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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Dcividsbiindler.

wieder ängstlich die Vorrede auf, um sich von dem Sinn der eben gebrauchten
Sorte zu vergewissern, denn merken kann man sich so etwas beim besten Willen
nicht. Kaum aber hat man sich glücklich darüber belehrt, so stößt man wieder
auf eine Ziffer, die auf eine der 234 am Schlüsse des Buches befindlichen An¬
merkungen hinweist, und blättert als gewissenhafter Leser nun wieder hinten
auf. Kurz, der Verfasser hat einem den Genuß seines Buches durch diese
Äußerlichkeiten recht sauer gemacht, und es würde uns garnicht wundern, wenn
demnächst ein Buchmacher a ig. Neißmann oder eine jener federflinken mnsik-
schriftstellernden Damen, deren es jetzt mehrere giebt, sich über Jcmscns Arbeit
hermachte, sie zu einem glattgeschriebenen Büchlein ausschlachtete und dann
stolz hinträte und sagte: Sieh, du bist der Kärrner gewesen, der mir das Ma¬
terial zugefahren hat; ich bin der König gewesen, der gebaut hat. Und wie
leid sollte uns das thun!

Aber lassen wir die Form, und halten wir uns an den reichen Inhalt
des Buches -- Perlen und Goldkörner aus jeder Seite! Welche Fülle inter¬
essanter Einzelheiten steckt allein in den ersten Kapiteln, die über die schrift¬
stellerische Thätigkeit Schumanns handeln und die dem Buche den ersten seiner
beiden Titel gegeben haben!

Die Veranlassung, daß Schumann als musikalischer Schriftsteller auftrat,
lag in der Verflachung. die nach Beethovens Tode in der musikalischen Pro¬
duktiv"! eingetreten war, und die von der musikalischen Kritik jener Zeit förm¬
lich gehätschelt wurde. Namentlich in der Klaviermusik galt nur das ordinär
Sentimentale und das äußerlich Brillante -- so wie es in der Salonmnsik
für den großen Haufen ja bis auf den heutigen Tag geblieben ist. Herz und
Hunden überschwemmten den musikalischen Markt mit Variationen, und "Legionen
von Mädchen hatten sich in Czerny verliebt." Schumann wurde bei seiner
tiefpoetischcn Anlage mit dem größten Widerwillen gegen dieses Musiktreiben
erfüllt, er lebte in Bach, Beethoven und Schubert, und als er 1830 zuerst ein
Werk des neuauftretcnden Chopin kennen lernte, sandte er eine begeisterte Be¬
sprechung desselben an Fink, den Redakteur der Leipziger "Allgemeinen musi¬
kalischen Zeitung," die dieser auch zum Abdruck brachte, aber nicht ohne eine
sauersüße Bemerkung vorausgeschickt zu haben. Dies Debüt mochte Schumann
die Lust zu weitern Zusendungen benehmen, und da auch Rellstab, der Redakteur
der "Iris" und der Diktator Berlins in Fragen des musikalischen Geschmacks,
kein Mann nach seinein Sinne war, so wandte er sich zunächst an ein belletri¬
stisches Blatt, den "Kometen" Herloßsohns, als er sich gelegentlich wieder zum
Schreiben gedrängt fühlte. Endlich aber, als er immer häufiger die Erfahrung
machte, daß wirkliche Talente, die neu aufgetaucht waren, von der zünftigen
Kritik entweder philiströs beurteilt oder ganz totgeschwiegen wurden, und immer
mehr zu der Überzeugung kam, daß ihm und seinen Gesinnungsgenossen die
Spalten der bestehenden Musikzeitungen sich schwerlich öffnen würden, faßte er


Die Dcividsbiindler.

wieder ängstlich die Vorrede auf, um sich von dem Sinn der eben gebrauchten
Sorte zu vergewissern, denn merken kann man sich so etwas beim besten Willen
nicht. Kaum aber hat man sich glücklich darüber belehrt, so stößt man wieder
auf eine Ziffer, die auf eine der 234 am Schlüsse des Buches befindlichen An¬
merkungen hinweist, und blättert als gewissenhafter Leser nun wieder hinten
auf. Kurz, der Verfasser hat einem den Genuß seines Buches durch diese
Äußerlichkeiten recht sauer gemacht, und es würde uns garnicht wundern, wenn
demnächst ein Buchmacher a ig. Neißmann oder eine jener federflinken mnsik-
schriftstellernden Damen, deren es jetzt mehrere giebt, sich über Jcmscns Arbeit
hermachte, sie zu einem glattgeschriebenen Büchlein ausschlachtete und dann
stolz hinträte und sagte: Sieh, du bist der Kärrner gewesen, der mir das Ma¬
terial zugefahren hat; ich bin der König gewesen, der gebaut hat. Und wie
leid sollte uns das thun!

Aber lassen wir die Form, und halten wir uns an den reichen Inhalt
des Buches — Perlen und Goldkörner aus jeder Seite! Welche Fülle inter¬
essanter Einzelheiten steckt allein in den ersten Kapiteln, die über die schrift¬
stellerische Thätigkeit Schumanns handeln und die dem Buche den ersten seiner
beiden Titel gegeben haben!

Die Veranlassung, daß Schumann als musikalischer Schriftsteller auftrat,
lag in der Verflachung. die nach Beethovens Tode in der musikalischen Pro¬
duktiv»! eingetreten war, und die von der musikalischen Kritik jener Zeit förm¬
lich gehätschelt wurde. Namentlich in der Klaviermusik galt nur das ordinär
Sentimentale und das äußerlich Brillante — so wie es in der Salonmnsik
für den großen Haufen ja bis auf den heutigen Tag geblieben ist. Herz und
Hunden überschwemmten den musikalischen Markt mit Variationen, und „Legionen
von Mädchen hatten sich in Czerny verliebt." Schumann wurde bei seiner
tiefpoetischcn Anlage mit dem größten Widerwillen gegen dieses Musiktreiben
erfüllt, er lebte in Bach, Beethoven und Schubert, und als er 1830 zuerst ein
Werk des neuauftretcnden Chopin kennen lernte, sandte er eine begeisterte Be¬
sprechung desselben an Fink, den Redakteur der Leipziger „Allgemeinen musi¬
kalischen Zeitung," die dieser auch zum Abdruck brachte, aber nicht ohne eine
sauersüße Bemerkung vorausgeschickt zu haben. Dies Debüt mochte Schumann
die Lust zu weitern Zusendungen benehmen, und da auch Rellstab, der Redakteur
der „Iris" und der Diktator Berlins in Fragen des musikalischen Geschmacks,
kein Mann nach seinein Sinne war, so wandte er sich zunächst an ein belletri¬
stisches Blatt, den „Kometen" Herloßsohns, als er sich gelegentlich wieder zum
Schreiben gedrängt fühlte. Endlich aber, als er immer häufiger die Erfahrung
machte, daß wirkliche Talente, die neu aufgetaucht waren, von der zünftigen
Kritik entweder philiströs beurteilt oder ganz totgeschwiegen wurden, und immer
mehr zu der Überzeugung kam, daß ihm und seinen Gesinnungsgenossen die
Spalten der bestehenden Musikzeitungen sich schwerlich öffnen würden, faßte er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/684>, abgerufen am 08.09.2024.