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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Die internationale Kunstausstellung in München.

Velasquez haben ja auch Genrebilder im modernen Sinne gemalt. Aber der
erstere hat für seine Straßenverkäufer und Gassenjungen von Sevilla doch eine
ernstere und gediegenere Tonart gefunden, obwohl die Sonne zu seiner Zeit
gewiß nicht minder hell schien als heute, und er ist vor allen Dingen zu einer
vollkommenen Harmonie hindurchgedrungen, wahrend von einer solchen bei den
modernen spanischen Bildern nicht die Rede sein kann. Man wird dagegen
einwenden, daß das Kolorit Murillos nicht so reich und blühend sei wie das¬
jenige der modernen Spanier, daß es leichter sei, eine Harmonie zwischen zehn
Tönen herzustellen als zwischen zwanzig, und daß das große Format der Mu-
rilloschen Gemälde eine solche Harmonisirung bequemer gemacht habe als die
kleinen Leinwandflächen der jetzigen Maler. Aber ein Hinweis auf die große
"Heilige Familie" und auf die "Geburt der heiligen Jungfrau" im Louvre macht
den Einwand bezüglich der Beschränkung der Farbenskala schon hinfällig. Noch
schlagender und zwar nach allen drei Richtungen ist das Beispiel des Velas¬
quez, dessen "Kavaliere im Freien," ebenfalls im Louvre, bei größtem Reichtum
der Färbung und bei kleinem Format doch eine vollendet sanfte Harmonie des
Kolorits aufzuweisen haben, welche überwiegend durch die Einschaltung warmer
grauer Töne herbeigeführt worden ist. Die modernen Spanier könnten also,
wenn sie wollten, auch hinsichtlich der malerischen Behandlung ihrer aus dem
Leben gegriffenen sujets innerhalb ihrer klassischen Tradition bleibe". Aber
trotz aller Anstrengungen, trotz der von innen herauswirkenden nationalen Im¬
pulse ist das französische und italienische Beispiel immer noch so einflußreich,
daß die Opposition gegen Frankreich sich zur Zeit erst sehr äußerlich kundgiebt --
fast ausschließlich in der Wahl der Stoffe.

Nach dieser Richtung ist die spanische Kunst durchaus national, wie sie es
im siebzehnten Jahrhundert gewesen ist und wie sie es noch einmal durch
Francisco Goya (1746--1823) wurde, welcher sich durch einen Aufenthalt in
Italien nicht aus dem Zusammenhange mit der nationalen Schule bringen ließ
und sich den Stil und das Kolorit des Velasquez für seine Porträts und
Genrefiguren aus dem Volksleben in ähnlich selbständiger Weise zurechtlegte,
wie es ein Jahrhundert früher der Niederländer Geraard Tcrborch gethan hatte.
Goya war aber unter den Akademikern seiner Zeit, welche sich zum größern
Teile an David und seine falschen Römer hielten, zum kleinern Teile der neuern
deutschen Schule, namentlich Overbeck, folgten, eine vereinzelte Erscheinung, und
erst dreißig Jahre nach seinem Tode wurden seine realistischen Bestrebungen
durch Fortuny wieder aufgenommen. Fortnny war aber nur ein Genremaler,
welcher sich in engen Grenzen bewegte, ein entschiedener Kolorist, dem es mehr
um die glänzende und schillernde Außenseite der Personen und Dinge zu thun
war, als um ihren Kern. Was aber die spanische Kunst der Gegenwart vor
allen übrigen charakterisirt, ist ihre Historienmalerei, ihre Malerei großen Stils,
nicht die Genremalerei, die sich in ihren Prinzipien und in ihren Erscheinungs-


Die internationale Kunstausstellung in München.

Velasquez haben ja auch Genrebilder im modernen Sinne gemalt. Aber der
erstere hat für seine Straßenverkäufer und Gassenjungen von Sevilla doch eine
ernstere und gediegenere Tonart gefunden, obwohl die Sonne zu seiner Zeit
gewiß nicht minder hell schien als heute, und er ist vor allen Dingen zu einer
vollkommenen Harmonie hindurchgedrungen, wahrend von einer solchen bei den
modernen spanischen Bildern nicht die Rede sein kann. Man wird dagegen
einwenden, daß das Kolorit Murillos nicht so reich und blühend sei wie das¬
jenige der modernen Spanier, daß es leichter sei, eine Harmonie zwischen zehn
Tönen herzustellen als zwischen zwanzig, und daß das große Format der Mu-
rilloschen Gemälde eine solche Harmonisirung bequemer gemacht habe als die
kleinen Leinwandflächen der jetzigen Maler. Aber ein Hinweis auf die große
„Heilige Familie" und auf die „Geburt der heiligen Jungfrau" im Louvre macht
den Einwand bezüglich der Beschränkung der Farbenskala schon hinfällig. Noch
schlagender und zwar nach allen drei Richtungen ist das Beispiel des Velas¬
quez, dessen „Kavaliere im Freien," ebenfalls im Louvre, bei größtem Reichtum
der Färbung und bei kleinem Format doch eine vollendet sanfte Harmonie des
Kolorits aufzuweisen haben, welche überwiegend durch die Einschaltung warmer
grauer Töne herbeigeführt worden ist. Die modernen Spanier könnten also,
wenn sie wollten, auch hinsichtlich der malerischen Behandlung ihrer aus dem
Leben gegriffenen sujets innerhalb ihrer klassischen Tradition bleibe». Aber
trotz aller Anstrengungen, trotz der von innen herauswirkenden nationalen Im¬
pulse ist das französische und italienische Beispiel immer noch so einflußreich,
daß die Opposition gegen Frankreich sich zur Zeit erst sehr äußerlich kundgiebt —
fast ausschließlich in der Wahl der Stoffe.

