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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Die internationale Kunstausstellung in München.

essenz des Lebens hält. An dem Bilde Lnigi Nonos sehen wir aber wieder
einmal, daß die Darstellung des Tragischen doch der Kunst die dankbarsten,
wenn nicht die höchsten Aufgaben bietet, vorausgesetzt, daß die Kunst imstande
ist, die tiefsten Wirkungen mit den einfachsten Mitteln zu erreichen. Ein um¬
fangreicher Apparat verdirbt die Stimmung. Facciolis "Traurige Reise"
-- eine Witwe mit ihrem Kinde im Eisenbahnwagen -- läßt sich wegen des
einfachen, schlichten Vortrags und der tiefen Empfindung, die aus den Zügen
der blassen, das schlafende Kind beobachtenden Fran spricht, noch am ehesten
nach der Tragödie Nonos betrachten, nicht aber die geräuschvollen Szenen aus
dem Straßenleben, in welchen die grellsten Farbentöne unter dem Weißesten
Lichte ciufcinanderplatzeu.

Mit einem Worte sei noch der hohen Entwicklungsstufe gedacht, welche
die Aquarellmalerei in Italien erreicht hat -- Randcinini mit seiner "Chirur¬
gischen Operation" im Stile eines Brouwer oder van Ostade steht hie robenan --
und des fabelhaften Naturalismus der Kleinplastik in Bronze und Thon, welche
in d'Orsi ihren glänzendsten Vertreter auf der Ausstellung sieht.

Durch die Bemühungen des Malers Koester in Boston ist eine sehr reich¬
haltige Sammlung von amerikanischen Holzschnitten zur Schau gestellt worden,
welche uns einen umfassenden Überblick über den Stand dieser Technik in den
Vereinigten Staaten gewährt. Wir kannten diese Mirakel der Xylographie oder
richtiger der Radirung ans Holz schon lange aus den amerikanischen Zeitschriften,
besonders aus Harpers NonM/; wir hatten aber nicht geglaubt, daß die Zahl
dieser Virtuosen eine so außerordentlich große ist. Linton, Cole und Jüng¬
ling gelten für die Matadoren; es giebt aber noch eine ganze Reihe andrer,
welche hinter ihnen nicht weit zurückbleiben. Der ursprüngliche Charakter des
Holzschnitts ist durch diese Künstler freilich vollständig vernichtet worden; ihre
Arbeiten sind keine Holzschnitte mehr, sondern Radirungen, welche, statt auf
dem Metall, auf einer Holzplatte ausgeführt sind. Läßt man aber einmal diese
Manier gelten, so muß man eingestehen, daß die Amerikaner darin eine Stufe
der Vollendung erreicht haben, von welcher die französischen, englischen und
deutschen Xylographen, selbst die besten Vertreter des Facsimileschnitts, noch
weit entfernt sind. Diese Holzstiche werden den feinsten Schattirungen des
Pinsels gerecht; oft erscheint der Ton wie hingehaucht, und vergebens späht
mau nach den Linien, welche diese zauberische Wirkung hervorgebracht haben
müssen. Wahre Kunst ist das aber doch nicht, es ist eine raffinirte Spielerei,
welche über kurz oder lang an der Grenze ihres Könnens ankommen und dann
in Manier ausarten muß.




Die internationale Kunstausstellung in München.

essenz des Lebens hält. An dem Bilde Lnigi Nonos sehen wir aber wieder
einmal, daß die Darstellung des Tragischen doch der Kunst die dankbarsten,
wenn nicht die höchsten Aufgaben bietet, vorausgesetzt, daß die Kunst imstande
ist, die tiefsten Wirkungen mit den einfachsten Mitteln zu erreichen. Ein um¬
fangreicher Apparat verdirbt die Stimmung. Facciolis „Traurige Reise"
— eine Witwe mit ihrem Kinde im Eisenbahnwagen — läßt sich wegen des
einfachen, schlichten Vortrags und der tiefen Empfindung, die aus den Zügen
der blassen, das schlafende Kind beobachtenden Fran spricht, noch am ehesten
nach der Tragödie Nonos betrachten, nicht aber die geräuschvollen Szenen aus
dem Straßenleben, in welchen die grellsten Farbentöne unter dem Weißesten
Lichte ciufcinanderplatzeu.

Mit einem Worte sei noch der hohen Entwicklungsstufe gedacht, welche
die Aquarellmalerei in Italien erreicht hat — Randcinini mit seiner „Chirur¬
gischen Operation" im Stile eines Brouwer oder van Ostade steht hie robenan —
und des fabelhaften Naturalismus der Kleinplastik in Bronze und Thon, welche
in d'Orsi ihren glänzendsten Vertreter auf der Ausstellung sieht.

Durch die Bemühungen des Malers Koester in Boston ist eine sehr reich¬
haltige Sammlung von amerikanischen Holzschnitten zur Schau gestellt worden,
welche uns einen umfassenden Überblick über den Stand dieser Technik in den
Vereinigten Staaten gewährt. Wir kannten diese Mirakel der Xylographie oder
richtiger der Radirung ans Holz schon lange aus den amerikanischen Zeitschriften,
besonders aus Harpers NonM/; wir hatten aber nicht geglaubt, daß die Zahl
dieser Virtuosen eine so außerordentlich große ist. Linton, Cole und Jüng¬
ling gelten für die Matadoren; es giebt aber noch eine ganze Reihe andrer,
welche hinter ihnen nicht weit zurückbleiben. Der ursprüngliche Charakter des
Holzschnitts ist durch diese Künstler freilich vollständig vernichtet worden; ihre
Arbeiten sind keine Holzschnitte mehr, sondern Radirungen, welche, statt auf
dem Metall, auf einer Holzplatte ausgeführt sind. Läßt man aber einmal diese
Manier gelten, so muß man eingestehen, daß die Amerikaner darin eine Stufe
der Vollendung erreicht haben, von welcher die französischen, englischen und
deutschen Xylographen, selbst die besten Vertreter des Facsimileschnitts, noch
weit entfernt sind. Diese Holzstiche werden den feinsten Schattirungen des
Pinsels gerecht; oft erscheint der Ton wie hingehaucht, und vergebens späht
mau nach den Linien, welche diese zauberische Wirkung hervorgebracht haben
müssen. Wahre Kunst ist das aber doch nicht, es ist eine raffinirte Spielerei,
welche über kurz oder lang an der Grenze ihres Könnens ankommen und dann
in Manier ausarten muß.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/108>, abgerufen am 01.09.2024.