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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Die internationale Runstausstellung in München.

Zeichnung, eine raffinirte Koketterie in den Umrissen und in der Modellirung,
bisweilen an das Lüsterne streifend, ein schillernder Glanz in den Kostümen,
die größte Kühnheit in den Farbenverbindungen und eine vollendete Virtuosität
in der Nachahmung aller Stoffe, wie Marmor, Atlas, Metall und Holz. Viel
Esprit, aber keine Spur von wahrer und einfacher Empfindung, kein Anlauf,
edlere Gefühle wachzurufen.

Ein großer Teil der spanischen Genremaler steht unter dem Einflüsse
Fortunys, dessen große, durch einen Pariser Kunsthändler geschickt in Szene
gesetzte pekuniäre Erfolge für viele verlockend gewesen sind. Es sind vornehm--
lich die Vertreter des Kostümbildes, für welches man in Deutschland und zwar
in Malerkreisen die schreckliche Bezeichnung "kostümirtes Genre" erfunden hat.
Man könnte die ganze Gruppe auch kurzweg "Genre Meissonier" nennen,
wenn nicht ein Teil der Spanier in der koloristischen Behandlung von dem
Franzosen abwiche. Die einen freilich halten sich an seine konzentrirte, email¬
artige, vertriebene Mache, welche selbst bei der Prüfung durch das Vergrößerungs¬
glas nichts von ihrer Glätte, ihrer plastischen Gebundenheit, ihrer vollkommenen
Klarheit verliert; andre aber folge" mehr dem breiten, flotten Jmpasto Fortunys,
das immer wie eine kecke Augenblicksimprovisation aussieht. Eine dritte Kategorie
verbindet sogar beide Manieren, indem sie die Figuren ^ 1s, Meissonier, den
Hintergrund in der Art Fortunys behandelt. Zu diesen Malern, welche ihre
Stoffe mit Vorliebe aus dem Zeitalter des Rokoko oder dem Anfange dieses
Jahrhunderts wählen, gehört Palmaroli, dessen "Wahrsagerin" für die ganze
Gruppe charakteristisch ist. In einem vornehmen Zimmer, dessen Wände ganz
im Rokokogeschmack mit Porzellanvasen dekorirt sind, kniet eine Zigeunerin vor
einer jungen Dame. Was jene ihr aus den Karten und den Linien der Hand
gesagt hat, muß eine lebhafte Erregung in dem Herzen des Fräuleins hervor¬
gerufen haben, da dasselbe sein Antlitz mit dem Rücken der rechten Hand
verbirgt. Eine ältere Dame wendet sich über den Tisch hinweg mit fragender
Geberde zu der Verlegeneu, und rechts steht, an den Kamin gelehnt, eine
dritte Dame, welche ihren Blick beobachtend auf diejenige heftet, deren Geheimnis
offenbar geworden ist. Die Mittelgruppe der drei um den Tisch gesellten
Frauen ist höchst geschmackvoll komponirt. Zeichnung und Modellirung sind
von wunderbarer Akkuratesse, und die Färbung von einer Zartheit, welche die
Reize der Zeichnung in das beste Licht rückt. Aber auch die Möbel, die Stoffe
der seidenen Roben, die Wände des Zimmers mit ihren Vasen, Spiegeln und
Figuren und den großen Guirlanden der Tapeten sind mit derselben minutiösen
Sorgfalt behandelt wie die Köpfe der Damen. Das Ganze ist in einem so
lichten, klaren Tone gehalten, daß sich nirgends die Gegensätze zwischen Licht
und Schatten ergeben, welche die Basis eines wahrhaft harmonischen Kolorits
sind. Und diesen Charakter trägt die Mehrzahl der spanischen Genrebilder, am
meisten natürlich diejenigen, welche das moderne Leben spiegeln. Murillo und


Die internationale Runstausstellung in München.

Zeichnung, eine raffinirte Koketterie in den Umrissen und in der Modellirung,
bisweilen an das Lüsterne streifend, ein schillernder Glanz in den Kostümen,
die größte Kühnheit in den Farbenverbindungen und eine vollendete Virtuosität
in der Nachahmung aller Stoffe, wie Marmor, Atlas, Metall und Holz. Viel
Esprit, aber keine Spur von wahrer und einfacher Empfindung, kein Anlauf,
edlere Gefühle wachzurufen.

Ein großer Teil der spanischen Genremaler steht unter dem Einflüsse
Fortunys, dessen große, durch einen Pariser Kunsthändler geschickt in Szene
gesetzte pekuniäre Erfolge für viele verlockend gewesen sind. Es sind vornehm--
lich die Vertreter des Kostümbildes, für welches man in Deutschland und zwar
in Malerkreisen die schreckliche Bezeichnung „kostümirtes Genre" erfunden hat.
Man könnte die ganze Gruppe auch kurzweg „Genre Meissonier" nennen,
wenn nicht ein Teil der Spanier in der koloristischen Behandlung von dem
Franzosen abwiche. Die einen freilich halten sich an seine konzentrirte, email¬
artige, vertriebene Mache, welche selbst bei der Prüfung durch das Vergrößerungs¬
glas nichts von ihrer Glätte, ihrer plastischen Gebundenheit, ihrer vollkommenen
Klarheit verliert; andre aber folge» mehr dem breiten, flotten Jmpasto Fortunys,
das immer wie eine kecke Augenblicksimprovisation aussieht. Eine dritte Kategorie
verbindet sogar beide Manieren, indem sie die Figuren ^ 1s, Meissonier, den
Hintergrund in der Art Fortunys behandelt. Zu diesen Malern, welche ihre
Stoffe mit Vorliebe aus dem Zeitalter des Rokoko oder dem Anfange dieses
Jahrhunderts wählen, gehört Palmaroli, dessen „Wahrsagerin" für die ganze
Gruppe charakteristisch ist. In einem vornehmen Zimmer, dessen Wände ganz
im Rokokogeschmack mit Porzellanvasen dekorirt sind, kniet eine Zigeunerin vor
einer jungen Dame. Was jene ihr aus den Karten und den Linien der Hand
gesagt hat, muß eine lebhafte Erregung in dem Herzen des Fräuleins hervor¬
gerufen haben, da dasselbe sein Antlitz mit dem Rücken der rechten Hand
verbirgt. Eine ältere Dame wendet sich über den Tisch hinweg mit fragender
Geberde zu der Verlegeneu, und rechts steht, an den Kamin gelehnt, eine
dritte Dame, welche ihren Blick beobachtend auf diejenige heftet, deren Geheimnis
offenbar geworden ist. Die Mittelgruppe der drei um den Tisch gesellten
Frauen ist höchst geschmackvoll komponirt. Zeichnung und Modellirung sind
von wunderbarer Akkuratesse, und die Färbung von einer Zartheit, welche die
Reize der Zeichnung in das beste Licht rückt. Aber auch die Möbel, die Stoffe
der seidenen Roben, die Wände des Zimmers mit ihren Vasen, Spiegeln und
Figuren und den großen Guirlanden der Tapeten sind mit derselben minutiösen
Sorgfalt behandelt wie die Köpfe der Damen. Das Ganze ist in einem so
lichten, klaren Tone gehalten, daß sich nirgends die Gegensätze zwischen Licht
und Schatten ergeben, welche die Basis eines wahrhaft harmonischen Kolorits
sind. Und diesen Charakter trägt die Mehrzahl der spanischen Genrebilder, am
meisten natürlich diejenigen, welche das moderne Leben spiegeln. Murillo und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/101>, abgerufen am 01.09.2024.