Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite


Die Grafen von Altenschwerdt.
August Nie manu ( Roman von Gotha).
(Fortschunc,.)
Neunundvierzigstes Aapitel.

MMLM?". ^'
^ ? .
H^i ^1/>^KM
^t^^^MA?l ictrich reiste noch an demselben Tage ab und führte die Leiche
seiner Mutter mit sich nach Breslau, wo dieselbe im Erb¬
begräbnis der Grafen von Altenschwerdt beigesetzt wurde. Als¬
dann aber, nachdem er seine Pflicht gegen die Tote erfüllt hatte,
wollte er auch seiner Verpflichtung gegen die Lebenden nach-
I kommen, und er suchte zunächst Anna Glock auf.

Bruder und Schwester hatten Holzsurt verlassen und sich nach Berlin ge¬
wandt. Dr. Glock hatte die Aufforderung bekommen, hier als Korrespondent
für auswärtige Zeitungen thätig zu sein, während Anna, gestützt auf Empfeh¬
lungen ihrer frühern Lehrer und einiger vornehmen Damen, mit denen sie be¬
kannt war, sich um Schüler für ihren Musikunterricht bewarb.

Als Dietrich sich auf der Reise nach Berlin befand, um das Geschwister-
Paar, dessen Adresse ihm bekannt war, zu besuchen, machte er sich selbst Vor¬
würfe darüber, daß er nicht zu sehr in Trauer versunken sei, um an irgend
etwas andres als an das Ende der Mutter zu denken. Aber er hatte doch
Wider Willen ein Gefühl der Erleichterung, indem er sich sagte, daß er von nun
an frei sei, und daß keine übermächtige fremde Energie mehr ihm Wege vor¬
zeichne, die ihm seiner Natur nach widerstrebten. Er atmete aus, indem er be¬
dachte, daß er nicht mehr gezwungen sei, ein Verhältnis einzugehen, welches ihm
wie eine goldne Fessel, kostbar aber drückend und tief in seine Seele einschnei¬
dend erschienen war. Das Bewußtsein, nunmehr thun und lassen zu dürfen,
was er wolle, verlieh ihm Flügel und gab ihm Freudigkeit, zu thun, was er
für Recht hielt. Dies Bewußtsein erhielt ihn bei den guten Vorsätzen, die er
unter dem Eindruck der Katastrophe gefaßt hatte, und bestärkte ihn in der ernstem
Lebensauffassung, die seit kurzem über ihn gekommen war. Er vergaß in dieser
Begeisterung der ungewohnten Freiheit ganz, wie schwierig seine Lage war.
Der geringe Besitz, den er übrig behielt, nachdem er die Kosten des Begräb¬
nisses und eine Anzahl von Rechnungen bezahlt hatte, diese letzten Trümmer
des Altenschwerdtschen Vermögens betrugen kaum tausend Thaler. Und auch




Die Grafen von Altenschwerdt.
August Nie manu ( Roman von Gotha).
(Fortschunc,.)
Neunundvierzigstes Aapitel.

MMLM?». ^'
^ ? .
H^i ^1/>^KM
^t^^^MA?l ictrich reiste noch an demselben Tage ab und führte die Leiche
seiner Mutter mit sich nach Breslau, wo dieselbe im Erb¬
begräbnis der Grafen von Altenschwerdt beigesetzt wurde. Als¬
dann aber, nachdem er seine Pflicht gegen die Tote erfüllt hatte,
wollte er auch seiner Verpflichtung gegen die Lebenden nach-
I kommen, und er suchte zunächst Anna Glock auf.

Bruder und Schwester hatten Holzsurt verlassen und sich nach Berlin ge¬
wandt. Dr. Glock hatte die Aufforderung bekommen, hier als Korrespondent
für auswärtige Zeitungen thätig zu sein, während Anna, gestützt auf Empfeh¬
lungen ihrer frühern Lehrer und einiger vornehmen Damen, mit denen sie be¬
kannt war, sich um Schüler für ihren Musikunterricht bewarb.

