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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Rarl Rnaakes Luther-Ausgabe.

Wenn diese Frage in Beziehung auf einen Heros, der für Lessing "einer
der größten Männer" war, "die jemals die Welt gesehen hat," den Lessing "der
Gefahr nahe war, zu vergöttern,"*) in dem auch einer der Gegner "den ge¬
waltigsten Volksmann, den populärsten Charakter, den Deutschland je besessen,"**)
erkannte, wenn, sage ich, diese Frage in Beziehung auf einen solchen Heros auch
nur aufgeworfen werden kann, so ist dies der bis in unsre Zeit fortwirkenden
Ursache zuzuschreiben, daß Luther in den weitern Kreisen der Gebildeten zu aus¬
schließlich als theologischer Lehrer aufgefaßt worden ist und daß demzufolge zu
wenig gewürdigt zu werden pflegte, welche Wirkungen dasjenige, was er auf
kirchlichem Gebiete gethan, auf die gesamte nationale Entwicklung des deutschen
Volkes, ja auf die Entwicklung der gesamten europäischen Kultur ausgeübt hat.
Da Luther, indem er eine festbegründete kirchliche Schöpfung hinterließ, durch
das, was er schuf, allen ferneren Neugestaltungen und daher auch Verbesserungen
des Kirchenwesens notwendigerweise zugleich hemmend entgegenwirken mußte, so
empfanden auch solche, welche auf dem Boden standen, den er bereitet hatte, nicht
selten mehr den Gegensatz, welcher sie von ihm trennte, als das Gemeinsame,
was sie mit ihm verband. Vielleicht ist es einem Zeitalter, das dem deutschen
Volke eine politische Reformation gebracht hat, die mit der kirchlichen Refor¬
mation des sechzehnten Jahrhunderts in unverkennbarem Zusammenhange steht,
vorbehalte", sein Bild nach den schädlichen Einflüssen, welche es vorübergehend
zu trüben imstande waren, für das nationale Bewußtsein in seiner vollen Rein¬
heit wieder aufleben zu lassen. Eine Zeit nationalen Aufschwunges, wie die
unsrige ist, pflegt auf die Belebung des historischen Sinnes überaus förderlich
einzuwirken; sie erweckt die hingebende Liebe zu den Helden der Vergangenheit,
ohne welche sich eine erschöpfende Erkenntnis ihres ganzen persönlichen Wesens,
ein volles Verständnis für alle Richtungen der von ihnen entfalteten Thätigkeit
nicht zu entwickeln vermag.

Die deutsche Nation darf mit gerechtem Stolze auf den neu verjüngten
Zustand blicken, in welchem sie die wiederkehrende Säkularfeier der Geburt
Luthers antrifft. Dieses Zustandes der Nation ist es würdig, wenn unsre Zeit
sich selbst ein ruhmvolles Denkmal zu stiften im Begriffe steht, indem sie sich
anschickt, dem Wirken Luthers ein solches in einer neuen Ausgabe seiner Schriften
zu errichten. "Luthers Werke, sagt der treffliche Karl Hase,***) sind sogut ein
deutsches Nationaldenkmal als der Kölner Dom." Jeder kundige weiß, daß
dieses Wort in diesen: Munde nicht wie ein flüchtiger Einfall, sondern als der
Ausdruck einer durch eindringende Forschung gewonnenen, wohlbegründeten An-





Briefe aus dem zweiten Teile der Schriften 17S3: Lessings Werke, Hempelsche Aus¬
nabe, Th, 8, S. 169.
**) Döllinger, Kirche und Kirchen. München 1861, S. 10.
***) In der Vorrede zur achten Auflage seiner "Kirchengeschichte."
Rarl Rnaakes Luther-Ausgabe.

Wenn diese Frage in Beziehung auf einen Heros, der für Lessing „einer
der größten Männer" war, „die jemals die Welt gesehen hat," den Lessing „der
Gefahr nahe war, zu vergöttern,"*) in dem auch einer der Gegner „den ge¬
waltigsten Volksmann, den populärsten Charakter, den Deutschland je besessen,"**)
erkannte, wenn, sage ich, diese Frage in Beziehung auf einen solchen Heros auch
nur aufgeworfen werden kann, so ist dies der bis in unsre Zeit fortwirkenden
Ursache zuzuschreiben, daß Luther in den weitern Kreisen der Gebildeten zu aus¬
schließlich als theologischer Lehrer aufgefaßt worden ist und daß demzufolge zu
wenig gewürdigt zu werden pflegte, welche Wirkungen dasjenige, was er auf
kirchlichem Gebiete gethan, auf die gesamte nationale Entwicklung des deutschen
Volkes, ja auf die Entwicklung der gesamten europäischen Kultur ausgeübt hat.
Da Luther, indem er eine festbegründete kirchliche Schöpfung hinterließ, durch
das, was er schuf, allen ferneren Neugestaltungen und daher auch Verbesserungen
des Kirchenwesens notwendigerweise zugleich hemmend entgegenwirken mußte, so
empfanden auch solche, welche auf dem Boden standen, den er bereitet hatte, nicht
selten mehr den Gegensatz, welcher sie von ihm trennte, als das Gemeinsame,
was sie mit ihm verband. Vielleicht ist es einem Zeitalter, das dem deutschen
Volke eine politische Reformation gebracht hat, die mit der kirchlichen Refor¬
mation des sechzehnten Jahrhunderts in unverkennbarem Zusammenhange steht,
vorbehalte», sein Bild nach den schädlichen Einflüssen, welche es vorübergehend
zu trüben imstande waren, für das nationale Bewußtsein in seiner vollen Rein¬
heit wieder aufleben zu lassen. Eine Zeit nationalen Aufschwunges, wie die
unsrige ist, pflegt auf die Belebung des historischen Sinnes überaus förderlich
einzuwirken; sie erweckt die hingebende Liebe zu den Helden der Vergangenheit,
ohne welche sich eine erschöpfende Erkenntnis ihres ganzen persönlichen Wesens,
ein volles Verständnis für alle Richtungen der von ihnen entfalteten Thätigkeit
nicht zu entwickeln vermag.

