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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die internationale Kunstausstellung in München.

besondre ist ein Zeichner von unerträglicher Mcmierirtheit, und diese Manierirt-
heit, diese Unwahrheit und Schwülstigkeit in den Formen beherrscht auch deu
größte" Teil der Münchener Kunstindustrie, auf welche Seitz, Lorenz, Getön,
Fritz von Miller und andre Künstler ähnlicher Richtung einen bedeutenden
Einfluß haben. Die Ausstellung gab den Besuchern aus Norddeutschland Ge¬
legenheit, sich an einer großen Zahl von technisch musterhaften Erzeugnissen
von dem Charakter der Münchener Kunstindustrie zu überzeugen. Unter dem
Namen "Kleinkunst" hatte nämlich auch das Kunstgewerbe Eingang in den Glas¬
palast gefunden. Die Beteiligung desselben beschränkt sich aber vorzugsweise
ans München, Stuttgart, Frankfurt am Main und Dresden, von welchen
wiederum München die größte Zahl der Ausstellungsobjekte geliefert hatte. Man
sah da Tafelaufsätze, Elfenbeinhumpen, metallene Pokale, Trinkhörner, Gebet¬
bücher, Urkuudenschreine, Kassetten, Armleuchter, Schmuckkästchen, Ketten, Arm-
und Halsbänder, Enveloppen von Adressen und dergleichen mehr, durchweg, wie
gesagt, von höchster technischer Vollendung, von bestechenden Farbenreiz, aber
mit wenigen Ausnahmen von großer Maßlosigkeit, Überschwenglichkeit und
Willkür in den Formen und in der Ornamentik. Zu den wenigen Ausnahmen
gehört u. a. eine gravirte Krystallschale, deren Fläche mit edel und einfach ge¬
haltenen Ornamenten nach dem Entwürfe von Professor Franz Widnmann in
München überzogen ist.

Das siebzehnte Jahrhundert ist auch für die Münchener Malerei tonan¬
gebend geworden. Nach dieser Richtung hin muß man die Ausstellung von 1883
sogar als eine Art Markstein in ihrer Entwicklung bezeichnen. Während in
der Ausstellung von 1879 die theatralisch-pathetische Schule Pilotys eine immer¬
hin noch dominirende Stellung einnahm, dokumentirt sich in der diesjährigen
eine radikale Umwälzung zu Gunsten der Schule von Wilhelm Diez. Die
Theatermaschinerie der Pilotyschen Historienmalerei ist endgiltig zusammenge¬
brochen, und auf den Trümmern haben die Kriegsknechte und Stegreifritter von
Wilhelm Diez triumphirend ihr Lager aufgeschlagen. Der große, glänzend
dekorirte Saal Ur. 6, welcher fast ausschließlich vou Münchener Künstlern ein¬
genommen ist, darf als der besondre Schauplatz dieses Kampfes gelten. Fast
wehmütig blickt ein neues Bild von Piloty, welches aber so abgeblaßt und ver¬
schossen aussieht, als wäre es vor langen Jahren gemalt, auf die jubelnden,
mit Medaillen behangenen Sieger. Es stellt eine Szene aus den Zeiten der
Christenverfolgungen in Rom dar: in dem unterirdischen Gefängnis der Arena liegt
auf einer starken Bohle die Leiche einer jungen Märtyrerin, welche man von
oben an Stricken heruntergelassen hat, nachdem sie ihr Leben unter den Krallen
der wilden Tiere ausgehaucht. Ihre schwarzen Haare umrahmen ein blasses,
liebliches Antlitz, und aus den gefesselten Händen ist das Kreuz auf die Erde
gesunken. Fünf bekränzte Auguren verlassen den Raum, um auf einer Treppe
zu lichteren Regionen emporzusteigen. Ein sechster ist vor der Leiche noch stehen


Die internationale Kunstausstellung in München.

besondre ist ein Zeichner von unerträglicher Mcmierirtheit, und diese Manierirt-
heit, diese Unwahrheit und Schwülstigkeit in den Formen beherrscht auch deu
größte» Teil der Münchener Kunstindustrie, auf welche Seitz, Lorenz, Getön,
Fritz von Miller und andre Künstler ähnlicher Richtung einen bedeutenden
Einfluß haben. Die Ausstellung gab den Besuchern aus Norddeutschland Ge¬
legenheit, sich an einer großen Zahl von technisch musterhaften Erzeugnissen
von dem Charakter der Münchener Kunstindustrie zu überzeugen. Unter dem
Namen „Kleinkunst" hatte nämlich auch das Kunstgewerbe Eingang in den Glas¬
palast gefunden. Die Beteiligung desselben beschränkt sich aber vorzugsweise
ans München, Stuttgart, Frankfurt am Main und Dresden, von welchen
wiederum München die größte Zahl der Ausstellungsobjekte geliefert hatte. Man
sah da Tafelaufsätze, Elfenbeinhumpen, metallene Pokale, Trinkhörner, Gebet¬
bücher, Urkuudenschreine, Kassetten, Armleuchter, Schmuckkästchen, Ketten, Arm-
und Halsbänder, Enveloppen von Adressen und dergleichen mehr, durchweg, wie
gesagt, von höchster technischer Vollendung, von bestechenden Farbenreiz, aber
mit wenigen Ausnahmen von großer Maßlosigkeit, Überschwenglichkeit und
Willkür in den Formen und in der Ornamentik. Zu den wenigen Ausnahmen
gehört u. a. eine gravirte Krystallschale, deren Fläche mit edel und einfach ge¬
haltenen Ornamenten nach dem Entwürfe von Professor Franz Widnmann in
München überzogen ist.

Das siebzehnte Jahrhundert ist auch für die Münchener Malerei tonan¬
gebend geworden. Nach dieser Richtung hin muß man die Ausstellung von 1883
sogar als eine Art Markstein in ihrer Entwicklung bezeichnen. Während in
der Ausstellung von 1879 die theatralisch-pathetische Schule Pilotys eine immer¬
hin noch dominirende Stellung einnahm, dokumentirt sich in der diesjährigen
eine radikale Umwälzung zu Gunsten der Schule von Wilhelm Diez. Die
Theatermaschinerie der Pilotyschen Historienmalerei ist endgiltig zusammenge¬
brochen, und auf den Trümmern haben die Kriegsknechte und Stegreifritter von
Wilhelm Diez triumphirend ihr Lager aufgeschlagen. Der große, glänzend
dekorirte Saal Ur. 6, welcher fast ausschließlich vou Münchener Künstlern ein¬
genommen ist, darf als der besondre Schauplatz dieses Kampfes gelten. Fast
wehmütig blickt ein neues Bild von Piloty, welches aber so abgeblaßt und ver¬
schossen aussieht, als wäre es vor langen Jahren gemalt, auf die jubelnden,
mit Medaillen behangenen Sieger. Es stellt eine Szene aus den Zeiten der
Christenverfolgungen in Rom dar: in dem unterirdischen Gefängnis der Arena liegt
auf einer starken Bohle die Leiche einer jungen Märtyrerin, welche man von
oben an Stricken heruntergelassen hat, nachdem sie ihr Leben unter den Krallen
der wilden Tiere ausgehaucht. Ihre schwarzen Haare umrahmen ein blasses,
liebliches Antlitz, und aus den gefesselten Händen ist das Kreuz auf die Erde
gesunken. Fünf bekränzte Auguren verlassen den Raum, um auf einer Treppe
zu lichteren Regionen emporzusteigen. Ein sechster ist vor der Leiche noch stehen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/631>, abgerufen am 08.09.2024.