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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Davidsbiindler.

nicht eine eigene Zeitung gegen die Kritiker und fordern sie auf, gröber zu sein
gegen die Werke?" Florestans Anteil an dem Feldzuge der Davidsbündler ist
ein sehr reger. Die Kritiken aus seiner Feder sind fast durchweg höchst originell
eingekleidet, ihre Sprache kraftvoll und lebendig, Bilder und Reflexionen fließen
ihm ungesucht und bisweilen in solcher Fülle zu, daß er sich ihrer fast erwehren
muß und einmal zornig ausruft: "Ich kann vor Gedanken gar nicht auf die
eigentlichen kommen!" Eusebius fühlt sich durch Florestans Kraftworte oft ab¬
gestoßen. "In der Kirche soll man auf den Fußspitzen gehen, du aber, Florestan,
beleidigst mich durch dein grobes Auftreten." Bei allem Freimut, bei allem
Wahrheits- und Gerechtigkeitsgefühl ist doch mildere Nachsicht die vorwaltende
Grundstimmung seiner Kritiken. Er karessirt, wo Florestan grob dazwischen
fährt. Bisweilen platzen beide Geister auf einander. Wenn Eusebius in einem
Werke etwas gefunden hat, was nicht darin steht, und schon mit dem guten
Willen des Autors zufriedengestellt ist, da ja die ganze Richtung ein höheres
Streben zeigt, so persistirt Florestan die Rezension in einer zweiten. Dann
kommt als dritter -- Meister Raro, der Repräsentant der Mäßigung und des
besonnenen Ernstes, um zu besänftigen und auszugleichen. Raro ist ein ge¬
reifter Mann, voll Ruhe und Würde, der mit der Richtung der beiden Sprudel¬
köpfe sympathisirt, aber unablässig bemüht ist, sie zu zügeln, ihren Geschmack
zu läutern, ihnen den Wert einer schönen, klaren Form begreiflich zu machen
und ihren Blick für das zu schärfen, "was sich aus keinen Büchern, sondern
nur in stetem Verkehr mit Meistern und Meisterwerken lernen läßt." Raro
hat in den Kritiken stets das letzte Wort, seine Autorität ist unangefochten.
Diese dritte Figur ist nicht aus Schumanns Wesen; es steht fest, daß ursprünglich
Schumanns Lehrer, der alte Wieck, der Vater von Clara Schumann, damit ge¬
meint war.

Außer diesen drei phantastischen Gestalten, denen wenigstens zwei wirkliche
Personen, Schumann und Wieck, zu Grunde lagen, bestand aber nun der Davids-
bund noch aus einer großen Anzahl andrer, die, teilweise auch nnter poetischen
Namen, an der schriftstellerischen Thätigkeit Schumanns teilnahmen, teils nur dem
Bunde als Gesinnungsgenossen zugezählt wurden. Sie lebten teils in Leipzig,
teils außerhalb Leipzigs; und sofern die Leipziger gelegentlich zusammenkamen,
nicht bloß in Schumanns Kopfe, sondern greifbar und leibhaftig mit einander
verkehrten, mit einander musizirten und debattirten, kann von einem wirklichen,
realen Davidsbunde die Rede sein. Von den Namen, die übrigens Schumann
zu erteile" pflegte, find nicht alle gedeutet; auch hatten die Mitglieder wohl
nicht alle Bündlernamen, und endlich ist es sehr die Frage, ob ein vollständiges
Verzeichnis der Mitglieder jemals wird hergestellt werden können. Wie viele,
die mit Schumann und seinem Kreise in gelegentliche und vorübergehende Be¬
rührung kamen und sich dabei als Gleichstrebende und Gleichgesinnte enthüllten,
mögen als Davidsbündler willkommen geheißen worden sein! Ja wie mancher


Die Davidsbiindler.

nicht eine eigene Zeitung gegen die Kritiker und fordern sie auf, gröber zu sein
gegen die Werke?" Florestans Anteil an dem Feldzuge der Davidsbündler ist
ein sehr reger. Die Kritiken aus seiner Feder sind fast durchweg höchst originell
eingekleidet, ihre Sprache kraftvoll und lebendig, Bilder und Reflexionen fließen
ihm ungesucht und bisweilen in solcher Fülle zu, daß er sich ihrer fast erwehren
muß und einmal zornig ausruft: „Ich kann vor Gedanken gar nicht auf die
eigentlichen kommen!" Eusebius fühlt sich durch Florestans Kraftworte oft ab¬
gestoßen. „In der Kirche soll man auf den Fußspitzen gehen, du aber, Florestan,
beleidigst mich durch dein grobes Auftreten." Bei allem Freimut, bei allem
Wahrheits- und Gerechtigkeitsgefühl ist doch mildere Nachsicht die vorwaltende
Grundstimmung seiner Kritiken. Er karessirt, wo Florestan grob dazwischen
fährt. Bisweilen platzen beide Geister auf einander. Wenn Eusebius in einem
Werke etwas gefunden hat, was nicht darin steht, und schon mit dem guten
Willen des Autors zufriedengestellt ist, da ja die ganze Richtung ein höheres
Streben zeigt, so persistirt Florestan die Rezension in einer zweiten. Dann
kommt als dritter — Meister Raro, der Repräsentant der Mäßigung und des
besonnenen Ernstes, um zu besänftigen und auszugleichen. Raro ist ein ge¬
reifter Mann, voll Ruhe und Würde, der mit der Richtung der beiden Sprudel¬
köpfe sympathisirt, aber unablässig bemüht ist, sie zu zügeln, ihren Geschmack
zu läutern, ihnen den Wert einer schönen, klaren Form begreiflich zu machen
und ihren Blick für das zu schärfen, „was sich aus keinen Büchern, sondern
nur in stetem Verkehr mit Meistern und Meisterwerken lernen läßt." Raro
hat in den Kritiken stets das letzte Wort, seine Autorität ist unangefochten.
Diese dritte Figur ist nicht aus Schumanns Wesen; es steht fest, daß ursprünglich
Schumanns Lehrer, der alte Wieck, der Vater von Clara Schumann, damit ge¬
meint war.

