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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Der Streit zwischen Frankreich und China.

nicht geliebt und auch nicht besonders mehr gefürchtet, und stets hat ein Streit
Chinas mit irgend einer westlichen Macht zur Folge, daß der Chinese die Em¬
pfindungen, die ihm sein einzelner Gegner bei dieser Gelegenheit einflößt, auf
alle Europäer ohne Unterschied überträgt. Die französische Regierung kann
daher ersucht werden, sich die Verantwortlichkeit klar zu machen, der sie sich
aussetzt, wenn sie die Aufregung, welche ihr Streit mit dem Reiche der himm¬
lischen Mitte hervorgerufen hat, unnötigerweise Woche um Woche verlängert,
und leine Zeit zu verlieren, sich durch ihren englischen Vermittler Gewißheit
zu verschaffen, ob diese den Frieden gefährdende Streitigkeit sich nicht in ehren¬
voller Art beilegen läßt. Niemand oder wenigstens niemand außerhalb des
Kreises der französischen Chauvinisten wird glauben, daß es wirklich erhebliche
und nicht zu umgehende Schwierigkeiten habe, die vernünftigen Ansprüche Frank¬
reichs mit den gerechten Forderungen Chinas zu versöhnen. Das Verlangen
des letztern geht, wenn man von der Abgrenzungsfrage absieht, nur auf eine
formelle oder nominelle, keineswegs auf eine thatsächliche Oberherrlichkeit über
Arran, und man könnte ihm hier reichlich Genugthuung zuteil werden lassen,
ohne irgend etwas in Betreff der materiellen Interessen, des Handels und der
Kolonisation, opfern zu müssen, um die es den Franzosen angeblich in erster
Reihe zu thun ist. Hätte man nicht mit unnötiger Überstürzung den Vertrag
von Huc abgeschlossen, so wäre es wahrscheinlich zu gar keinem Zusammenstoße
der Ansprüche beider Mächte gekommen. China hätte dem französischen Interesse
alle Zugeständnisse machen, und Frankreich hätte dem Selbstgefühl der Chinesen
alle Befriedigung gewähren können, welche die Lage erforderte. Durch die Gut¬
heißung des zu weitgreifenden Harmandschen Vertrags hat die französische Re¬
gierung sich in die Lage gebracht, nicht bloß mehr fordern zu müssen, als man
in Peking zu gewähren geneigt ist, sondern auch mehr, als sie selbst bedarf.
Der Mißgriff war ohne Zweifel ein recht unglücklicher für sie; denn erstens
wurde, selbst wenn man die Sache vom französischen Standpunkte aus beur¬
teilte, zuviel des Guten geleistet, und zweitens wurde der Fehler dadurch ver¬
schlimmert, daß man ihn zu unrechter Zeit beging. Nichtsdestoweniger würde
es geradezu ungeheuerlich sein, wenn man sich bloß deshalb, weil man Anstand
nehmen zu müssen meint, einen Irrtum in seinen Berechnungen und einen vor¬
schnellen Schritt einzugestehen und wieder gut zu machen, in einen großen Krieg
stürzen wollte, der schweres Geld kosten und im besten Falle wenig mehr ein¬
bringen würde als militärischen Ruhm.

Mehr als einen Rat zu nochmaliger Überlegung und zur Mäßigung geben,
kann England in Paris nicht thun. Sein eignes Interesse bei der Vermeidung
eines Krieges mit China zu betonen, wird es unterlassen müssen, und ebenso
wird es von dem Verlangen abzusehen haben, daß Frankreich sich im voraus
ausdrücklich verpflichte, den guten Rat des Londoner Kabinets in seinen Einzel¬
heiten zu befolgen. Das letztere würde nicht auf Vermittlung, sondern auf ein


Der Streit zwischen Frankreich und China.

nicht geliebt und auch nicht besonders mehr gefürchtet, und stets hat ein Streit
Chinas mit irgend einer westlichen Macht zur Folge, daß der Chinese die Em¬
pfindungen, die ihm sein einzelner Gegner bei dieser Gelegenheit einflößt, auf
alle Europäer ohne Unterschied überträgt. Die französische Regierung kann
daher ersucht werden, sich die Verantwortlichkeit klar zu machen, der sie sich
aussetzt, wenn sie die Aufregung, welche ihr Streit mit dem Reiche der himm¬
lischen Mitte hervorgerufen hat, unnötigerweise Woche um Woche verlängert,
und leine Zeit zu verlieren, sich durch ihren englischen Vermittler Gewißheit
zu verschaffen, ob diese den Frieden gefährdende Streitigkeit sich nicht in ehren¬
voller Art beilegen läßt. Niemand oder wenigstens niemand außerhalb des
Kreises der französischen Chauvinisten wird glauben, daß es wirklich erhebliche
und nicht zu umgehende Schwierigkeiten habe, die vernünftigen Ansprüche Frank¬
reichs mit den gerechten Forderungen Chinas zu versöhnen. Das Verlangen
des letztern geht, wenn man von der Abgrenzungsfrage absieht, nur auf eine
formelle oder nominelle, keineswegs auf eine thatsächliche Oberherrlichkeit über
Arran, und man könnte ihm hier reichlich Genugthuung zuteil werden lassen,
ohne irgend etwas in Betreff der materiellen Interessen, des Handels und der
Kolonisation, opfern zu müssen, um die es den Franzosen angeblich in erster
Reihe zu thun ist. Hätte man nicht mit unnötiger Überstürzung den Vertrag
von Huc abgeschlossen, so wäre es wahrscheinlich zu gar keinem Zusammenstoße
der Ansprüche beider Mächte gekommen. China hätte dem französischen Interesse
alle Zugeständnisse machen, und Frankreich hätte dem Selbstgefühl der Chinesen
alle Befriedigung gewähren können, welche die Lage erforderte. Durch die Gut¬
heißung des zu weitgreifenden Harmandschen Vertrags hat die französische Re¬
gierung sich in die Lage gebracht, nicht bloß mehr fordern zu müssen, als man
in Peking zu gewähren geneigt ist, sondern auch mehr, als sie selbst bedarf.
Der Mißgriff war ohne Zweifel ein recht unglücklicher für sie; denn erstens
wurde, selbst wenn man die Sache vom französischen Standpunkte aus beur¬
teilte, zuviel des Guten geleistet, und zweitens wurde der Fehler dadurch ver¬
schlimmert, daß man ihn zu unrechter Zeit beging. Nichtsdestoweniger würde
es geradezu ungeheuerlich sein, wenn man sich bloß deshalb, weil man Anstand
nehmen zu müssen meint, einen Irrtum in seinen Berechnungen und einen vor¬
schnellen Schritt einzugestehen und wieder gut zu machen, in einen großen Krieg
stürzen wollte, der schweres Geld kosten und im besten Falle wenig mehr ein¬
bringen würde als militärischen Ruhm.

