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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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begeistern, wenn dieselben nur auf Kosten des eignen Vaterlandes verwirklicht
werden können, ist eine politische Krankheitsform, deren geographische Verbreitung
sich leider auf Deutschland beschränkt," In der Debatte über dieselbe Angelegen¬
heit verglich der Volksbote Simson das Ministerium geschmackvoll und schicklich
erst mit Don Quixote, dann mit Seiltänzern, Wahrhaft prachtvoll waren folgende
Sätze in der Schlußrede des Referenten von Sybel: "Sähe ich mir gegenüber
am Ministertisch einen Mann, der bereits Zeugnis gegeben hätte von weit¬
blickender Einsicht und einem Herzen für die Gerechtigkeit, so würde ich fragen,
ob seine Konvention auch an die Verträge von 1815 erinnert, an das dort
verbriefte Recht der Polen, unter ihrer eignen, selbständigen Verfassung zu leben,
an das dort verbriefte Recht Preußens und Europas, daß in Warschau nicht
der Zar von Rußland, sondern der König von Polen herrsche. . . Wenn unser
Ministerium diese polnische Sache selbst in die Hand nahm mit dem redlichen
Willen, endlich diesen Stachel aus der Ferse Europas herauszuziehen, endlich
diese alte preußische Wunde schließen zu helfen, welche Stellung hätte es damit
im eignen Lande und in Europa eingenommen! . . Das Herz unsers Ministeriums
scheint aber leider nur an Bildern der Unfreiheit und Unterdrückung zu hängen,
und so schrumpft denn auch ihre Staats- und Kriegskunst wie ihr Verfassungs¬
leben zu der Glorie der polizeilichen Chikane zusammen. . . Es ist wahr, wir
thun alles, um unsre Regierung zu keiner verkehrten Aktion gelangen zu lassen,
und ich will mit voller Offenheit hinzusetzen, wir würden alles thun, auch
um sie von solchen auswärtigen Aktionen abzuhalten, welche unter
Umständen vielleicht zweckmäßige Ziele ins Auge nehmen. . . Wir
thun so nach der Überzeugung, daß dieses Ministerium an kei,, r Stelle Lorbeer
ernten wird, einer Überzeugung, die uns gerade durch die Konvention lind die
daran geknüpften Verhandlungen bis zur höchsten und sonnenhellsten Deutlichkeit
gediehen ist. Wir ziehen in unsrer Lage einen bescheidenen und selbst demütigen
Frieden einer traurigen Niederlage selbst in einem gerechten Kriege vor, und
weil wir von der Wahrheit durchdrungen sind, daß unter diesen Führern die
Niederlage die unvermeidliche Folge sein wird, so wird unser Wort stets: Ge¬
wehr bei Fuß! lauten, so lange die Krone diese Minister behält ^und nicht uns
mit unsrer höhern Erleuchtung an deren Stelle setztj. Wundre sich niemand,
daß auch die besten Patrioten bei dem Rufe: Freiwillige vor! zurückbleiben, so
lange notorisch unfähige und unglückliche Befehlshaber an der Spitze stehen.
Wundre sich niemand, daß sich keine freiwilligen Matrosen melden, wenn zur
Expedition ein notorisch seeuntüchtiges Schiff gewählt wird. Meine Herren,
unser Staat ist das einst so stolze Kriegsschiff, dessen scharfer Kiel mit Brausen
die Wellen der Jcchrhuuderte durchschnitt, dessen Seiten, oft vom Sturme wund
gepeitscht, mit dem Eisenpanzer preußischer Volkskraft gefestigt waren, und
welches jetzt mit thöricht überhöhten Masten, des besten Teils seines Eisens und
seiner Dampfkraft beraubt, mit Herrn von Roon im Maschinenraum und Herrn


begeistern, wenn dieselben nur auf Kosten des eignen Vaterlandes verwirklicht
werden können, ist eine politische Krankheitsform, deren geographische Verbreitung
sich leider auf Deutschland beschränkt," In der Debatte über dieselbe Angelegen¬
heit verglich der Volksbote Simson das Ministerium geschmackvoll und schicklich
erst mit Don Quixote, dann mit Seiltänzern, Wahrhaft prachtvoll waren folgende
Sätze in der Schlußrede des Referenten von Sybel: „Sähe ich mir gegenüber
am Ministertisch einen Mann, der bereits Zeugnis gegeben hätte von weit¬
blickender Einsicht und einem Herzen für die Gerechtigkeit, so würde ich fragen,
ob seine Konvention auch an die Verträge von 1815 erinnert, an das dort
verbriefte Recht der Polen, unter ihrer eignen, selbständigen Verfassung zu leben,
an das dort verbriefte Recht Preußens und Europas, daß in Warschau nicht
der Zar von Rußland, sondern der König von Polen herrsche. . . Wenn unser
Ministerium diese polnische Sache selbst in die Hand nahm mit dem redlichen
Willen, endlich diesen Stachel aus der Ferse Europas herauszuziehen, endlich
diese alte preußische Wunde schließen zu helfen, welche Stellung hätte es damit
im eignen Lande und in Europa eingenommen! . . Das Herz unsers Ministeriums
scheint aber leider nur an Bildern der Unfreiheit und Unterdrückung zu hängen,
und so schrumpft denn auch ihre Staats- und Kriegskunst wie ihr Verfassungs¬
leben zu der Glorie der polizeilichen Chikane zusammen. . . Es ist wahr, wir
thun alles, um unsre Regierung zu keiner verkehrten Aktion gelangen zu lassen,
und ich will mit voller Offenheit hinzusetzen, wir würden alles thun, auch
um sie von solchen auswärtigen Aktionen abzuhalten, welche unter
Umständen vielleicht zweckmäßige Ziele ins Auge nehmen. . . Wir
thun so nach der Überzeugung, daß dieses Ministerium an kei,, r Stelle Lorbeer
ernten wird, einer Überzeugung, die uns gerade durch die Konvention lind die
daran geknüpften Verhandlungen bis zur höchsten und sonnenhellsten Deutlichkeit
gediehen ist. Wir ziehen in unsrer Lage einen bescheidenen und selbst demütigen
Frieden einer traurigen Niederlage selbst in einem gerechten Kriege vor, und
weil wir von der Wahrheit durchdrungen sind, daß unter diesen Führern die
Niederlage die unvermeidliche Folge sein wird, so wird unser Wort stets: Ge¬
wehr bei Fuß! lauten, so lange die Krone diese Minister behält ^und nicht uns
mit unsrer höhern Erleuchtung an deren Stelle setztj. Wundre sich niemand,
daß auch die besten Patrioten bei dem Rufe: Freiwillige vor! zurückbleiben, so
lange notorisch unfähige und unglückliche Befehlshaber an der Spitze stehen.
Wundre sich niemand, daß sich keine freiwilligen Matrosen melden, wenn zur
Expedition ein notorisch seeuntüchtiges Schiff gewählt wird. Meine Herren,
unser Staat ist das einst so stolze Kriegsschiff, dessen scharfer Kiel mit Brausen
die Wellen der Jcchrhuuderte durchschnitt, dessen Seiten, oft vom Sturme wund
gepeitscht, mit dem Eisenpanzer preußischer Volkskraft gefestigt waren, und
welches jetzt mit thöricht überhöhten Masten, des besten Teils seines Eisens und
seiner Dampfkraft beraubt, mit Herrn von Roon im Maschinenraum und Herrn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/70>, abgerufen am 08.09.2024.