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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal.

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Die Höhe der Prozeßkosten.

Strafe keine übermäßige sein darf. Denn das Übermaß führt nicht bloß dahin,
daß schlechte Prozesse unterbleiben, sondern daß auch vollberechtigte Ansprüche
unterdrückt werden, weil die Beteiligten nicht die Prozeßkosten daran wagen
können. Eine übermäßige Belastung des Prozesses mit Kosten kommt also einer
Nechtsverkümmerung gleich. Man hat wohl darauf hingewiesen, daß ja dem
Armen durch Bewilligung des Armenrechts die kostenfreie Führung des Prozesses
ermöglicht werde. Das ist aber ein recht schlechter Trost. Ganz abgesehen
davon, daß es viele giebt, die das Armenrecht zu erbitten sich schämen, gleich¬
wohl aber einen Prozeß mit hohen Kosten nicht führen können, liegt auch in
der häufigen Bewilligung des Armenrechts eine nicht zu unterschützende Gefahr.
Wer das "Armenrecht" hat, braucht vor keinem Prozeß, und sei er noch so
frivol, zurückzuscheuen, und so bildet das Armenrecht nur allzuhäufig eine Art
Erpressung in loyaler Form, welche gegen Wohlhabende zu üben versucht wird.
Gerade darin also, daß die übermäßigen Prozeßkvsten mit Notwendigkeit dahin
führen, umso häufiger das Armenrecht zu bewilligen, liegt ein neuer Vorwurf
für dieselben.

Betrachten wir nun die aus der Reichsgesetzgebung hervorgegangenen Proze߬
kvsten im Hinblick auf deren wesentlichen Zweck, so nehmen wir keinen Anstand
zu sagen: Für deutsche Verhältnisse find diese Kosten zu hoch. Die Rechtsver-
folguug wird dadurch in einer Weise erschwert, daß auch die gerechte Sache oft
darunter leidet.

Es wird jedoch für die weitere Darstellung von Interesse sein, auf die
Entstehung unsrer Kostengesetze zurückzublicken. Wir wollen die Geschichte der¬
selben nach den teils offenkundiger, teils auf sicherer Erkundung beruhenden
Thatsachen zu geben versuchen.

Nachdem die Reichsjustizkommission sich dahin ausgesprochen hatte, daß
zur einheitlichen Gestaltung des Prozesses auch die Kosten desselben einheitlich
geordnet werden müßten, auch eine entsprechende Bestimmung in § 2 des Einfüh¬
rungsgesetzes zur Zivilprozeßordnung aufgenommen worden war, legte die Neichs-
regierung im Frühjahre 1878 dem Reichstage zunächst nur einen Gesetzentwurf
über die Gerichtskosten und über die Gebühren der Gerichtsvollzieher, ohne eine
Anwaltsgebührenordnnng, vor. Es war diese Trennung der Kostengesetze gewiß
beklagenswert. Der Reichstag wurde dadurch genötigt, über die Gerichtskosten
und die Gerichtsvollziehergebühren vorweg, ohne Überblick über die Gesamtheit
der Prvzeßkosten, zu beraten und zu beschließen. Dies hat unverkennbar auf
die Höhe der Kosten einen wesentlichen Einfluß geübt.

Das Reichsjustizamt war bei seinen Entwürfen von der Ansicht ausgegangen,
daß eine Erhöhung der Prozeßkosten, im Vergleich mit der zur Zeit in Preußen
bestehenden, gerechtfertigt sei, um die Zahl der Prozesse zu verringern. Man
scheint hierbei vorzugsweise die Verhältnisse einzelner Landesteile, z. B. der
ostpreußischen Provinzen, wo ein großer Prozeßunfug herrscht, im Auge gehabt


Die Höhe der Prozeßkosten.

Strafe keine übermäßige sein darf. Denn das Übermaß führt nicht bloß dahin,
daß schlechte Prozesse unterbleiben, sondern daß auch vollberechtigte Ansprüche
unterdrückt werden, weil die Beteiligten nicht die Prozeßkosten daran wagen
können. Eine übermäßige Belastung des Prozesses mit Kosten kommt also einer
Nechtsverkümmerung gleich. Man hat wohl darauf hingewiesen, daß ja dem
Armen durch Bewilligung des Armenrechts die kostenfreie Führung des Prozesses
ermöglicht werde. Das ist aber ein recht schlechter Trost. Ganz abgesehen
davon, daß es viele giebt, die das Armenrecht zu erbitten sich schämen, gleich¬
wohl aber einen Prozeß mit hohen Kosten nicht führen können, liegt auch in
der häufigen Bewilligung des Armenrechts eine nicht zu unterschützende Gefahr.
Wer das „Armenrecht" hat, braucht vor keinem Prozeß, und sei er noch so
frivol, zurückzuscheuen, und so bildet das Armenrecht nur allzuhäufig eine Art
Erpressung in loyaler Form, welche gegen Wohlhabende zu üben versucht wird.
Gerade darin also, daß die übermäßigen Prozeßkvsten mit Notwendigkeit dahin
führen, umso häufiger das Armenrecht zu bewilligen, liegt ein neuer Vorwurf
für dieselben.

Betrachten wir nun die aus der Reichsgesetzgebung hervorgegangenen Proze߬
kvsten im Hinblick auf deren wesentlichen Zweck, so nehmen wir keinen Anstand
zu sagen: Für deutsche Verhältnisse find diese Kosten zu hoch. Die Rechtsver-
folguug wird dadurch in einer Weise erschwert, daß auch die gerechte Sache oft
darunter leidet.