Mehr als einen Rat zu nochmaliger Überlegung und zur Mäßigung geben,
kann England in Paris nicht thun. Sein eignes Interesse bei der Vermeidung
eines Krieges mit China zu betonen, wird es unterlassen müssen, und ebenso
wird es von dem Verlangen abzusehen haben, daß Frankreich sich im voraus
ausdrücklich verpflichte, den guten Rat des Londoner Kabinets in seinen Einzel¬
heiten zu befolgen. Das letztere würde nicht auf Vermittlung, sondern auf ein


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[0661] Der Streit zwischen Frankreich und China. nicht geliebt und auch nicht besonders mehr gefürchtet, und stets hat ein Streit Chinas mit irgend einer westlichen Macht zur Folge, daß der Chinese die Em¬ pfindungen, die ihm sein einzelner Gegner bei dieser Gelegenheit einflößt, auf alle Europäer ohne Unterschied überträgt. Die französische Regierung kann daher ersucht werden, sich die Verantwortlichkeit klar zu machen, der sie sich aussetzt, wenn sie die Aufregung, welche ihr Streit mit dem Reiche der himm¬ lischen Mitte hervorgerufen hat, unnötigerweise Woche um Woche verlängert, und leine Zeit zu verlieren, sich durch ihren englischen Vermittler Gewißheit zu verschaffen, ob diese den Frieden gefährdende Streitigkeit sich nicht in ehren¬ voller Art beilegen läßt. Niemand oder wenigstens niemand außerhalb des Kreises der französischen Chauvinisten wird glauben, daß es wirklich erhebliche und nicht zu umgehende Schwierigkeiten habe, die vernünftigen Ansprüche Frank¬ reichs mit den gerechten Forderungen Chinas zu versöhnen. Das Verlangen des letztern geht, wenn man von der Abgrenzungsfrage absieht, nur auf eine formelle oder nominelle, keineswegs auf eine thatsächliche Oberherrlichkeit über Arran, und man könnte ihm hier reichlich Genugthuung zuteil werden lassen, ohne irgend etwas in Betreff der materiellen Interessen, des Handels und der Kolonisation, opfern zu müssen, um die es den Franzosen angeblich in erster Reihe zu thun ist. Hätte man nicht mit unnötiger Überstürzung den Vertrag von Huc abgeschlossen, so wäre es wahrscheinlich zu gar keinem Zusammenstoße der Ansprüche beider Mächte gekommen. China hätte dem französischen Interesse alle Zugeständnisse machen, und Frankreich hätte dem Selbstgefühl der Chinesen alle Befriedigung gewähren können, welche die Lage erforderte. Durch die Gut¬ heißung des zu weitgreifenden Harmandschen Vertrags hat die französische Re¬ gierung sich in die Lage gebracht, nicht bloß mehr fordern zu müssen, als man in Peking zu gewähren geneigt ist, sondern auch mehr, als sie selbst bedarf. Der Mißgriff war ohne Zweifel ein recht unglücklicher für sie; denn erstens wurde, selbst wenn man die Sache vom französischen Standpunkte aus beur¬ teilte, zuviel des Guten geleistet, und zweitens wurde der Fehler dadurch ver¬ schlimmert, daß man ihn zu unrechter Zeit beging. Nichtsdestoweniger würde es geradezu ungeheuerlich sein, wenn man sich bloß deshalb, weil man Anstand nehmen zu müssen meint, einen Irrtum in seinen Berechnungen und einen vor¬ schnellen Schritt einzugestehen und wieder gut zu machen, in einen großen Krieg stürzen wollte, der schweres Geld kosten und im besten Falle wenig mehr ein¬ bringen würde als militärischen Ruhm. Mehr als einen Rat zu nochmaliger Überlegung und zur Mäßigung geben, kann England in Paris nicht thun. Sein eignes Interesse bei der Vermeidung eines Krieges mit China zu betonen, wird es unterlassen müssen, und ebenso wird es von dem Verlangen abzusehen haben, daß Frankreich sich im voraus ausdrücklich verpflichte, den guten Rat des Londoner Kabinets in seinen Einzel¬ heiten zu befolgen. Das letztere würde nicht auf Vermittlung, sondern auf ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/661>, abgerufen am 08.09.2024.