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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Dcwidsbündler.

bei den Schultern, sagte mit erregter Stimme: "Herr, wer sind Sie, daß Sie
über einen Meister wie Mendelssohn so reden dürfen!" und verließ das Zimmer.
Merkwürdig ist auch eine Stelle aus einem Briefe an den Konzertsänger Naum-
burg in Halle vom Jahre 1835. Da heißt es: "Mendelssohn ist ein herr¬
licher, ein Diamant direkt vom Himmel; wir haben uns gern, glaub' ich."
Dieses "glaub' ich" klingt doch recht unsicher.

Viele von den interessante" Einzelheiten in Jansens Buche finden sich in
den hier zum erstenmale gedruckten Briefen, die augenscheinlich mit großer Mühe
zusammengebracht sind, denn fast alle Adressaten sind nur durch eine einzige
Nummer vertreten. Die meisten (12) sind an den königlichen Musikdirektor
Joh. Verhulst im Haag gerichtet, der von Schumanns Leipziger Zeit an bis zu
seinem Tode einer seiner liebsten Freunde war. Und was sehr merkwürdig ist,
einer dieser Briefe -- ein Kollektivschreiben von der Tafelrunde im Kasseebaum
vom 5. Januar 1844 -- ist erst vor kurzem, also beinahe vierzig Jahre nach
der Niederschrift, an seine Adresse befördert worden. Wahrscheinlich ist er da¬
mals Wenzel, dem allbekannten Klavierlehrer des Leipziger Konservatoriums,
zur Besorgung übergeben und von diesem, der ein leidenschaftlicher Sammler
war, als interessantes Autograph zurückbehalten worden. Wenigstens ist er erst
vorm Jahre nach Wenzels Tode aus dessen Nachlaß zu Tage gekommen. Hätte
Jansen nicht dies wunderbare Dokument, an welchem Schumann unter anderen
dnrch einen kleinen musikalischen Beitrag, einen auf die Baßnoten A s> ä "z, a, c! 6
(Gabe, abe!) aufgebauten liedförmigen Satz beteiligt ist, als Gegengabe bieten
können, wer weiß, ob Verhulst sich hätte bewegen lassen, in den Abdruck der
übrigen elf Schreiben zu willigen. Vielfach scheint Jansen vergebens angeklopft
zu haben oder mit Brocken abgespeist worden zu sein. Wenigstens finden sich nicht
selten Briefstücken in seinen Text verwoben, die dnrch die obenerwähnten "eckigen
Gänsefüßchen" als bisher ungedruckt gekennzeichnet sind, und die den lebhaftesten
Wunsch nach den ganzen Briefen, ans denen sie stammen, erwecken. Sicherlich
sind noch viele wertvolle Schnmcmniana erhalten, zu deren vollständiger Ver¬
öffentlichung die Zeit noch nicht gekommen ist.

Eine prächtige Zugabe zu Schumanns Gesammelten Schriften bilden die
Aufsätze von Florestan und Eusebius, die, von Schumann beim Sammeln über¬
sehen oder übergangen, Jansen wieder hat mit abdrucken lassen. Ein wahres
Kcibinetstück darunter ist die Rezension auf einen gewissen P.. tzsch (er wird
Wohl Pietzsch geheißen haben), einen Dorfkantor, der Clürchens Lied aus dem
"Egmont" komponirt und Schumann zur Besprechung zugeschickt hatte mit einem
Briefe, den Florestan zum größten Teile hat mit abdrucken lassen. Man weiß
nicht, worüber man sich mehr freuen soll, über das Schreiben des armen Schul¬
meisters, der mit wahrhaft göttlichem Humor von seinen Komponistenleiden er¬
zählt, oder über die herzliche Art, mit der ihn Schumann als Bundesgenossen
willkommen heißt.


Die Dcwidsbündler.

bei den Schultern, sagte mit erregter Stimme: „Herr, wer sind Sie, daß Sie
über einen Meister wie Mendelssohn so reden dürfen!" und verließ das Zimmer.
Merkwürdig ist auch eine Stelle aus einem Briefe an den Konzertsänger Naum-
burg in Halle vom Jahre 1835. Da heißt es: „Mendelssohn ist ein herr¬
licher, ein Diamant direkt vom Himmel; wir haben uns gern, glaub' ich."
Dieses „glaub' ich" klingt doch recht unsicher.

Viele von den interessante» Einzelheiten in Jansens Buche finden sich in
den hier zum erstenmale gedruckten Briefen, die augenscheinlich mit großer Mühe
zusammengebracht sind, denn fast alle Adressaten sind nur durch eine einzige
Nummer vertreten. Die meisten (12) sind an den königlichen Musikdirektor
Joh. Verhulst im Haag gerichtet, der von Schumanns Leipziger Zeit an bis zu
seinem Tode einer seiner liebsten Freunde war. Und was sehr merkwürdig ist,
einer dieser Briefe — ein Kollektivschreiben von der Tafelrunde im Kasseebaum
vom 5. Januar 1844 — ist erst vor kurzem, also beinahe vierzig Jahre nach
der Niederschrift, an seine Adresse befördert worden. Wahrscheinlich ist er da¬
mals Wenzel, dem allbekannten Klavierlehrer des Leipziger Konservatoriums,
zur Besorgung übergeben und von diesem, der ein leidenschaftlicher Sammler
war, als interessantes Autograph zurückbehalten worden. Wenigstens ist er erst
vorm Jahre nach Wenzels Tode aus dessen Nachlaß zu Tage gekommen. Hätte
Jansen nicht dies wunderbare Dokument, an welchem Schumann unter anderen
dnrch einen kleinen musikalischen Beitrag, einen auf die Baßnoten A s> ä «z, a, c! 6
(Gabe, abe!) aufgebauten liedförmigen Satz beteiligt ist, als Gegengabe bieten
können, wer weiß, ob Verhulst sich hätte bewegen lassen, in den Abdruck der
übrigen elf Schreiben zu willigen. Vielfach scheint Jansen vergebens angeklopft
zu haben oder mit Brocken abgespeist worden zu sein. Wenigstens finden sich nicht
selten Briefstücken in seinen Text verwoben, die dnrch die obenerwähnten „eckigen
Gänsefüßchen" als bisher ungedruckt gekennzeichnet sind, und die den lebhaftesten
Wunsch nach den ganzen Briefen, ans denen sie stammen, erwecken. Sicherlich
sind noch viele wertvolle Schnmcmniana erhalten, zu deren vollständiger Ver¬
öffentlichung die Zeit noch nicht gekommen ist.

Eine prächtige Zugabe zu Schumanns Gesammelten Schriften bilden die
Aufsätze von Florestan und Eusebius, die, von Schumann beim Sammeln über¬
sehen oder übergangen, Jansen wieder hat mit abdrucken lassen. Ein wahres
Kcibinetstück darunter ist die Rezension auf einen gewissen P.. tzsch (er wird
Wohl Pietzsch geheißen haben), einen Dorfkantor, der Clürchens Lied aus dem
„Egmont" komponirt und Schumann zur Besprechung zugeschickt hatte mit einem
Briefe, den Florestan zum größten Teile hat mit abdrucken lassen. Man weiß
nicht, worüber man sich mehr freuen soll, über das Schreiben des armen Schul¬
meisters, der mit wahrhaft göttlichem Humor von seinen Komponistenleiden er¬
zählt, oder über die herzliche Art, mit der ihn Schumann als Bundesgenossen
willkommen heißt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/691>, abgerufen am 08.09.2024.