Als Dietrich sich auf der Reise nach Berlin befand, um das Geschwister-
Paar, dessen Adresse ihm bekannt war, zu besuchen, machte er sich selbst Vor¬
würfe darüber, daß er nicht zu sehr in Trauer versunken sei, um an irgend
etwas andres als an das Ende der Mutter zu denken. Aber er hatte doch
Wider Willen ein Gefühl der Erleichterung, indem er sich sagte, daß er von nun
an frei sei, und daß keine übermächtige fremde Energie mehr ihm Wege vor¬
zeichne, die ihm seiner Natur nach widerstrebten. Er atmete aus, indem er be¬
dachte, daß er nicht mehr gezwungen sei, ein Verhältnis einzugehen, welches ihm
wie eine goldne Fessel, kostbar aber drückend und tief in seine Seele einschnei¬
dend erschienen war. Das Bewußtsein, nunmehr thun und lassen zu dürfen,
was er wolle, verlieh ihm Flügel und gab ihm Freudigkeit, zu thun, was er
für Recht hielt. Dies Bewußtsein erhielt ihn bei den guten Vorsätzen, die er
unter dem Eindruck der Katastrophe gefaßt hatte, und bestärkte ihn in der ernstem
Lebensauffassung, die seit kurzem über ihn gekommen war. Er vergaß in dieser
Begeisterung der ungewohnten Freiheit ganz, wie schwierig seine Lage war.
Der geringe Besitz, den er übrig behielt, nachdem er die Kosten des Begräb¬
nisses und eine Anzahl von Rechnungen bezahlt hatte, diese letzten Trümmer
des Altenschwerdtschen Vermögens betrugen kaum tausend Thaler. Und auch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0643" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154090"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Grafen von Altenschwerdt.<lb/><note type="byline"> August Nie manu (</note> Roman von Gotha).<lb/>
(Fortschunc,.)</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Neunundvierzigstes Aapitel.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_2741"> MMLM?». ^'<lb/>
^ ? .<lb/>
H^i ^1/&gt;^KM<lb/>
^t^^^MA?l ictrich reiste noch an demselben Tage ab und führte die Leiche<lb/>
seiner Mutter mit sich nach Breslau, wo dieselbe im Erb¬<lb/>
begräbnis der Grafen von Altenschwerdt beigesetzt wurde. Als¬<lb/>
dann aber, nachdem er seine Pflicht gegen die Tote erfüllt hatte,<lb/>
wollte er auch seiner Verpflichtung gegen die Lebenden nach-<lb/>
I kommen, und er suchte zunächst Anna Glock auf.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2742"> Bruder und Schwester hatten Holzsurt verlassen und sich nach Berlin ge¬<lb/>
wandt. Dr. Glock hatte die Aufforderung bekommen, hier als Korrespondent<lb/>
für auswärtige Zeitungen thätig zu sein, während Anna, gestützt auf Empfeh¬<lb/>
lungen ihrer frühern Lehrer und einiger vornehmen Damen, mit denen sie be¬<lb/>
kannt war, sich um Schüler für ihren Musikunterricht bewarb.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2743" next="#ID_2744"> Als Dietrich sich auf der Reise nach Berlin befand, um das Geschwister-<lb/>
Paar, dessen Adresse ihm bekannt war, zu besuchen, machte er sich selbst Vor¬<lb/>
würfe darüber, daß er nicht zu sehr in Trauer versunken sei, um an irgend<lb/>
etwas andres als an das Ende der Mutter zu denken. Aber er hatte doch<lb/>
Wider Willen ein Gefühl der Erleichterung, indem er sich sagte, daß er von nun<lb/>
an frei sei, und daß keine übermächtige fremde Energie mehr ihm Wege vor¬<lb/>
zeichne, die ihm seiner Natur nach widerstrebten. Er atmete aus, indem er be¬<lb/>
