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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Aus dem Schuldbuche der Fortschrittspartei.

Zwecken zu wählen hat, klarer erkannt als in dein Gebcchren der liberalen Oppo¬
sition damaliger Zeit.

Gegen Ende des Januar 1863 richtete die Mehrheit des preußischen Ab¬
geordnetenhauses eine Adresse an den König, in welcher dieser Körperschaft
Rechte vindizirt wurden, die sie teils garnicht, teils nicht allein besaß. Man
beanspruchte darin die Befugnis der zweiten Kammer, durch ihre alleinigen
Beschlüsse das Budget im ganzen und einzelnen endgiltig festzustellen, vom
Könige die Entlassung von Ministern zu fordern, den Bestand und die
Organisation des Heeres festzustellen und die Beziehungen der Exekutivgewalt
zu ihren Beamten maßgebend zu kontroliren. Das hieß einfach, dem königlichen
Hause die ihm verfassungsmäßig zustehenden Regierungsrechte abfordern und
sie der Mehrheit der Abgeordneten übertragen. Es wurde ferner behauptet,
die Minister hätten die Verfassung in Artikel 99 verletzt, in welchem es heiße:
Alle Einnahmen und Ausgaben des Staates müssen für jedes Jahr im Voraus
veranschlagt und auf den Staatshaushalts-Etat gebracht werden.

Bismarck erwiederte darauf, mit dieser Klage würde man Recht haben, wenn
es dann hieße, der Etat werde durch das Abgeordnetenhaus festgestellt; der
Artikel besage aber, dies habe durch ein Gesetz zu geschehen, und ein solches
komme nach Artikel 62 nur durch Übereinstimmung der Krone und der beiden
Kammern zustande. Nach der Verfassung wogen die Rechte dieser drei gesetz¬
gebenden Gewalten in allen Fragen, auch in der Budgetgesetzgebung, gleich
schwer, keine könne die andre zum Nachgeben zwingen, die Verfassung verweise
daher auf Kompromisse. "Wird, so fuhr er fort, der Kompromiß dadurch
vereitelt, daß eine der beteiligten Gewalten ihre eigne Ansicht mit doktrinärem
Absolutismus durchführen will, so tritt an die Stelle des Kompromisses ein
Konflikt, und Konflikte werden zu Machtfragen. Wer die Macht in den Händen
hat, geht dann in seinem Sinne vor, weil das Staatsleben auch nicht einen
Augenblick still stehen kann."

Das war ein Rat und eine Warnung, die aber von der Opposition falsch
aufgefaßt und sehr übel genommen wurde. Gneist sah darin "ein offnes Manifest
des Absolutismus, vor ganz Deutschland diesem Hause ins Gesicht gesprochen."
Graf Schwerin hatte in den zuletzt angeführten Sätzen des Ministerpräsidenten
die Ansicht entdeckt: "Macht geht vor Recht," verwahrte sich emphatisch dagegen
und meinte unter stürmischem Bravo der Versammlung, er "halte sie nicht für
einen Satz, der die-Dynastie in Preußen auf die Dauer stützen könne."

Von dieser Zeit an wurde" alle auswärtigen Leistungen der Regierung
von der Opposition ungünstig beurteilt, auch solche, welche zu dem liberalen
Programm stimmten. So ließ sich der Abgeordnete Schulze (Delitzsch), als
Bismarck im Juni 1863 in Hessen die Entlassung des unkonstitutionellen Mini¬
steriums und die Wiederherstellung der alten Verfassung herbeigeführt hatte, in
der Kammer folgendermaßen vernehmen: "Wenn es wirklich wahr ist, daß unser


Aus dem Schuldbuche der Fortschrittspartei.

Zwecken zu wählen hat, klarer erkannt als in dein Gebcchren der liberalen Oppo¬
sition damaliger Zeit.

Gegen Ende des Januar 1863 richtete die Mehrheit des preußischen Ab¬
geordnetenhauses eine Adresse an den König, in welcher dieser Körperschaft
Rechte vindizirt wurden, die sie teils garnicht, teils nicht allein besaß. Man
beanspruchte darin die Befugnis der zweiten Kammer, durch ihre alleinigen
Beschlüsse das Budget im ganzen und einzelnen endgiltig festzustellen, vom
Könige die Entlassung von Ministern zu fordern, den Bestand und die
Organisation des Heeres festzustellen und die Beziehungen der Exekutivgewalt
zu ihren Beamten maßgebend zu kontroliren. Das hieß einfach, dem königlichen
Hause die ihm verfassungsmäßig zustehenden Regierungsrechte abfordern und
sie der Mehrheit der Abgeordneten übertragen. Es wurde ferner behauptet,
die Minister hätten die Verfassung in Artikel 99 verletzt, in welchem es heiße:
Alle Einnahmen und Ausgaben des Staates müssen für jedes Jahr im Voraus
veranschlagt und auf den Staatshaushalts-Etat gebracht werden.