Nach dieser Richtung ist die spanische Kunst durchaus national, wie sie es
im siebzehnten Jahrhundert gewesen ist und wie sie es noch einmal durch
Francisco Goya (1746—1823) wurde, welcher sich durch einen Aufenthalt in
Italien nicht aus dem Zusammenhange mit der nationalen Schule bringen ließ
und sich den Stil und das Kolorit des Velasquez für seine Porträts und
Genrefiguren aus dem Volksleben in ähnlich selbständiger Weise zurechtlegte,
wie es ein Jahrhundert früher der Niederländer Geraard Tcrborch gethan hatte.
Goya war aber unter den Akademikern seiner Zeit, welche sich zum größern
Teile an David und seine falschen Römer hielten, zum kleinern Teile der neuern
deutschen Schule, namentlich Overbeck, folgten, eine vereinzelte Erscheinung, und
erst dreißig Jahre nach seinem Tode wurden seine realistischen Bestrebungen
durch Fortuny wieder aufgenommen. Fortnny war aber nur ein Genremaler,
welcher sich in engen Grenzen bewegte, ein entschiedener Kolorist, dem es mehr
um die glänzende und schillernde Außenseite der Personen und Dinge zu thun
war, als um ihren Kern. Was aber die spanische Kunst der Gegenwart vor
allen übrigen charakterisirt, ist ihre Historienmalerei, ihre Malerei großen Stils,
nicht die Genremalerei, die sich in ihren Prinzipien und in ihren Erscheinungs-


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[0102] Die internationale Kunstausstellung in München. Velasquez haben ja auch Genrebilder im modernen Sinne gemalt. Aber der erstere hat für seine Straßenverkäufer und Gassenjungen von Sevilla doch eine ernstere und gediegenere Tonart gefunden, obwohl die Sonne zu seiner Zeit gewiß nicht minder hell schien als heute, und er ist vor allen Dingen zu einer vollkommenen Harmonie hindurchgedrungen, wahrend von einer solchen bei den modernen spanischen Bildern nicht die Rede sein kann. Man wird dagegen einwenden, daß das Kolorit Murillos nicht so reich und blühend sei wie das¬ jenige der modernen Spanier, daß es leichter sei, eine Harmonie zwischen zehn Tönen herzustellen als zwischen zwanzig, und daß das große Format der Mu- rilloschen Gemälde eine solche Harmonisirung bequemer gemacht habe als die kleinen Leinwandflächen der jetzigen Maler. Aber ein Hinweis auf die große „Heilige Familie" und auf die „Geburt der heiligen Jungfrau" im Louvre macht den Einwand bezüglich der Beschränkung der Farbenskala schon hinfällig. Noch schlagender und zwar nach allen drei Richtungen ist das Beispiel des Velas¬ quez, dessen „Kavaliere im Freien," ebenfalls im Louvre, bei größtem Reichtum der Färbung und bei kleinem Format doch eine vollendet sanfte Harmonie des Kolorits aufzuweisen haben, welche überwiegend durch die Einschaltung warmer grauer Töne herbeigeführt worden ist. Die modernen Spanier könnten also, wenn sie wollten, auch hinsichtlich der malerischen Behandlung ihrer aus dem Leben gegriffenen sujets innerhalb ihrer klassischen Tradition bleibe». Aber trotz aller Anstrengungen, trotz der von innen herauswirkenden nationalen Im¬ pulse ist das französische und italienische Beispiel immer noch so einflußreich, daß die Opposition gegen Frankreich sich zur Zeit erst sehr äußerlich kundgiebt — fast ausschließlich in der Wahl der Stoffe. Nach dieser Richtung ist die spanische Kunst durchaus national, wie sie es im siebzehnten Jahrhundert gewesen ist und wie sie es noch einmal durch Francisco Goya (1746—1823) wurde, welcher sich durch einen Aufenthalt in Italien nicht aus dem Zusammenhange mit der nationalen Schule bringen ließ und sich den Stil und das Kolorit des Velasquez für seine Porträts und Genrefiguren aus dem Volksleben in ähnlich selbständiger Weise zurechtlegte, wie es ein Jahrhundert früher der Niederländer Geraard Tcrborch gethan hatte. Goya war aber unter den Akademikern seiner Zeit, welche sich zum größern Teile an David und seine falschen Römer hielten, zum kleinern Teile der neuern deutschen Schule, namentlich Overbeck, folgten, eine vereinzelte Erscheinung, und erst dreißig Jahre nach seinem Tode wurden seine realistischen Bestrebungen durch Fortuny wieder aufgenommen. Fortnny war aber nur ein Genremaler, welcher sich in engen Grenzen bewegte, ein entschiedener Kolorist, dem es mehr um die glänzende und schillernde Außenseite der Personen und Dinge zu thun war, als um ihren Kern. Was aber die spanische Kunst der Gegenwart vor allen übrigen charakterisirt, ist ihre Historienmalerei, ihre Malerei großen Stils, nicht die Genremalerei, die sich in ihren Prinzipien und in ihren Erscheinungs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/102>, abgerufen am 01.09.2024.