dachte, daß er nicht mehr gezwungen sei, ein Verhältnis einzugehen, welches ihm<lb/>
wie eine goldne Fessel, kostbar aber drückend und tief in seine Seele einschnei¬<lb/>
dend erschienen war. Das Bewußtsein, nunmehr thun und lassen zu dürfen,<lb/>
was er wolle, verlieh ihm Flügel und gab ihm Freudigkeit, zu thun, was er<lb/>
für Recht hielt. Dies Bewußtsein erhielt ihn bei den guten Vorsätzen, die er<lb/>
unter dem Eindruck der Katastrophe gefaßt hatte, und bestärkte ihn in der ernstem<lb/>
Lebensauffassung, die seit kurzem über ihn gekommen war. Er vergaß in dieser<lb/>
Begeisterung der ungewohnten Freiheit ganz, wie schwierig seine Lage war.<lb/>
Der geringe Besitz, den er übrig behielt, nachdem er die Kosten des Begräb¬<lb/>
nisses und eine Anzahl von Rechnungen bezahlt hatte, diese letzten Trümmer<lb/>
des Altenschwerdtschen Vermögens betrugen kaum tausend Thaler.  Und auch</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0643] Die Grafen von Altenschwerdt. August Nie manu ( Roman von Gotha). (Fortschunc,.) Neunundvierzigstes Aapitel. MMLM?». ^' ^ ? . H^i ^1/>^KM ^t^^^MA?l ictrich reiste noch an demselben Tage ab und führte die Leiche seiner Mutter mit sich nach Breslau, wo dieselbe im Erb¬ begräbnis der Grafen von Altenschwerdt beigesetzt wurde. Als¬ dann aber, nachdem er seine Pflicht gegen die Tote erfüllt hatte, wollte er auch seiner Verpflichtung gegen die Lebenden nach- I kommen, und er suchte zunächst Anna Glock auf. Bruder und Schwester hatten Holzsurt verlassen und sich nach Berlin ge¬ wandt. Dr. Glock hatte die Aufforderung bekommen, hier als Korrespondent für auswärtige Zeitungen thätig zu sein, während Anna, gestützt auf Empfeh¬ lungen ihrer frühern Lehrer und einiger vornehmen Damen, mit denen sie be¬ kannt war, sich um Schüler für ihren Musikunterricht bewarb. Als Dietrich sich auf der Reise nach Berlin befand, um das Geschwister- Paar, dessen Adresse ihm bekannt war, zu besuchen, machte er sich selbst Vor¬ würfe darüber, daß er nicht zu sehr in Trauer versunken sei, um an irgend etwas andres als an das Ende der Mutter zu denken. Aber er hatte doch Wider Willen ein Gefühl der Erleichterung, indem er sich sagte, daß er von nun an frei sei, und daß keine übermächtige fremde Energie mehr ihm Wege vor¬ zeichne, die ihm seiner Natur nach widerstrebten. Er atmete aus, indem er be¬ dachte, daß er nicht mehr gezwungen sei, ein Verhältnis einzugehen, welches ihm wie eine goldne Fessel, kostbar aber drückend und tief in seine Seele einschnei¬ dend erschienen war. Das Bewußtsein, nunmehr thun und lassen zu dürfen, was er wolle, verlieh ihm Flügel und gab ihm Freudigkeit, zu thun, was er für Recht hielt. Dies Bewußtsein erhielt ihn bei den guten Vorsätzen, die er unter dem Eindruck der Katastrophe gefaßt hatte, und bestärkte ihn in der ernstem Lebensauffassung, die seit kurzem über ihn gekommen war. Er vergaß in dieser Begeisterung der ungewohnten Freiheit ganz, wie schwierig seine Lage war. Der geringe Besitz, den er übrig behielt, nachdem er die Kosten des Begräb¬ nisses und eine Anzahl von Rechnungen bezahlt hatte, diese letzten Trümmer des Altenschwerdtschen Vermögens betrugen kaum tausend Thaler. Und auch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/643
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/643>, abgerufen am 05.12.2024.