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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die internationale Kunstausstellung in München.

geblieben und wirft einen trauernden Blick voll inniger Teilnahme auf die Ent¬
seelte. Piloty ist zu spät gekommen. Sein Schüler Gabriel Max hat dieses
Thema schon vollkommen erschöpft, und Piloty vermag nicht zarter, nicht äthe¬
rischer, nicht rührender zu malen als sein hypersentimentaler Schüler, der
schwärmerische Geisterklvpfer und Mediumverehrer. Pilotys Malweise ist für
solche Stoffe zu körperhaft, zu zähe und robust. Auch hat sein Kolorit den
früheren Glanz eingebüßt. Alles ist fade, stumpf und trocken, und aus jeder
Falte der akademisch drapirten Gewänder gähnt uns die Langeweile an. Hat
doch selbst sein Schüler Defregger einen harten Stand gegenüber den Jüngern
der neuen Schule, obwohl er einen Gegenstand zur Darstellung gewählt hat,
der schon an und für sich den wärmsten Sympathien begegnet. Er führt uns
in die schwülen Tage vor dem Sturm, vor dem Tiroler Aufstand von 1809.
In einer Felsenhöhle sind kräftige, wetterfeste Gestalten, Männer und Greise,
versammelt. Sie halten in ihrer Arbeit, welche den Vorbereitungen zum Kampfe,
der Anfertigung von Waffen gilt, inne, weil ein junges Mädchen, welches im
Vordergrunde rastet, eine Botschaft gebracht hat. Einer der ältern Männer
liest sie vor. Was das Papier in seiner muskulösen Hand enthält, lesen wir
aus den Gesichtern der Zuhörer, in welchen sich die höchste Spannung kund
giebt. Die Entschlossenheit ihrer Mienen, die wilde Energie ihres Gesichts¬
ausdrucks sagt uns, daß sie jeden Augenblick bereit sind, dem Rufe ihres Führers
zu folgen. Es liegt in diesen wie aus Erz gegossenen, faltenreichen Köpfen eine
ganz erstaunliche Kraft und Wucht der Charakteristik. Man fühlt aufs deut¬
lichste, daß diese Männer, unter der Last eines unerträglichen Druckes fast
zusammenbrechend, vor einem außerordentlichen Ereignisse, vor einem heroischen
Entschlüsse stehen. Schade nur, daß mit dieser hochdramatischen Stimmung,
mit dieser eindringlichen und beredten Charakteristik die malerische Ausdrucks¬
weise nicht auf gleicher Höhe steht. Die Farbe ist bei einem ins Bräunliche
spielenden Gesamttone hart, schwer, grobkörnig. Das Helldunkel ist wie immer
bei Defregger nicht durchsichtig genug -- kurzum, es fehlt der malerische Reiz,
sodaß die Wirkung des Bildes keine vollkommene ist. Viel glücklicher war ein
andrer Schüler Pilotys, der im bäuerlichen Genre erfolgreich mit Defregger
wetteifert, Matthias Schmid, mit seiner "Rettung," auf welcher in fast lebens¬
großen Figuren der spannende Moment dargestellt ist, wo ein junger Bursche
einer verunglückten Edelweißsammlerin als Retter naht. Die Ärmste ist bei
ihrer mühseligen Arbeit ausgeglitten, die steile Felswand herabgestürzt und auf
einem schmalen Vorsprung dadurch vor weiterem Sturze in den Abgrund be¬
wahrt worden, daß ihr Kleid an einem abgebrochenen Baumast hängen geblieben
ist. Von dem jähen Sturze betäubt liegt sie da, die Linke krampfhaft auf die
Brust gepreßt und in der über den Abgrund hinweggestreckten Rechten die Blume
haltend, um deretwillen sie ihr Leben aufs Spiel gesetzt. Der Bursche, welcher
an einem Seile herabgelassen worden ist, naht sich vorsichtig der Ohnmächtigen.


