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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Aus dem Zchuldbuche der Fortschrittspartei.

Wir wissen, gegenwärtig ganz besonders gute Gelegenheit, gründlich, aus Do¬
kumenten herauszufinden, daß es Abgeschmacktheiten waren.

Ebenfalls in dieser Zeit sekundirte der Abgeordnete von Carlowitz dem
Kollegen Schulze mit nachstehenden prophetischen Befürchtungen: "Ich bin der
Meinung, daß, was dieses Ministerium auf dem Gebiete der auswärtigen Politik
auch unternehmen möge, jede seiner Unternehmungen von vornherein mit Unfrucht¬
barkeit geschlagen sein werde" -- was ein weiser Thebaner in der Versammlung
mit einem tiefempfundenen "Sehr wahr!" bekräftigte. Weiterhin erklärte der
Redner, Preußen stehe jetzt "isolirt und ohne irgend einen schöpferischen Ge¬
danken" da, worauf er fortfuhr: "Und so befürchte ich allerdings, es werde uns
nichts übrig bleiben, als uns in einen Schmollwinkel zurückzuziehen und von
diesem aus mißmutig zuzusehen, wie das übrige Deutschland sich unter der
Würzburger und Österreichs Führung neu konstituirt und günstigenfalls uns
eine Hinterthür offen läßt, durch die wir unter Bedingungen wieder eintreten
könnten -- eine Hinterthür, die freilich dem kaudinischen Passe so ähnlich sehen
würde wie ein El dem andern." Einige Monate nachher mißglückte der öster¬
reichisch-mittelstaatliche Plan einer Neugestaltung Deutschlands auf die kläg¬
lichste Weise, und einige Jahre nachher begründete Bismcirck den Norddeutschen
Bund, die Basis zum jetzigen Deutschen Reiche!

Als die preußische Regierung bald darauf der polnischen Empörung gegen¬
über mit Rußland einen Vertrag zur Einschränkung derselben abgeschlossen hatte,
beschuldigte Carlowitz das Ministerium der Kurzsichtigkeit-, klagte, daß Preußen
Rußland "jeden Freundschaftsdienst erwiesen ohne Entgelt," und schloß mit der
hochpatriotischen Hoffnung: "Wenn die preußische Regierung sich übereilt und
mutwillig unter den ungünstigsten Umständen in auswärtige Verwicklungen ein¬
läßt und eine aggressive Politik treibt, so habe ich das Vertrauen zum ganzen
Hause hier, jedenfalls zu seiner großen Majorität, daß es in Übereinstimmung
mit dem ganzen Lande zu einer solchen Politik jderen Aggression sich gegen
Feinde Rußlands richtete, die zugleich Todfeinde Preußens waren^ diesem Mini¬
sterium auch nicht einen Thaler bewilligen wird."

Ähnlich der Abgeordnete von Unruh, der unter dem Veifalle der Mehrheit
andeutete, wenn aus den Maßregeln, welche die Negierung zur Sicherung der
Grenzen und der Interessen Preußens getroffen hatte, auswärtige Verwicklungen
entstehen sollten, so werde man dem Könige die Mittel zur Landesverteidigung
verweigern. Der Abgeordnete Waldeck verglich die zu jenen Maßregeln gehörige
Einstellung der preußischen Reserven mit dem Verkaufe der hessischen Landes¬
kinder an das die aufständischen Nordamerikaner bekämpfende England. Sybel
protestirte gegen eine Politik, welche Preußen "mit der Mitschuld an einer kolossalen,
von ganz Europa mit sittlicher Empörung betrachteten Menschenjagd belaste."
Die Herren mußten sich darauf unter andern Wahrheiten von Bismarck auch die
sagen lassen: "Die Neigung, sich für fremde Nationalbestrebungen auch dann zu


Aus dem Zchuldbuche der Fortschrittspartei.

Wir wissen, gegenwärtig ganz besonders gute Gelegenheit, gründlich, aus Do¬
kumenten herauszufinden, daß es Abgeschmacktheiten waren.

Ebenfalls in dieser Zeit sekundirte der Abgeordnete von Carlowitz dem
Kollegen Schulze mit nachstehenden prophetischen Befürchtungen: „Ich bin der
Meinung, daß, was dieses Ministerium auf dem Gebiete der auswärtigen Politik
auch unternehmen möge, jede seiner Unternehmungen von vornherein mit Unfrucht¬
barkeit geschlagen sein werde" — was ein weiser Thebaner in der Versammlung
mit einem tiefempfundenen „Sehr wahr!" bekräftigte. Weiterhin erklärte der
Redner, Preußen stehe jetzt „isolirt und ohne irgend einen schöpferischen Ge¬
danken" da, worauf er fortfuhr: „Und so befürchte ich allerdings, es werde uns
nichts übrig bleiben, als uns in einen Schmollwinkel zurückzuziehen und von
diesem aus mißmutig zuzusehen, wie das übrige Deutschland sich unter der
Würzburger und Österreichs Führung neu konstituirt und günstigenfalls uns
eine Hinterthür offen läßt, durch die wir unter Bedingungen wieder eintreten
könnten — eine Hinterthür, die freilich dem kaudinischen Passe so ähnlich sehen
würde wie ein El dem andern." Einige Monate nachher mißglückte der öster¬
reichisch-mittelstaatliche Plan einer Neugestaltung Deutschlands auf die kläg¬
lichste Weise, und einige Jahre nachher begründete Bismcirck den Norddeutschen
Bund, die Basis zum jetzigen Deutschen Reiche!

Als die preußische Regierung bald darauf der polnischen Empörung gegen¬
über mit Rußland einen Vertrag zur Einschränkung derselben abgeschlossen hatte,
beschuldigte Carlowitz das Ministerium der Kurzsichtigkeit-, klagte, daß Preußen
Rußland „jeden Freundschaftsdienst erwiesen ohne Entgelt," und schloß mit der
hochpatriotischen Hoffnung: „Wenn die preußische Regierung sich übereilt und
mutwillig unter den ungünstigsten Umständen in auswärtige Verwicklungen ein¬
läßt und eine aggressive Politik treibt, so habe ich das Vertrauen zum ganzen
Hause hier, jedenfalls zu seiner großen Majorität, daß es in Übereinstimmung
mit dem ganzen Lande zu einer solchen Politik jderen Aggression sich gegen
Feinde Rußlands richtete, die zugleich Todfeinde Preußens waren^ diesem Mini¬
sterium auch nicht einen Thaler bewilligen wird."

Ähnlich der Abgeordnete von Unruh, der unter dem Veifalle der Mehrheit
andeutete, wenn aus den Maßregeln, welche die Negierung zur Sicherung der
Grenzen und der Interessen Preußens getroffen hatte, auswärtige Verwicklungen
entstehen sollten, so werde man dem Könige die Mittel zur Landesverteidigung
verweigern. Der Abgeordnete Waldeck verglich die zu jenen Maßregeln gehörige
Einstellung der preußischen Reserven mit dem Verkaufe der hessischen Landes¬
kinder an das die aufständischen Nordamerikaner bekämpfende England. Sybel
protestirte gegen eine Politik, welche Preußen „mit der Mitschuld an einer kolossalen,
von ganz Europa mit sittlicher Empörung betrachteten Menschenjagd belaste."
Die Herren mußten sich darauf unter andern Wahrheiten von Bismarck auch die
sagen lassen: „Die Neigung, sich für fremde Nationalbestrebungen auch dann zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/69>, abgerufen am 08.09.2024.