etwa diese Bildung vorzugsweise in dem Umgang mit
dem stärkern Geschlecht geübt würde. Bis zu dem Zeitpunkte, in welchem Frau
Vertha Gcneff das Kunstinstitnt aufsuchte, hatte sich jedoch Fräulein Mühlaar
Künstlername aus Müller -- nichts zu Schulden kommen lassen.- Freilich
hatte sich bis jetzt nur eine geringe Zahl bildungsbedürftiger Damen eingefunden,
und auch diese waren nicht besonders vertrauenerweckend. Da war eine so¬
genannte Probirmamscll von Gerson, die sich durch ihre mangelhaft orthogra¬
phische Aussprache -- wie der Disponent sagte -- von dem Avancement als
Lndcnverkänfcrin ausgeschlossen sah und nur im Lager bei der Abnahme
der Mäntel, Jaquets und Paletots von den Schneidern als "Anprobe"
diente. Da war eine ehemalige Künstlerin vom Trapez im Cirkus Renz,
welche ein Offizier von den ersten Dragonern ihrer Laufbahn abwendig gemacht
hatte und welche sich bei den kleinen Festen mit den Kameraden ihres Freundes
allerlei Spöttereien über ihre allzu naiven künstlerischen Anschauungen gefallen
lassen mußte. Die dritte war ein Kammermädchen, welches dereinst bei einer
Chansvnettensängerin aus der Walhalla in Diensten stand und dabei bemerkt


Francesca von Rimini.

Glanz und Kredit zu verschaffen. Es war für Vertha schwer, die Wege zu
finden, um sich das Notwendige noch anzueignen, jede Frage und Erkundigung
hätte sie bei ihren neuen Freundinnen, von denen viele in der Hauptstadt selbst
erzogen waren, bloßgestellt. Mehrere Monate schwebte sie in dieser Sorge, bis
sie eines Tages in der Vossischen Zeitung ein Inserat fand, wonach sich eine
ältere Dame in der Krautsstraße erbot, „jungen Damen, welche in ihrer Er¬
ziehung zurückgeblieben sind, die nötige gesellschaftliche Bildung beizubringen."
Ohne jemand etwas zu sagen — selbst ihr Mann wurde nicht in das Ver¬
trauen gezogen — begab sich Bertha dorthin, Sie fand eine alte Schauspie¬
lerin, welche auf der Vorstädtischen Bühne bei „Mutter Gräbert" solange die
erste Liebhaberin dargestellt hatte, bis auch dem sonst so nachsichtigen Publikum
des Rosenthaler Thores der Unterschied zwischen den jugendlichen Heldinnen¬
rollen und der Darstellerin, welche bereits ans illegitimem Wege Großmutter
geworden war, allzu fühlbar wurde. Mutter Gräbert merkte allmählich, daß
bei dem Auftreten ihrer ersten Liebhaberin der Konsum der belegten Butter¬
brode in den langen Zwischenakten immer schwächer wurde - was die ge¬
wandte Leiterin des Theaters und Restaurants als ein untrügliches Zeichen des
Mißfallens auffassen mußte. Diese Entdeckung veranlaßte sie, die Heldin und
Liebhaberin von den weltbedeutenden Brettern zu entfernen. Zur Einrichtung
einer Thcaterschule erhielt letztere, abgesehen von ihrer mangelhaften Bildung,
hauptsächlich wegen ihrer etwas bewegten Vergangenheit, nicht die erforderliche
Konzession des Polizeipräsidiums, denn damals herrschte noch in Gesetzgebung
und Verwaltung die Auffassung, daß die Ausübung der Kunst etwas mehr sei
als der Betrieb eines Gewerbes. Dagegen konnte ihr die Erteilung von Unter¬
richt in „höherer Bildung" nicht versagt werden; nnr paßte die Polizei ihr
gehörig auf, damit nicht etwa diese Bildung vorzugsweise in dem Umgang mit
dem stärkern Geschlecht geübt würde. Bis zu dem Zeitpunkte, in welchem Frau
Vertha Gcneff das Kunstinstitnt aufsuchte, hatte sich jedoch Fräulein Mühlaar
Künstlername aus Müller — nichts zu Schulden kommen lassen.- Freilich
hatte sich bis jetzt nur eine geringe Zahl bildungsbedürftiger Damen eingefunden,
und auch diese waren nicht besonders vertrauenerweckend. Da war eine so¬
genannte Probirmamscll von Gerson, die sich durch ihre mangelhaft orthogra¬
phische Aussprache — wie der Disponent sagte — von dem Avancement als
Lndcnverkänfcrin ausgeschlossen sah und nur im Lager bei der Abnahme