Die internationale Kunstausstellung in München.

geblieben und wirft einen trauernden Blick voll inniger Teilnahme auf die Ent¬
seelte. Piloty ist zu spät gekommen. Sein Schüler Gabriel Max hat dieses
Thema schon vollkommen erschöpft, und Piloty vermag nicht zarter, nicht äthe¬
rischer, nicht rührender zu malen als sein hypersentimentaler Schüler, der
schwärmerische Geisterklvpfer und Mediumverehrer. Pilotys Malweise ist für
solche Stoffe zu körperhaft, zu zähe und robust. Auch hat sein Kolorit den
früheren Glanz eingebüßt. Alles ist fade, stumpf und trocken, und aus jeder
Falte der akademisch drapirten Gewänder gähnt uns die Langeweile an. Hat
doch selbst sein Schüler Defregger einen harten Stand gegenüber den Jüngern
der neuen Schule, obwohl er einen Gegenstand zur Darstellung gewählt hat,
der schon an und für sich den wärmsten Sympathien begegnet. Er führt uns
in die schwülen Tage vor dem Sturm, vor dem Tiroler Aufstand von 1809.
In einer Felsenhöhle sind kräftige, wetterfeste Gestalten, Männer und Greise,
versammelt. Sie halten in ihrer Arbeit, welche den Vorbereitungen zum Kampfe,
der Anfertigung von Waffen gilt, inne, weil ein junges Mädchen, welches im
Vordergrunde rastet, eine Botschaft gebracht hat. Einer der ältern Männer
liest sie vor. Was das Papier in seiner muskulösen Hand enthält, lesen wir
aus den Gesichtern der Zuhörer, in welchen sich die höchste Spannung kund
giebt. Die Entschlossenheit ihrer Mienen, die wilde Energie ihres Gesichts¬
ausdrucks sagt uns, daß sie jeden Augenblick bereit sind, dem Rufe ihres Führers
zu folgen. Es liegt in diesen wie aus Erz gegossenen, faltenreichen Köpfen eine
ganz erstaunliche Kraft und Wucht der Charakteristik. Man fühlt aufs deut¬
lichste, daß diese Männer, unter der Last eines unerträglichen Druckes fast
zusammenbrechend, vor einem außerordentlichen Ereignisse, vor einem heroischen
Entschlüsse stehen. Schade nur, daß mit dieser hochdramatischen Stimmung,
mit dieser eindringlichen und beredten Charakteristik die malerische Ausdrucks¬
weise nicht auf gleicher Höhe steht. Die Farbe ist bei einem ins Bräunliche
spielenden Gesamttone hart, schwer, grobkörnig. Das Helldunkel ist wie immer
bei Defregger nicht durchsichtig genug — kurzum, es fehlt der malerische Reiz,
sodaß die Wirkung des Bildes keine vollkommene ist. Viel glücklicher war ein
andrer Schüler Pilotys, der im bäuerlichen Genre erfolgreich mit Defregger
wetteifert, Matthias Schmid, mit seiner „Rettung," auf welcher in fast lebens¬
großen Figuren der spannende Moment dargestellt ist, wo ein junger Bursche
einer verunglückten Edelweißsammlerin als Retter naht. Die Ärmste ist bei
ihrer mühseligen Arbeit ausgeglitten, die steile Felswand herabgestürzt und auf
einem schmalen Vorsprung dadurch vor weiterem Sturze in den Abgrund be¬
wahrt worden, daß ihr Kleid an einem abgebrochenen Baumast hängen geblieben
ist. Von dem jähen Sturze betäubt liegt sie da, die Linke krampfhaft auf die
Brust gepreßt und in der über den Abgrund hinweggestreckten Rechten die Blume
haltend, um deretwillen sie ihr Leben aufs Spiel gesetzt. Der Bursche, welcher
an einem Seile herabgelassen worden ist, naht sich vorsichtig der Ohnmächtigen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/632>, abgerufen am 08.09.2024.