Außer diesen drei phantastischen Gestalten, denen wenigstens zwei wirkliche
Personen, Schumann und Wieck, zu Grunde lagen, bestand aber nun der Davids-
bund noch aus einer großen Anzahl andrer, die, teilweise auch nnter poetischen
Namen, an der schriftstellerischen Thätigkeit Schumanns teilnahmen, teils nur dem
Bunde als Gesinnungsgenossen zugezählt wurden. Sie lebten teils in Leipzig,
teils außerhalb Leipzigs; und sofern die Leipziger gelegentlich zusammenkamen,
nicht bloß in Schumanns Kopfe, sondern greifbar und leibhaftig mit einander
verkehrten, mit einander musizirten und debattirten, kann von einem wirklichen,
realen Davidsbunde die Rede sein. Von den Namen, die übrigens Schumann
zu erteile» pflegte, find nicht alle gedeutet; auch hatten die Mitglieder wohl
nicht alle Bündlernamen, und endlich ist es sehr die Frage, ob ein vollständiges
Verzeichnis der Mitglieder jemals wird hergestellt werden können. Wie viele,
die mit Schumann und seinem Kreise in gelegentliche und vorübergehende Be¬
rührung kamen und sich dabei als Gleichstrebende und Gleichgesinnte enthüllten,
mögen als Davidsbündler willkommen geheißen worden sein! Ja wie mancher


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[0687] Die Davidsbiindler. nicht eine eigene Zeitung gegen die Kritiker und fordern sie auf, gröber zu sein gegen die Werke?" Florestans Anteil an dem Feldzuge der Davidsbündler ist ein sehr reger. Die Kritiken aus seiner Feder sind fast durchweg höchst originell eingekleidet, ihre Sprache kraftvoll und lebendig, Bilder und Reflexionen fließen ihm ungesucht und bisweilen in solcher Fülle zu, daß er sich ihrer fast erwehren muß und einmal zornig ausruft: „Ich kann vor Gedanken gar nicht auf die eigentlichen kommen!" Eusebius fühlt sich durch Florestans Kraftworte oft ab¬ gestoßen. „In der Kirche soll man auf den Fußspitzen gehen, du aber, Florestan, beleidigst mich durch dein grobes Auftreten." Bei allem Freimut, bei allem Wahrheits- und Gerechtigkeitsgefühl ist doch mildere Nachsicht die vorwaltende Grundstimmung seiner Kritiken. Er karessirt, wo Florestan grob dazwischen fährt. Bisweilen platzen beide Geister auf einander. Wenn Eusebius in einem Werke etwas gefunden hat, was nicht darin steht, und schon mit dem guten Willen des Autors zufriedengestellt ist, da ja die ganze Richtung ein höheres Streben zeigt, so persistirt Florestan die Rezension in einer zweiten. Dann kommt als dritter — Meister Raro, der Repräsentant der Mäßigung und des besonnenen Ernstes, um zu besänftigen und auszugleichen. Raro ist ein ge¬ reifter Mann, voll Ruhe und Würde, der mit der Richtung der beiden Sprudel¬ köpfe sympathisirt, aber unablässig bemüht ist, sie zu zügeln, ihren Geschmack zu läutern, ihnen den Wert einer schönen, klaren Form begreiflich zu machen und ihren Blick für das zu schärfen, „was sich aus keinen Büchern, sondern nur in stetem Verkehr mit Meistern und Meisterwerken lernen läßt." Raro hat in den Kritiken stets das letzte Wort, seine Autorität ist unangefochten. Diese dritte Figur ist nicht aus Schumanns Wesen; es steht fest, daß ursprünglich Schumanns Lehrer, der alte Wieck, der Vater von Clara Schumann, damit ge¬ meint war. Außer diesen drei phantastischen Gestalten, denen wenigstens zwei wirkliche Personen, Schumann und Wieck, zu Grunde lagen, bestand aber nun der Davids- bund noch aus einer großen Anzahl andrer, die, teilweise auch nnter poetischen Namen, an der schriftstellerischen Thätigkeit Schumanns teilnahmen, teils nur dem Bunde als Gesinnungsgenossen zugezählt wurden. Sie lebten teils in Leipzig, teils außerhalb Leipzigs; und sofern die Leipziger gelegentlich zusammenkamen, nicht bloß in Schumanns Kopfe, sondern greifbar und leibhaftig mit einander verkehrten, mit einander musizirten und debattirten, kann von einem wirklichen, realen Davidsbunde die Rede sein. Von den Namen, die übrigens Schumann zu erteile» pflegte, find nicht alle gedeutet; auch hatten die Mitglieder wohl nicht alle Bündlernamen, und endlich ist es sehr die Frage, ob ein vollständiges Verzeichnis der Mitglieder jemals wird hergestellt werden können. Wie viele, die mit Schumann und seinem Kreise in gelegentliche und vorübergehende Be¬ rührung kamen und sich dabei als Gleichstrebende und Gleichgesinnte enthüllten, mögen als Davidsbündler willkommen geheißen worden sein! Ja wie mancher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/687>, abgerufen am 08.09.2024.