der Mäntel, Jaquets und Paletots von den Schneidern als „Anprobe"
diente. Da war eine ehemalige Künstlerin vom Trapez im Cirkus Renz,
welche ein Offizier von den ersten Dragonern ihrer Laufbahn abwendig gemacht
hatte und welche sich bei den kleinen Festen mit den Kameraden ihres Freundes
allerlei Spöttereien über ihre allzu naiven künstlerischen Anschauungen gefallen
lassen mußte. Die dritte war ein Kammermädchen, welches dereinst bei einer
Chansvnettensängerin aus der Walhalla in Diensten stand und dabei bemerkt


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0113" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154278"/>
          <fw type="header" place="top"> Francesca von Rimini.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_299" prev="#ID_298" next="#ID_300"> Glanz und Kredit zu verschaffen. Es war für Vertha schwer, die Wege zu<lb/>
finden, um sich das Notwendige noch anzueignen, jede Frage und Erkundigung<lb/>
hätte sie bei ihren neuen Freundinnen, von denen viele in der Hauptstadt selbst<lb/>
erzogen waren, bloßgestellt. Mehrere Monate schwebte sie in dieser Sorge, bis<lb/>
sie eines Tages in der Vossischen Zeitung ein Inserat fand, wonach sich eine<lb/>
ältere Dame in der Krautsstraße erbot, &#x201E;jungen Damen, welche in ihrer Er¬<lb/>
ziehung zurückgeblieben sind, die nötige gesellschaftliche Bildung beizubringen."<lb/>
Ohne jemand etwas zu sagen &#x2014; selbst ihr Mann wurde nicht in das Ver¬<lb/>
trauen gezogen &#x2014; begab sich Bertha dorthin, Sie fand eine alte Schauspie¬<lb/>
lerin, welche auf der Vorstädtischen Bühne bei &#x201E;Mutter Gräbert" solange die<lb/>
erste Liebhaberin dargestellt hatte, bis auch dem sonst so nachsichtigen Publikum<lb/>
des Rosenthaler Thores der Unterschied zwischen den jugendlichen Heldinnen¬<lb/>
rollen und der Darstellerin, welche bereits ans illegitimem Wege Großmutter<lb/>
geworden war, allzu fühlbar wurde.  Mutter Gräbert merkte allmählich, daß<lb/>
bei dem Auftreten ihrer ersten Liebhaberin der Konsum der belegten Butter¬<lb/>
brode in den langen Zwischenakten immer schwächer wurde -  was die ge¬<lb/>
wandte Leiterin des Theaters und Restaurants als ein untrügliches Zeichen des<lb/>
Mißfallens auffassen mußte. Diese Entdeckung veranlaßte sie, die Heldin und<lb/>
Liebhaberin von den weltbedeutenden Brettern zu entfernen. Zur Einrichtung<lb/>
einer Thcaterschule erhielt letztere, abgesehen von ihrer mangelhaften Bildung,<lb/>
hauptsächlich wegen ihrer etwas bewegten Vergangenheit, nicht die erforderliche<lb/>
Konzession des Polizeipräsidiums, denn damals herrschte noch in Gesetzgebung<lb/>
und Verwaltung die Auffassung, daß die Ausübung der Kunst etwas mehr sei<lb/>
als der Betrieb eines Gewerbes. Dagegen konnte ihr die Erteilung von Unter¬<lb/>
richt in &#x201E;höherer Bildung" nicht versagt werden; nnr paßte die Polizei ihr<lb/>
gehörig auf, damit nicht etwa diese Bildung vorzugsweise in dem Umgang mit<lb/>
dem stärkern Geschlecht geübt würde. Bis zu dem Zeitpunkte, in welchem Frau<lb/>
Vertha Gcneff das Kunstinstitnt aufsuchte, hatte sich jedoch Fräulein Mühlaar<lb/>
Künstlername aus Müller &#x2014; nichts zu Schulden kommen lassen.- Freilich<lb/>
hatte sich bis jetzt nur eine geringe Zahl bildungsbedürftiger Damen eingefunden,<lb/>
und auch diese waren nicht besonders vertrauenerweckend. Da war eine so¬<lb/>
genannte Probirmamscll von Gerson, die sich durch ihre mangelhaft orthogra¬<lb/>
phische Aussprache &#x2014; wie der Disponent sagte &#x2014; von dem Avancement als<lb/>
Lndcnverkänfcrin ausgeschlossen sah und nur im Lager bei der Abnahme<lb/>
der Mäntel, Jaquets und Paletots von den Schneidern als &#x201E;Anprobe"<lb/>
diente.  Da war eine ehemalige Künstlerin vom Trapez im Cirkus Renz,<lb/>
