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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Davidslmndler.

den Entschluß, ein neues Organ zu gründen, "zum Angriff gegen die verkühlte
kritische Sprechweise, gegen den Geist der Unentschiedenheit, der sich den Schein
von Unparteilichkeit gab, um seine Charakterlosigkeit zu verbergen/' So ent¬
stand nach Beseitigung mancher Schwierigkeiten im April 1834 die "Neue Zeit¬
schrift für Musik," zuerst veröffentlicht "durch einen Verein von Künstlern und
Kunstfreunden," und redigirt von Schurke, Schumann, Wicck und Knorr, vom
Jahre 1835 an aber von Schumann allein herausgegeben.

Die ersten Jahrgänge dieser Zeitschrift, in denen Schumann ihr seine volle
Kraft widmete, gehören zu den hervorragendsten Erscheinungen der deutschen
Journalistik. Schumann selbst war in hohem Maße zum Kritiker befähigt.
Geistvoll, kenntnisreich, belesen, eine poetische Natur, durchdrungen von edelster
Auffassung der Kunst, voll jugendlichen Feuereifers, furchtlos und dabei doch
von größter Bescheidenheit und unbestechlicher Wahrheitsliebe, feierte er mit
wärmster Teilnahme jede tüchtige Leistung, ermunterte jedes Talent, das er auf
das Edle in der Kunst gerichtet sah, und ging mit schonungslosem Freimut
vor, wo er die Würde der Kunst beleidigt glaubte. Wundervoll hat Lißt einmal
kurz nach Schumanns Tode (1833) über Schumann den Kritiker geschrieben.
Er sagt von ihm: "Schumann erscheint uns gut und liebevoll wie jede höhere
Persönlichkeit, geistreich und voll Laune wie ein wirklicher Künstler, mit einer
Vorliebe für Abschweifendes und Überraschendes, die den Dichter bezeichnet, vor
allem aber und über alles als rechtschaffener Mensch in seinen Überzeugungen
und der Art, wie er sie vertritt. Seine Kritik liefert ein schönes Beispiel eines
prinzipiell strengen, faktisch wohlwollenden Geistes, der anspruchsvoll für die
Kunst, nachsichtig für die Künstler ist, der gern aus seiner Heimat in den Wolken¬
schichten als freundlicher Gast in bescheidnen Niederungen einkehrt, den: Viel¬
wollenden vieles verzeiht, redliche Gesinnung und beharrliches Streben ermun¬
tert, sich mutig und voll Zorn gegen reiche Geister erhebt, die ihren Reichtum
nicht zum alleinigen Nutzen der Kunst verwenden Wollen, der selbst im Tadel
sauft ist gegen Schwache und im Lobe selbst gebieterisch gegen Erfolgreiche --
ehrlich aber gegen alle." In der That: Aufsätze und Rezensionen wie die,
welche Schumann damals in seiner Zeitschrift schrieb, sind wohl kaum von jemand
wieder geschrieben worden. Wie schal und geistlos mutet uns alles an, was
die handwerksmäßige musikalische Kritik unsrer Tage, die obendrein, was zu
Rellstabs und Fluth Zeiten nicht der Fall war, tief in Koteriewesen versunken
ist, wieder produzirt! Was würde Schumann sagen, wenn er die Unsumme
von Unsinn erlebt hätte, welche in seiner eignen Zeitschrift -- die ja uoch
heute fortvegetire -- allein über Lißt nud Wagner in den letzten zwanzig Jahren
zu Tage gefördert worden ist!

Als Tendenz der neuen Zeitschrift stellte es Schumann hin, daß sie "die
ältere Zeit anerkennen, die nächstvergangne als eine uuküustlerische bekämpfen,
die kommende als eine neue, poetische vorbereiten und beschleunigen helfen solle."


Die Davidslmndler.

den Entschluß, ein neues Organ zu gründen, „zum Angriff gegen die verkühlte
kritische Sprechweise, gegen den Geist der Unentschiedenheit, der sich den Schein
von Unparteilichkeit gab, um seine Charakterlosigkeit zu verbergen/' So ent¬
stand nach Beseitigung mancher Schwierigkeiten im April 1834 die „Neue Zeit¬
schrift für Musik," zuerst veröffentlicht „durch einen Verein von Künstlern und
Kunstfreunden," und redigirt von Schurke, Schumann, Wicck und Knorr, vom
Jahre 1835 an aber von Schumann allein herausgegeben.

Die ersten Jahrgänge dieser Zeitschrift, in denen Schumann ihr seine volle
Kraft widmete, gehören zu den hervorragendsten Erscheinungen der deutschen
Journalistik. Schumann selbst war in hohem Maße zum Kritiker befähigt.
Geistvoll, kenntnisreich, belesen, eine poetische Natur, durchdrungen von edelster
Auffassung der Kunst, voll jugendlichen Feuereifers, furchtlos und dabei doch
von größter Bescheidenheit und unbestechlicher Wahrheitsliebe, feierte er mit
wärmster Teilnahme jede tüchtige Leistung, ermunterte jedes Talent, das er auf
das Edle in der Kunst gerichtet sah, und ging mit schonungslosem Freimut
vor, wo er die Würde der Kunst beleidigt glaubte. Wundervoll hat Lißt einmal
kurz nach Schumanns Tode (1833) über Schumann den Kritiker geschrieben.
Er sagt von ihm: „Schumann erscheint uns gut und liebevoll wie jede höhere
Persönlichkeit, geistreich und voll Laune wie ein wirklicher Künstler, mit einer
Vorliebe für Abschweifendes und Überraschendes, die den Dichter bezeichnet, vor
allem aber und über alles als rechtschaffener Mensch in seinen Überzeugungen
und der Art, wie er sie vertritt. Seine Kritik liefert ein schönes Beispiel eines
prinzipiell strengen, faktisch wohlwollenden Geistes, der anspruchsvoll für die
Kunst, nachsichtig für die Künstler ist, der gern aus seiner Heimat in den Wolken¬
schichten als freundlicher Gast in bescheidnen Niederungen einkehrt, den: Viel¬
wollenden vieles verzeiht, redliche Gesinnung und beharrliches Streben ermun¬
tert, sich mutig und voll Zorn gegen reiche Geister erhebt, die ihren Reichtum
nicht zum alleinigen Nutzen der Kunst verwenden Wollen, der selbst im Tadel
sauft ist gegen Schwache und im Lobe selbst gebieterisch gegen Erfolgreiche —
ehrlich aber gegen alle." In der That: Aufsätze und Rezensionen wie die,
welche Schumann damals in seiner Zeitschrift schrieb, sind wohl kaum von jemand
wieder geschrieben worden. Wie schal und geistlos mutet uns alles an, was
die handwerksmäßige musikalische Kritik unsrer Tage, die obendrein, was zu
Rellstabs und Fluth Zeiten nicht der Fall war, tief in Koteriewesen versunken
ist, wieder produzirt! Was würde Schumann sagen, wenn er die Unsumme
von Unsinn erlebt hätte, welche in seiner eignen Zeitschrift — die ja uoch
heute fortvegetire — allein über Lißt nud Wagner in den letzten zwanzig Jahren
zu Tage gefördert worden ist!

Als Tendenz der neuen Zeitschrift stellte es Schumann hin, daß sie „die
ältere Zeit anerkennen, die nächstvergangne als eine uuküustlerische bekämpfen,
die kommende als eine neue, poetische vorbereiten und beschleunigen helfen solle."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/685>, abgerufen am 08.09.2024.