Bismarck erwiederte darauf, mit dieser Klage würde man Recht haben, wenn
es dann hieße, der Etat werde durch das Abgeordnetenhaus festgestellt; der
Artikel besage aber, dies habe durch ein Gesetz zu geschehen, und ein solches
komme nach Artikel 62 nur durch Übereinstimmung der Krone und der beiden
Kammern zustande. Nach der Verfassung wogen die Rechte dieser drei gesetz¬
gebenden Gewalten in allen Fragen, auch in der Budgetgesetzgebung, gleich
schwer, keine könne die andre zum Nachgeben zwingen, die Verfassung verweise
daher auf Kompromisse. „Wird, so fuhr er fort, der Kompromiß dadurch
vereitelt, daß eine der beteiligten Gewalten ihre eigne Ansicht mit doktrinärem
Absolutismus durchführen will, so tritt an die Stelle des Kompromisses ein
Konflikt, und Konflikte werden zu Machtfragen. Wer die Macht in den Händen
hat, geht dann in seinem Sinne vor, weil das Staatsleben auch nicht einen
Augenblick still stehen kann."

Das war ein Rat und eine Warnung, die aber von der Opposition falsch
aufgefaßt und sehr übel genommen wurde. Gneist sah darin „ein offnes Manifest
des Absolutismus, vor ganz Deutschland diesem Hause ins Gesicht gesprochen."
Graf Schwerin hatte in den zuletzt angeführten Sätzen des Ministerpräsidenten
die Ansicht entdeckt: „Macht geht vor Recht," verwahrte sich emphatisch dagegen
und meinte unter stürmischem Bravo der Versammlung, er „halte sie nicht für
einen Satz, der die-Dynastie in Preußen auf die Dauer stützen könne."

Von dieser Zeit an wurde» alle auswärtigen Leistungen der Regierung
von der Opposition ungünstig beurteilt, auch solche, welche zu dem liberalen
Programm stimmten. So ließ sich der Abgeordnete Schulze (Delitzsch), als
Bismarck im Juni 1863 in Hessen die Entlassung des unkonstitutionellen Mini¬
steriums und die Wiederherstellung der alten Verfassung herbeigeführt hatte, in
der Kammer folgendermaßen vernehmen: „Wenn es wirklich wahr ist, daß unser


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[0067] Aus dem Schuldbuche der Fortschrittspartei. Zwecken zu wählen hat, klarer erkannt als in dein Gebcchren der liberalen Oppo¬ sition damaliger Zeit. Gegen Ende des Januar 1863 richtete die Mehrheit des preußischen Ab¬ geordnetenhauses eine Adresse an den König, in welcher dieser Körperschaft Rechte vindizirt wurden, die sie teils garnicht, teils nicht allein besaß. Man beanspruchte darin die Befugnis der zweiten Kammer, durch ihre alleinigen Beschlüsse das Budget im ganzen und einzelnen endgiltig festzustellen, vom Könige die Entlassung von Ministern zu fordern, den Bestand und die Organisation des Heeres festzustellen und die Beziehungen der Exekutivgewalt zu ihren Beamten maßgebend zu kontroliren. Das hieß einfach, dem königlichen Hause die ihm verfassungsmäßig zustehenden Regierungsrechte abfordern und sie der Mehrheit der Abgeordneten übertragen. Es wurde ferner behauptet, die Minister hätten die Verfassung in Artikel 99 verletzt, in welchem es heiße: Alle Einnahmen und Ausgaben des Staates müssen für jedes Jahr im Voraus veranschlagt und auf den Staatshaushalts-Etat gebracht werden. Bismarck erwiederte darauf, mit dieser Klage würde man Recht haben, wenn es dann hieße, der Etat werde durch das Abgeordnetenhaus festgestellt; der Artikel besage aber, dies habe durch ein Gesetz zu geschehen, und ein solches komme nach Artikel 62 nur durch Übereinstimmung der Krone und der beiden Kammern zustande. Nach der Verfassung wogen die Rechte dieser drei gesetz¬ gebenden Gewalten in allen Fragen, auch in der Budgetgesetzgebung, gleich schwer, keine könne die andre zum Nachgeben zwingen, die Verfassung verweise daher auf Kompromisse. „Wird, so fuhr er fort, der Kompromiß dadurch vereitelt, daß eine der beteiligten Gewalten ihre eigne Ansicht mit doktrinärem Absolutismus durchführen will, so tritt an die Stelle des Kompromisses ein Konflikt, und Konflikte werden zu Machtfragen. Wer die Macht in den Händen hat, geht dann in seinem Sinne vor, weil das Staatsleben auch nicht einen Augenblick still stehen kann." Das war ein Rat und eine Warnung, die aber von der Opposition falsch aufgefaßt und sehr übel genommen wurde. Gneist sah darin „ein offnes Manifest des Absolutismus, vor ganz Deutschland diesem Hause ins Gesicht gesprochen." Graf Schwerin hatte in den zuletzt angeführten Sätzen des Ministerpräsidenten die Ansicht entdeckt: „Macht geht vor Recht," verwahrte sich emphatisch dagegen und meinte unter stürmischem Bravo der Versammlung, er „halte sie nicht für einen Satz, der die-Dynastie in Preußen auf die Dauer stützen könne." Von dieser Zeit an wurde» alle auswärtigen Leistungen der Regierung von der Opposition ungünstig beurteilt, auch solche, welche zu dem liberalen Programm stimmten. So ließ sich der Abgeordnete Schulze (Delitzsch), als Bismarck im Juni 1863 in Hessen die Entlassung des unkonstitutionellen Mini¬ steriums und die Wiederherstellung der alten Verfassung herbeigeführt hatte, in der Kammer folgendermaßen vernehmen: „Wenn es wirklich wahr ist, daß unser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/67>, abgerufen am 08.09.2024.