welche ein Offizier von den ersten Dragonern ihrer Laufbahn abwendig gemacht<lb/>
hatte und welche sich bei den kleinen Festen mit den Kameraden ihres Freundes<lb/>
allerlei Spöttereien über ihre allzu naiven künstlerischen Anschauungen gefallen<lb/>
lassen mußte. Die dritte war ein Kammermädchen, welches dereinst bei einer<lb/>
Chansvnettensängerin aus der Walhalla in Diensten stand und dabei bemerkt</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0113] Francesca von Rimini. Glanz und Kredit zu verschaffen. Es war für Vertha schwer, die Wege zu finden, um sich das Notwendige noch anzueignen, jede Frage und Erkundigung hätte sie bei ihren neuen Freundinnen, von denen viele in der Hauptstadt selbst erzogen waren, bloßgestellt. Mehrere Monate schwebte sie in dieser Sorge, bis sie eines Tages in der Vossischen Zeitung ein Inserat fand, wonach sich eine ältere Dame in der Krautsstraße erbot, „jungen Damen, welche in ihrer Er¬ ziehung zurückgeblieben sind, die nötige gesellschaftliche Bildung beizubringen." Ohne jemand etwas zu sagen — selbst ihr Mann wurde nicht in das Ver¬ trauen gezogen — begab sich Bertha dorthin, Sie fand eine alte Schauspie¬ lerin, welche auf der Vorstädtischen Bühne bei „Mutter Gräbert" solange die erste Liebhaberin dargestellt hatte, bis auch dem sonst so nachsichtigen Publikum des Rosenthaler Thores der Unterschied zwischen den jugendlichen Heldinnen¬ rollen und der Darstellerin, welche bereits ans illegitimem Wege Großmutter geworden war, allzu fühlbar wurde. Mutter Gräbert merkte allmählich, daß bei dem Auftreten ihrer ersten Liebhaberin der Konsum der belegten Butter¬ brode in den langen Zwischenakten immer schwächer wurde - was die ge¬ wandte Leiterin des Theaters und Restaurants als ein untrügliches Zeichen des Mißfallens auffassen mußte. Diese Entdeckung veranlaßte sie, die Heldin und Liebhaberin von den weltbedeutenden Brettern zu entfernen. Zur Einrichtung einer Thcaterschule erhielt letztere, abgesehen von ihrer mangelhaften Bildung, hauptsächlich wegen ihrer etwas bewegten Vergangenheit, nicht die erforderliche Konzession des Polizeipräsidiums, denn damals herrschte noch in Gesetzgebung und Verwaltung die Auffassung, daß die Ausübung der Kunst etwas mehr sei als der Betrieb eines Gewerbes. Dagegen konnte ihr die Erteilung von Unter¬ richt in „höherer Bildung" nicht versagt werden; nnr paßte die Polizei ihr gehörig auf, damit nicht etwa diese Bildung vorzugsweise in dem Umgang mit dem stärkern Geschlecht geübt würde. Bis zu dem Zeitpunkte, in welchem Frau Vertha Gcneff das Kunstinstitnt aufsuchte, hatte sich jedoch Fräulein Mühlaar Künstlername aus Müller — nichts zu Schulden kommen lassen.- Freilich hatte sich bis jetzt nur eine geringe Zahl bildungsbedürftiger Damen eingefunden, und auch diese waren nicht besonders vertrauenerweckend. Da war eine so¬ genannte Probirmamscll von Gerson, die sich durch ihre mangelhaft orthogra¬ phische Aussprache — wie der Disponent sagte — von dem Avancement als Lndcnverkänfcrin ausgeschlossen sah und nur im Lager bei der Abnahme der Mäntel, Jaquets und Paletots von den Schneidern als „Anprobe" diente. Da war eine ehemalige Künstlerin vom Trapez im Cirkus Renz, welche ein Offizier von den ersten Dragonern ihrer Laufbahn abwendig gemacht hatte und welche sich bei den kleinen Festen mit den Kameraden ihres Freundes allerlei Spöttereien über ihre allzu naiven künstlerischen Anschauungen gefallen lassen mußte. Die dritte war ein Kammermädchen, welches dereinst bei einer Chansvnettensängerin aus der Walhalla in Diensten stand und dabei bemerkt

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/113
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/113>, abgerufen am 01.09.2024.