Die deutsche Nation darf mit gerechtem Stolze auf den neu verjüngten
Zustand blicken, in welchem sie die wiederkehrende Säkularfeier der Geburt
Luthers antrifft. Dieses Zustandes der Nation ist es würdig, wenn unsre Zeit
sich selbst ein ruhmvolles Denkmal zu stiften im Begriffe steht, indem sie sich
anschickt, dem Wirken Luthers ein solches in einer neuen Ausgabe seiner Schriften
zu errichten. „Luthers Werke, sagt der treffliche Karl Hase,***) sind sogut ein
deutsches Nationaldenkmal als der Kölner Dom." Jeder kundige weiß, daß
dieses Wort in diesen: Munde nicht wie ein flüchtiger Einfall, sondern als der
Ausdruck einer durch eindringende Forschung gewonnenen, wohlbegründeten An-





Briefe aus dem zweiten Teile der Schriften 17S3: Lessings Werke, Hempelsche Aus¬
nabe, Th, 8, S. 169.
**) Döllinger, Kirche und Kirchen. München 1861, S. 10.
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[0676] Rarl Rnaakes Luther-Ausgabe. Wenn diese Frage in Beziehung auf einen Heros, der für Lessing „einer der größten Männer" war, „die jemals die Welt gesehen hat," den Lessing „der Gefahr nahe war, zu vergöttern,"*) in dem auch einer der Gegner „den ge¬ waltigsten Volksmann, den populärsten Charakter, den Deutschland je besessen,"**) erkannte, wenn, sage ich, diese Frage in Beziehung auf einen solchen Heros auch nur aufgeworfen werden kann, so ist dies der bis in unsre Zeit fortwirkenden Ursache zuzuschreiben, daß Luther in den weitern Kreisen der Gebildeten zu aus¬ schließlich als theologischer Lehrer aufgefaßt worden ist und daß demzufolge zu wenig gewürdigt zu werden pflegte, welche Wirkungen dasjenige, was er auf kirchlichem Gebiete gethan, auf die gesamte nationale Entwicklung des deutschen Volkes, ja auf die Entwicklung der gesamten europäischen Kultur ausgeübt hat. Da Luther, indem er eine festbegründete kirchliche Schöpfung hinterließ, durch das, was er schuf, allen ferneren Neugestaltungen und daher auch Verbesserungen des Kirchenwesens notwendigerweise zugleich hemmend entgegenwirken mußte, so empfanden auch solche, welche auf dem Boden standen, den er bereitet hatte, nicht selten mehr den Gegensatz, welcher sie von ihm trennte, als das Gemeinsame, was sie mit ihm verband. Vielleicht ist es einem Zeitalter, das dem deutschen Volke eine politische Reformation gebracht hat, die mit der kirchlichen Refor¬ mation des sechzehnten Jahrhunderts in unverkennbarem Zusammenhange steht, vorbehalte», sein Bild nach den schädlichen Einflüssen, welche es vorübergehend zu trüben imstande waren, für das nationale Bewußtsein in seiner vollen Rein¬ heit wieder aufleben zu lassen. Eine Zeit nationalen Aufschwunges, wie die unsrige ist, pflegt auf die Belebung des historischen Sinnes überaus förderlich einzuwirken; sie erweckt die hingebende Liebe zu den Helden der Vergangenheit, ohne welche sich eine erschöpfende Erkenntnis ihres ganzen persönlichen Wesens, ein volles Verständnis für alle Richtungen der von ihnen entfalteten Thätigkeit nicht zu entwickeln vermag. Die deutsche Nation darf mit gerechtem Stolze auf den neu verjüngten Zustand blicken, in welchem sie die wiederkehrende Säkularfeier der Geburt Luthers antrifft. Dieses Zustandes der Nation ist es würdig, wenn unsre Zeit sich selbst ein ruhmvolles Denkmal zu stiften im Begriffe steht, indem sie sich anschickt, dem Wirken Luthers ein solches in einer neuen Ausgabe seiner Schriften zu errichten. „Luthers Werke, sagt der treffliche Karl Hase,***) sind sogut ein deutsches Nationaldenkmal als der Kölner Dom." Jeder kundige weiß, daß dieses Wort in diesen: Munde nicht wie ein flüchtiger Einfall, sondern als der Ausdruck einer durch eindringende Forschung gewonnenen, wohlbegründeten An- Briefe aus dem zweiten Teile der Schriften 17S3: Lessings Werke, Hempelsche Aus¬ nabe, Th, 8, S. 169. **) Döllinger, Kirche und Kirchen. München 1861, S. 10. ***) In der Vorrede zur achten Auflage seiner „Kirchengeschichte."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/676>, abgerufen am 08.09.2024.