Es wird jedoch für die weitere Darstellung von Interesse sein, auf die
Entstehung unsrer Kostengesetze zurückzublicken. Wir wollen die Geschichte der¬
selben nach den teils offenkundiger, teils auf sicherer Erkundung beruhenden
Thatsachen zu geben versuchen.

Nachdem die Reichsjustizkommission sich dahin ausgesprochen hatte, daß
zur einheitlichen Gestaltung des Prozesses auch die Kosten desselben einheitlich
geordnet werden müßten, auch eine entsprechende Bestimmung in § 2 des Einfüh¬
rungsgesetzes zur Zivilprozeßordnung aufgenommen worden war, legte die Neichs-
regierung im Frühjahre 1878 dem Reichstage zunächst nur einen Gesetzentwurf
über die Gerichtskosten und über die Gebühren der Gerichtsvollzieher, ohne eine
Anwaltsgebührenordnnng, vor. Es war diese Trennung der Kostengesetze gewiß
beklagenswert. Der Reichstag wurde dadurch genötigt, über die Gerichtskosten
und die Gerichtsvollziehergebühren vorweg, ohne Überblick über die Gesamtheit
der Prvzeßkosten, zu beraten und zu beschließen. Dies hat unverkennbar auf
die Höhe der Kosten einen wesentlichen Einfluß geübt.

Das Reichsjustizamt war bei seinen Entwürfen von der Ansicht ausgegangen,
daß eine Erhöhung der Prozeßkosten, im Vergleich mit der zur Zeit in Preußen
bestehenden, gerechtfertigt sei, um die Zahl der Prozesse zu verringern. Man
scheint hierbei vorzugsweise die Verhältnisse einzelner Landesteile, z. B. der
ostpreußischen Provinzen, wo ein großer Prozeßunfug herrscht, im Auge gehabt


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[0607] Die Höhe der Prozeßkosten. Strafe keine übermäßige sein darf. Denn das Übermaß führt nicht bloß dahin, daß schlechte Prozesse unterbleiben, sondern daß auch vollberechtigte Ansprüche unterdrückt werden, weil die Beteiligten nicht die Prozeßkosten daran wagen können. Eine übermäßige Belastung des Prozesses mit Kosten kommt also einer Nechtsverkümmerung gleich. Man hat wohl darauf hingewiesen, daß ja dem Armen durch Bewilligung des Armenrechts die kostenfreie Führung des Prozesses ermöglicht werde. Das ist aber ein recht schlechter Trost. Ganz abgesehen davon, daß es viele giebt, die das Armenrecht zu erbitten sich schämen, gleich¬ wohl aber einen Prozeß mit hohen Kosten nicht führen können, liegt auch in der häufigen Bewilligung des Armenrechts eine nicht zu unterschützende Gefahr. Wer das „Armenrecht" hat, braucht vor keinem Prozeß, und sei er noch so frivol, zurückzuscheuen, und so bildet das Armenrecht nur allzuhäufig eine Art Erpressung in loyaler Form, welche gegen Wohlhabende zu üben versucht wird. Gerade darin also, daß die übermäßigen Prozeßkvsten mit Notwendigkeit dahin führen, umso häufiger das Armenrecht zu bewilligen, liegt ein neuer Vorwurf für dieselben. Betrachten wir nun die aus der Reichsgesetzgebung hervorgegangenen Proze߬ kvsten im Hinblick auf deren wesentlichen Zweck, so nehmen wir keinen Anstand zu sagen: Für deutsche Verhältnisse find diese Kosten zu hoch. Die Rechtsver- folguug wird dadurch in einer Weise erschwert, daß auch die gerechte Sache oft darunter leidet. Es wird jedoch für die weitere Darstellung von Interesse sein, auf die Entstehung unsrer Kostengesetze zurückzublicken. Wir wollen die Geschichte der¬ selben nach den teils offenkundiger, teils auf sicherer Erkundung beruhenden Thatsachen zu geben versuchen. Nachdem die Reichsjustizkommission sich dahin ausgesprochen hatte, daß zur einheitlichen Gestaltung des Prozesses auch die Kosten desselben einheitlich geordnet werden müßten, auch eine entsprechende Bestimmung in § 2 des Einfüh¬ rungsgesetzes zur Zivilprozeßordnung aufgenommen worden war, legte die Neichs- regierung im Frühjahre 1878 dem Reichstage zunächst nur einen Gesetzentwurf über die Gerichtskosten und über die Gebühren der Gerichtsvollzieher, ohne eine Anwaltsgebührenordnnng, vor. Es war diese Trennung der Kostengesetze gewiß beklagenswert. Der Reichstag wurde dadurch genötigt, über die Gerichtskosten und die Gerichtsvollziehergebühren vorweg, ohne Überblick über die Gesamtheit der Prvzeßkosten, zu beraten und zu beschließen. Dies hat unverkennbar auf die Höhe der Kosten einen wesentlichen Einfluß geübt. Das Reichsjustizamt war bei seinen Entwürfen von der Ansicht ausgegangen, daß eine Erhöhung der Prozeßkosten, im Vergleich mit der zur Zeit in Preußen bestehenden, gerechtfertigt sei, um die Zahl der Prozesse zu verringern. Man scheint hierbei vorzugsweise die Verhältnisse einzelner Landesteile, z. B. der ostpreußischen Provinzen, wo ein großer Prozeßunfug herrscht, im Auge gehabt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_153446/607>, abgerufen am 08.09.2024.