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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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28. April 1880 stellte der Abgeordnete Klotz (Landgerichtsrat in Berlin) an
der Spitze der Fortschrittspartei den Antrag, "Ermittlungen eintreten zulassen,
inwieweit die Gerichtskostentarife auf die Rechtspflege durch Verteuerung störend
einwirken." Ohne Zweifel zeigte sich damit wieder die Fortschrittspartei
(welche noch vor Jahresfrist für die höchsten Anwaltsgebühren wie ein Mann
gestimmt hatte) als die wahre Freundin des Volkes! Von allen Seiten er¬
hoben sich nun die Klagen über die Höhe der Kosten, und der Antrag Klotz wurde
fast einstimmig angenommen. Um aber keiner Verkennung zu unterliegen, hob
der Antragsteller ausdrücklich hervor, daß sein Antrag keinesfalls zum Nachteil
der Anwaltsgebühren ausschlagen dürfe, vielmehr das Staatsinteresse hinter dem
Interesse des Urwalds zurücktreten müsse.

Wiederum wurde die Sache bei der Etatsberatung vom 2. März 1881
zur Sprache gebracht, zunächst von dem sozialdemokratischen Abgeordneten Kayser.
Ihm schloß sich der Abgeordnete Wolffsvn an. Er trat besonders der Ansicht
entgegen, daß nur die geringen Prozesse zu stark belastet seien. Nein, auch die
höhern bedürften dringend einer Herabsetzung der Kosten. "Ich zweifle nicht,
daß von allen Seiten der Reichsregierung die Ansicht entgegengetragen sein
wird, daß der gegenwärtige Zustand ein wahrhaft unerträglicher ist, der in
manchen Fällen geradezu nu Rechtsverweigerung streift, indem die Betreffenden
genötigt sind, ihr bestrittenes Recht preiszugeben." So sprach derselbe Mann,
welcher zwei Jahre zuvor denen, welche diesen ganzen Zustand vorausgesagt
und deshalb die Anwaltsgebühren als zu hoch bekämpft hatten, mit der größten
Indignation begegnet war. Andrerseits aber wiesen doch nun die Abgeordneten
A. Reichensperger und Witte darauf hin, daß neben den Gerichtskosten nicht
minder die Anwaltsgebühren einer Revision bedürften, da auch in diesen "Un-
verhältnismäßigkeiten" hervorgetreten seien. Der Abgeordnete Witte kam be¬
sonders auf die kleinen Nebengebühren zu sprechen und sagte: "Wer in der
richterlichen Praxis lebt, muß es beklagen, daß die Kommission für die Anwalts-
gebührcnordnung den Rechtsanwälten Schreibgebühren und noch Emolumente
zugestanden hat, welche die Regierung ihnen nicht zugestehen wollte. Ich will
nur darauf hinweisen, daß mit einer knappen Majorität jener Kommission, die
ja -- ich kann es nur mit Bedauern aussprechen -- zum großen Teile aus
Rechtsanwälten zusammengesetzt war, entgegen der Vorlage der Regierung die
Schreib gebühren aufgenommen worden sind. Meine Herren, Sie sollten nur
einmal eine derartige Rechnung einsehen, und Sie würden sehen, wie sich das
zusammenläppert; es ist eine wahre Apothekerrechnung; und gerade eine der¬
artige Rechnung macht böses Blut, nicht so sehr wegen des ganzen Bausch-
aucmtnms, sondern wegen alles dessen, was daran hängt und die Sache schlie߬
lich erheblich anschwellen macht. Das verbittert die Leute am meisten."

Der Vorstand des Reichsjustizamts konnte diesen Klagen gegenüber er¬
klären, daß bereits ein Gesetzentwurf zur Abminderung der Gerichtskosten


28. April 1880 stellte der Abgeordnete Klotz (Landgerichtsrat in Berlin) an
der Spitze der Fortschrittspartei den Antrag, „Ermittlungen eintreten zulassen,
inwieweit die Gerichtskostentarife auf die Rechtspflege durch Verteuerung störend
einwirken." Ohne Zweifel zeigte sich damit wieder die Fortschrittspartei
(welche noch vor Jahresfrist für die höchsten Anwaltsgebühren wie ein Mann
gestimmt hatte) als die wahre Freundin des Volkes! Von allen Seiten er¬
hoben sich nun die Klagen über die Höhe der Kosten, und der Antrag Klotz wurde
fast einstimmig angenommen. Um aber keiner Verkennung zu unterliegen, hob
der Antragsteller ausdrücklich hervor, daß sein Antrag keinesfalls zum Nachteil
der Anwaltsgebühren ausschlagen dürfe, vielmehr das Staatsinteresse hinter dem
Interesse des Urwalds zurücktreten müsse.

Wiederum wurde die Sache bei der Etatsberatung vom 2. März 1881
zur Sprache gebracht, zunächst von dem sozialdemokratischen Abgeordneten Kayser.
Ihm schloß sich der Abgeordnete Wolffsvn an. Er trat besonders der Ansicht
entgegen, daß nur die geringen Prozesse zu stark belastet seien. Nein, auch die
höhern bedürften dringend einer Herabsetzung der Kosten. „Ich zweifle nicht,
daß von allen Seiten der Reichsregierung die Ansicht entgegengetragen sein
wird, daß der gegenwärtige Zustand ein wahrhaft unerträglicher ist, der in
manchen Fällen geradezu nu Rechtsverweigerung streift, indem die Betreffenden
genötigt sind, ihr bestrittenes Recht preiszugeben." So sprach derselbe Mann,
welcher zwei Jahre zuvor denen, welche diesen ganzen Zustand vorausgesagt
und deshalb die Anwaltsgebühren als zu hoch bekämpft hatten, mit der größten
Indignation begegnet war. Andrerseits aber wiesen doch nun die Abgeordneten
A. Reichensperger und Witte darauf hin, daß neben den Gerichtskosten nicht
minder die Anwaltsgebühren einer Revision bedürften, da auch in diesen „Un-
verhältnismäßigkeiten" hervorgetreten seien. Der Abgeordnete Witte kam be¬
sonders auf die kleinen Nebengebühren zu sprechen und sagte: „Wer in der
richterlichen Praxis lebt, muß es beklagen, daß die Kommission für die Anwalts-
gebührcnordnung den Rechtsanwälten Schreibgebühren und noch Emolumente
zugestanden hat, welche die Regierung ihnen nicht zugestehen wollte. Ich will
nur darauf hinweisen, daß mit einer knappen Majorität jener Kommission, die
ja — ich kann es nur mit Bedauern aussprechen — zum großen Teile aus
Rechtsanwälten zusammengesetzt war, entgegen der Vorlage der Regierung die
Schreib gebühren aufgenommen worden sind. Meine Herren, Sie sollten nur
einmal eine derartige Rechnung einsehen, und Sie würden sehen, wie sich das
zusammenläppert; es ist eine wahre Apothekerrechnung; und gerade eine der¬
artige Rechnung macht böses Blut, nicht so sehr wegen des ganzen Bausch-
aucmtnms, sondern wegen alles dessen, was daran hängt und die Sache schlie߬
lich erheblich anschwellen macht. Das verbittert die Leute am meisten."

Der Vorstand des Reichsjustizamts konnte diesen Klagen gegenüber er¬
klären, daß bereits ein Gesetzentwurf zur Abminderung der Gerichtskosten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/663>, abgerufen am 08.09.2024.